Heute schon gesüßt?

  16 April 2016    Gelesen: 690
Heute schon gesüßt?
Eine Zuckersteuer wäre nutzlos gegen Übergewicht. Die Probleme liegen ganz woanders.
Über den Befund herrscht Einigkeit: Viele Menschen haben Übergewicht. Das gilt als ein Risikofaktor für Zivilisationskrankheiten. Politik, Wirtschaft und Gesellschaft müssen deshalb nach Wegen suchen, wie wir dem vorbeugen können. Aber im Kampf gegen Übergewicht gibt es keine einfachen Lösungen. Eine Steuer auf Zucker, wie sie Stefanie Gerlach von der Deutschen Adipositas-Gesellschaft vergangene Woche an dieser Stelle gefordert hat, wird niemanden schlank machen. Warum ist das so?

Die Deutschen nehmen heute nachweislich nicht mehr Kalorien auf als früher. Aber sie verbrauchen weniger, weil sie körperlich weniger aktiv sind. Geradezu erschreckend ist, wie viele Stunden wir im Berufsleben sitzen. Hinzu kommt die immense Zeit, die wir vor dem Fernseher oder am Computer, im Auto oder auf der Couch verbringen.

Gleichzeitig hat sich die Ernährung verändert. Conveniencefood, also Fertigprodukte, sind heute fester und notwendiger Bestandteil der Ernährungskultur. Sie haben ihre Berechtigung, weil immer mehr Menschen nicht die Zeit oder den Willen haben, am Mittag einzukaufen und am Abend zu kochen. Die Menschen müssen lernen, Ernährung und Bewegung an diesen Alltag anzupassen. Entscheidend für das Körpergewicht ist die Energiebilanz, nicht eine einzelne Zutat.

Die häufig angeführte These, bei der Ernährung sei die ungesunde Wahl oftmals auch die einfachere, lässt sich in der Praxis nicht bestätigen. In Betriebskantinen gibt es einen eindeutigen Trend zu mehr Vielfalt und Auswahl. Die blasse und totgegarte Zucchini dürfte in den meisten Kantinen bald der Vergangenheit angehören, das eintönige Salatbüfett auch. So können viele Menschen hier am eigenen Leib erleben, wie attraktiv eine ausgewogene Ernährung sein kann. Im Supermarkt hat der Verbraucher schon jetzt die freie Wahl.

Zurück zur Steuer: Alle ökonomische Erfahrung zeigt, dass eine Steuer oder Steuererhöhung am Ende immer der Verbraucher zahlen muss, egal, wo und wie sie erhoben wird. Der Unternehmer will ja nicht auf seinen Kosten sitzen bleiben. Im Fall der Zuckersteuer träfe es insbesondere Familien, die einen höheren Anteil ihrer Ausgaben für Lebensmittel aufwenden müssen. Für sie kann eine Zuckersteuer regelrecht zur Strafsteuer werden. Falls die Menschen nach Einführung einer Steuer dann tatsächlich auf Produkte mit einem geringeren Zuckergehalt ausweichen würden, hätte dies noch nicht einmal zwingend Einfluss auf ihre persönliche Energiebilanz. Denn weniger Zucker heißt nicht automatisch weniger Kalorien.

Gerade in festen Lebensmitteln wie beispielsweise in Conveniencefood kommt Zucker nicht nur wegen der Süße zum Einsatz. Zucker hat Einfluss auf Volumen und Textur von Lebensmitteln, er verlängert ihre Haltbarkeit und bringt viele Aromen erst zur vollen Entfaltung. Wer Zucker reduziert, muss ihn durch andere Stoffe ersetzen, die in der Regel genauso viel oder mehr Kalorien liefern. Zuckerreduzierte Produkte haben deshalb oft genauso viele Kalorien wie die normalen, vergleichbaren Produkte – manchmal sogar mehr.

Wer beispielsweise bei Frühstückscerealien einen Blick auf die Nährwerttabelle wirft, stellt schnell fest, dass Varianten mit reduziertem Zuckergehalt genauso viele Kalorien haben wie das Ausgangsprodukt. Das Gleiche gilt für Müsliriegel, Kakaopulver und Kekse. Den Verbrauchern ist das allerdings kaum bekannt. Untersuchungen im Auftrag des Bundesverbandes der Verbraucherzentralen zeigen, dass sie den Hinweis "ohne Zuckerzusatz" oder "ungesüßt" missverstehen und mit "weniger Kalorien" in Verbindung bringen.

Eine repräsentative Umfrage der Wirtschaftlichen Vereinigung Zucker vom Dezember 2015 bestätigt dies. Die große Mehrheit derer, die zuckerreduzierte oder zuckerfreie Produkte kaufen, glaubt, dass sie damit Kalorien sparen kann. Und mehr als die Hälfte der Befragten glauben sogar, dass sie davon guten Gewissens mehr essen können, ohne davon dick zu werden. Die Kennzeichnung "weniger Zucker" kann also zu falschen Schlüssen verleiten. Kann "weniger Zucker" sogar zu einer erhöhten Kalorienaufnahme führen? Das wäre ein weiterer Minuspunkt in der Energiebilanz.

Eine Zuckersteuer wird uns im Kampf gegen Übergewicht nicht weiterhelfen. Sie wäre kontraproduktiv, weil sie den Blick auf eine Zutat und nicht auf den Zusammenhang von Kalorienaufnahme und Kalorienverbrauch lenkte. Tatsächlich müssen wir über unseren Lebensstil, über das Gesamtpaket aus Ernährung, Genuss und ganz besonders Bewegung reden.

Wir müssen die Menschen für die Bedeutung ihrer persönlichen Energiebilanz sensibilisieren. Das ist mühsam und langwierig, es kostet Energie, Zeit und Geld. Aber es ist der richtige Weg. Weil er die tatsächlichen Ursachen an der Wurzel packt. Das ist unsere Verantwortung gegenüber den Verbrauchern: Wir dürfen keine Scheinlösungen präsentieren. Wir müssen mit den Menschen über den Zusammenhang zwischen ihrer persönlichen Energiebilanz und dem eigenen Körpergewicht sprechen. Wir müssen ihnen zeigen, wie sie ihre Ernährung vielfältig und ausgewogen gestalten können und wie sie schon mit kleinen Veränderungen mehr Bewegung in ihren Alltag bringen können. Mit unserer Initiative SCHMECKT RICHTIG! haben wir damit bereits begonnen.

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