Bleiben uns nur noch sechs Jahre?

  30 Oktober 2023    Gelesen: 825
  Bleiben uns nur noch sechs Jahre?

Wenn die Menschheit weiter so viel CO₂ ausstößt, könnte sich die Erde bereits in diesem Jahrzehnt auf über 1,5 Grad erwärmen. Also deutlich schneller als bislang angenommen, heißt es in einer neuen Studie. Klimaschutzbemühungen dürfen laut Experten trotzdem nicht aufgegeben werden - im Gegenteil.

Es wird eng: Eigentlich soll die globale Temperatur möglichst nicht weiter als um 1,5 Grad Celsius im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter steigen. Darauf hatten sich 195 Staaten im Pariser Klimaabkommen verständigt. Die Einhaltung könnte jedoch deutlich schwieriger werden als bisher angenommen, heißt es in einer neuen Studie. Denn um dieses Ziel nicht zu verfehlen, darf die Menschheit demnach deutlich weniger Kohlendioxid (CO₂) ausstoßen, als noch im sechsten Weltklimabericht der Vereinten Nationen geschätzt wurde.

Da die Erderwärmung nahezu linear mit der Gesamtmenge der durch die Menschheit insgesamt verursachten Emissionen wächst, lässt sich ein globales CO₂-Budget berechnen. Das ist die Gesamtmenge an Kohlendioxid, die höchstens ausgestoßen werden darf, um nicht über die 1,5-Grad-Marke zu rutschen. Die letzte Schätzung des Weltklimarat (IPCC) lag bei 494 Milliarden Tonnen CO₂.

Jetzt kommen Berechnungen mit neuen Daten und verbesserten Modellen allerdings zu einem ungünstigeren Ergebnis: Bei weltweiten CO₂-Emissionen auf dem Niveau von 2022 wäre diese Menge in etwa sechs Jahren aufgebraucht, schreibt die Forschungsgruppe um Robin Lamboll vom Imperial College London im Fachjournal "Nature Climate Change". Er und seine Kolleginnen und Kollegen berechneten eine verbleibende CO₂-Menge von nur 247 Milliarden Tonnen CO₂ - also der Hälfte der früheren Schätzung. Allerdings bezog sich im Weltklimabericht die Restmenge auf die Zeit ab Anfang 2020, während die aktuelle Studie Bezug auf die Zeit ab Anfang 2023 nimmt.

"Dazwischen liegen drei Jahre", sagt Oliver Geden von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin, der nicht an der Studie beteiligt war. Die Differenz betrage also nur 125 bis 130 Milliarden Tonnen CO₂. "Von den 375 bis 380 Milliarden Tonnen des IPCC-Budgets, die Anfang 2023 noch übrig waren, ist es also etwa ein Drittel."

"Eine unangenehme Lektüre"

Großen Anteil an dem Unterschied zur früheren Schätzung hat die Verwendung eines neuen Computermodells, das den durch Treibhausgase verursachten Klimawandel simuliert. Zudem verwendete das Forschungsteam aktuellere Daten über tatsächliche CO₂-Emissionen und über tauende Permafrostböden. Denn nach dem Rückgang des Ausstoßes im ersten Jahr der Corona-Pandemie - also 2020 - lag die Menge der weltweiten CO₂-Emissionen 2022 wieder auf Vor-Corona-Niveau bei rund 40 Milliarden Tonnen pro Jahr.

Falls die Menschheit in den nächsten Jahren nicht mehr als 247 Milliarden Tonnen CO₂ ausstößt, dann besteht eine Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent, dass die Erderwärmung nicht über 1,5 Grad steigt. Für die Einhaltung des Zwei-Grad-Ziels wären es der Schätzung von Lamboll und Kollegen zufolge noch 1220 Milliarden Tonnen bei einer Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent.

In einem Kommentar, ebenfalls in "Nature Climate Change", schreibt Benjamin Sanderson vom Centre for International Climate and Environmental Research in Oslo: "Die Arbeit von Lamboll und Kollegen ist für politische Entscheidungsträger eine unangenehme Lektüre." Ihm zufolge verdeutlichen die Studienergebnisse, dass sich jede noch so strenge Berechnung mit überarbeiteten Daten und Erkenntnissen ändern könne.

In den Notfallmodus schalten

Für Niklas Höhne ist es "fast irrelevant, ob das Budget bei gleichbleibenden Emissionen in sechs Jahren - wie in dieser Studie - oder in zehn Jahren - wie vorher gedacht - aufgebraucht ist", sagt der Leiter des New Climate Institutes in Köln. "Für das 1,5-Grad-Ziel wird es sehr, sehr knapp."

Ähnlich sieht das auch Klimaforscherin Tatiana Ilyina von der Universität Hamburg. "Wir werden voraussichtlich in diesem Jahr wieder die höchsten CO₂-Emissionen aller Zeiten haben", sagt sie der dpa. Die Studie zeige erneut, wie dringend eine schnelle Reduzierung des Ausstoßes von Treibhausgasen sei. "Ich weiß nicht, was wir als Wissenschaftler noch tun sollen, damit die globale Politik sich wirklich anstrengt", sagt Ilyina. Zwar gebe es immer weniger Klimawandelleugner. Aber immer häufiger heiße es, man könne den Klimawandel ohnehin nicht verhindern, also könne man so weiterleben wie bisher.

Die Anstrengungen, die Treibhausgas-Emissionen zu senken, sollten trotz der neuen Erkenntnisse auf keinen Fall aufgegeben werden, mahnt Höhne. Gerade die extremen Temperaturen und die damit einhergehenden Dürren, Stürme und Extremwetterereignisse des vergangenen Sommers zeigten, dass sich die Menschheit an einen ungebremsten Klimawandel einfach nicht anpassen könne. "Selbst wenn 1,5 Grad im mehrjährigen Mittel überschritten werden, ist es gut, vorher so viele Emissionen wie möglich eingespart zu haben", so der Klima-Experte. Jede eingesparte Tonne führe zu geringerer globaler Temperaturerhöhung und damit zu geringeren Schäden. Die Studie sei ein weiterer Aufruf, "in den Notfallmodus zu schalten und alles daranzusetzen, Treibhausgas-Emissionen so schnell wie irgend möglich zu reduzieren."

Quelle: ntv.de, Mit Material von dpa


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