Seit dem Großangriff der radikalislamischen Hamas vor mehr als zwei Wochen mit 1400 Toten verfolgt die israelische Armee vor allem ein Ziel: Sie will die militante Palästinenserorganisation auslöschen. Dafür fliegt das Militär ununterbrochen Luftangriffe auf den Gazastreifen, zudem wird eine Bodenoffensive vorbereitet. Doch was passiert mit dem Gazastreifen, wenn die Hamas eines Tages vernichtet ist? Dafür kursieren in Israel nur vage Szenarien.
Für den Sprecher der israelischen Regierung, Eylon Levy, ist derzeit vor allem eines klar: "Wenn dieser Krieg vorbei ist, wird Gaza nicht mehr von der Hamas regiert", sagte er.
Die Hamas kontrolliert den Gazastreifen seit 2007. Die Islamisten übernahmen die Macht zwei Jahre nach dem Rückzug Israels aus dem Gebiet und nach erbitterten Kämpfen mit der Fatah, der Partei des Präsidenten der Palästinensischen Behörden, Mahmud Abbas. Seitdem sehen sich die 2,4 Millionen Bewohner einer Land-, See- und Luftblockade durch Israel und Ägypten ausgesetzt. Die humanitäre Lage ist seit Jahren prekär, 80 Prozent der Menschen haben einen Flüchtlingsstatus.
Als Reaktion auf den Angriff der Hamas riegelte Israel den Gazastreifen komplett ab und kappte die Versorgung mit Strom, Wasser, Lebensmitteln und Treibstoff. Zugleich starteten die massiven Luftangriffe auf mutmaßliche Hamas-Stellungen. Seit Beginn der Angriffe wurden nach Hamas-Angaben, die nicht unabhängig überprüft werden können, im Gazastreifen 6546 Menschen getötet.
Verantwortung an Nachbarland abgeben?
Dass Israel nach einer erfolgreichen Invasion zu einer erneuten Besetzung des Gazastreifens zurückkehrt, scheint ausgeschlossen. Bei einer Sicherheitsbesprechung im israelischen Parlament betonte Verteidigungsminister Yoav Gallant, Ziel sei ein "Ende der Verantwortung Israels für das Schicksal des Gazastreifens und die Schaffung einer neuen Sicherheitsrealität für die Bürger Israels und die Region".
Wie die Nachrichtenagentur AFP aus einer Quelle im israelischen Außenministerium erfuhr, würde das Land die Verantwortung für das Palästinensergebiet gerne an eine dritte Partei wie das Nachbarland Ägypten übergeben - allerdings ohne überhaupt abschätzen zu können, ob Kairo einem solchen Szenario am Ende zustimmen würde. Bislang hat auch kein anderes arabisches Land für eine solche Option den Finger gehoben.
Der israelische Oppositionsführer Jair Lapid favorisiert unterdessen die Rückkehr des Gazastreifens in die Verantwortung der Palästinensischen Behörde, mit der Israel bei der Verwaltung des besetzten Westjordanlands zusammenarbeitet.
Aber auch dafür sehen Experten der Denkfabrik Crisis Group keine großen Erfolgschancen. Nach ihrer Einschätzung gibt es wenig Hoffnung, dass die bereits extrem unbeliebte Behörde nach einer israelischen Invasion in den Gazastreifen zurückkehren könnte, "ohne wie ein Feind behandelt zu werden".
Ein genauer Plan fehlt
Das derzeit von Israel und den USA bevorzugte Szenario für den Gazastreifen ist nach Einschätzung des Leiters der israelischen Denkfabrik Begin-Sadat Center for Strategic Studies, Eitan Shamir, eine international aufgeteilte Verantwortung. Daran könnten die Palästinensische Behörde sowie hinsichtlich der Verwaltung die USA und Europa beteiligt sein, Geld dafür könnte auch Saudi-Arabien beisteuern.
Laut Shamir entscheiden schon jetzt vor allem die USA, was im Gazastreifen passieren wird. "Die Amerikaner sind unserem Kriegskabinett beigetreten und man kann sagen, dass sie diejenigen sind, die die Vorgänge überwachen", sagte er.
Nach dem Großangriff der Hamas am 7. Oktober hatte Washington Israel seine unverbrüchliche Unterstützung zugesichert und Militärhilfen in Höhe von 15 Milliarden US-Dollar (umgerechnet 14,19 Milliarden Euro) in Aussicht gestellt.
Jedoch hat auch US-Präsident Joe Biden keinen Plan für die Zeit nach einer möglichen israelischen Bodenoffensive im Gazastreifen öffentlich gemacht. Stattdessen forderte er Israel auf, genau über die weiteren Schritte nachzudenken.
Quelle: ntv.de, Daphne Rousseau, AFP
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