ntv: Welchen Beitrag können Batterien für die Energiewende leisten und was sind die größten Herausforderungen?
Martin Winter: Man muss klar sagen, unser Netz gehört seit vielen Jahren erneuert. Wir haben da viel zu wenig investiert. Wenn wir jetzt die E-Mobilität richtig hochfahren mit E-Autos, dazu Wärmepumpen und all die elektronischen Haushaltsgeräte, dann können Engpässe auftreten, insbesondere lokal. Wir müssen das Stromnetz erweitern, das Netz smarter machen und dabei gleich auch eine Ladeinfrastruktur aufbauen. Wir brauchen also ein intelligentes Netz, das sich bestenfalls in Echtzeit steuern lässt.
Dirk-Uwe Sauer: Speicher sind ein Stück Infrastruktur so wie auch die Stromnetze. Der Bedarf an Speichern hängt an vielen Faktoren. Auf jeden Fall geht es beim Einsatz von Speichern einerseits darum, die Wirtschaftlichkeit der Energieversorgung zu steigern und andererseits die Zuverlässigkeit der Energieversorgung zu sichern. Es geht also nicht um "möglichst viel", sondern um die richtige Menge für einen wirtschaftlichen Betrieb.
Welche Batterien gibt es?
Winter: Momentan ist die Lithium-Ionen-Technologie unschlagbar. Der Vorteil dieser Batterie ist vor allem ihre Effizienz. Sie hat einen sehr hohen Wirkungsgrad. Die Batterie gibt mehr als 90 Prozent der gespeicherten Energie wieder ab. Außerdem ist sie skalierbar, von klein auf groß. Die Skala reicht vom kleinen Handyakku oder dem Akku der Armbanduhr bis zum riesigen Speicherkraftwerk.
Welche Alternativen gibt es?
Winter: Heiße Kandidaten sind die Lithium-Metall-Technologie und die Natrium-Ionen-Batterie. Die Lithium-Metall-Batterie ist eine alte Technologie, die bisher nicht ausreichend sicher war. Jetzt glaubt man, dass sie beherrschbar ist - und zwar als Feststoff-Batterie. Der flüssige Elektrolyt wird ausgetauscht. Der Vorteil ist die hohe Energiedichte, das heißt, diese Batterien haben eine höhere Kapazität bei gleicher Größe und Gewicht. Die Natrium-Ionen-Batterie wird derweil aus China sehr stark beworben. Der Vorteil ist, dass Natrium leichter verfügbar ist als Lithium. Darüber hinaus werden Kostenvorteile gesehen. Wir stehen also wirklich nicht schlecht da mit den Speichertechnologien.
Wie schnell lassen sich Batterieanlagen aufbauen?
Sauer: Ziemlich schnell. Technologisch sind wir vorbereitet. Wir haben kein Problem, den notwendigen Speicherbedarf aufzubauen und auch Platz ist kein wirkliches Problem. Nehmen wir zum Beispiel das größte deutsche Pumpspeicherkraftwerk in Goldisthal: Wenn man das Wasser aus dem Obersee rauslassen würde und das Volumen des Sees mit Lithium-Ionen-Batterien füllt, dann würde die Kapazität dieser Batterien leicht das 300-fache dessen betragen, was heute über das Wasser realisiert ist. Zusätzlich kann der Einsatz von Speichern noch lokale Netzengpässe oder Spitzenleistungen etwa in Fabriken abfedern.
Und die Lithium-Vorkommen?
Winter: Es gibt große Lithium-Vorkommen, auch in Deutschland. Die Frage ist, ob wir die angreifen wollen. Lithiumabbau im Rheingraben oder im Erzgebirge, da hätten wir genug Lithium für die nächsten 50 Jahre.
Keine Einbahnstraße mehr vom Versorger zum Kunden: Wie werden wir den Strom künftig lenken?
Winter: Unser Energiesystem schreit nach dezentraler Nutzung. Wir müssen den Strom bestenfalls da verbrauchen oder speichern, wo er gerade erzeugt wird. Also bringen wir unser Auto nicht nur zum Laden ans Netz, sondern entladen die Batterie auch wieder. Über ein Batteriemanagement ist die Ladesäule mein Kontakt zum Stromversorger. Der kann sich nachts Strom von mir holen, garantiert mir aber, dass ich morgens meine Batterie so weit geladen habe, dass ich damit bis zum Job komme. Das erfordert natürlich mehr Planung. Aber es dient sogar der Lebensdauer der Batterie. Man betreibt Batteriepflege durch kontrolliertes Laden und Entladen und kann damit das Leben der Batterie verlängern. Vielleicht haben wir dann große Einrichtungen, die erneuerbare Energien zwischenspeichern. Ich denke da an eine Art Tankstelle, an der sich die Fahrzeuge Strom abholen, der dort zwischengespeichert wird.
Sauer: Heute schon ist in Elektrofahrzeugen in Deutschland doppelt so viel Speicherkapazität in Batterien verbaut, wie wir in über hundert Jahren als Pumpspeicherkraftwerke aufgebaut haben. Die zunehmende Digitalisierung des Energiesystems wird hier immer mehr Möglichkeiten schaffen. Allein eine intelligente Steuerung des Ladens von Elektrofahrzeugen, eine Rückspeisung aus den Fahrzeugen und die Steuerung der Heizungssysteme mit thermischen Speichern bringt hier riesige Leistungen, die die Probleme innerhalb eines Tages decken können. Der Einsatz dieser Flexibilitäten ist dann auch wesentlich wirtschaftlicher als der Neubau von Speichern.
Warum könnten Autobatterien eine so wichtige Rolle einnehmen?
Sauer: Bei der Nutzung einer Batterie aus einem Elektrofahrzeug sind die Investitionskosten schon getätigt, und bei einem intelligenten Einsatz werden die Fahrzeugbatterien auch nicht wesentlich mehr altern als ohne diesen Einsatz. Es müssen also zunächst nur die Betriebskosten gedeckt werden.
Welche Aufgabe muss der Staat bei der Energiewende übernehmen?
Winter: Wir müssen die Freiheit des Strommarktes anpassen. Gerade die Netze und damit deren Stabilität müssen dauerhaft kontrolliert werden. Das sehe ich als eine staatliche Aufgabe. Es ist keine gute Idee, elektrische Energieversorgung und Elektromobilität nur unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu sehen. Es ist natürlich sehr bequem, weiter fossile Energien zu verbrennen, wenn wir das Gas einfach aus der ganzen Welt bekommen. Aber wir müssen uns umstellen. Die Politik muss die Menschen schrittweise mitnehmen, sie muss fassbare Ziele formulieren und immer an das Machbare denken. Es ist besser, den Menschen zu sagen, was morgen realisierbar ist, als ihnen ein utopisches Szenario in ferner Zukunft auszumalen.
Sauer: In der zweiten Januarhälfte 2023 hatten wir die fast perfekte Dunkelflaute. Wenn wir den Anteil aus Wind und Solar verdreifachen, reicht das immer noch nicht, um den Strombedarf in diesem Zeitraum zu decken. Dafür braucht es dann Langzeitspeicher. Der Langzeitspeicher wird in vollem Umfang vielleicht nur einmal im Jahr gebraucht. Es gibt also nur sehr wenige Gelegenheiten, die Investitionskosten zu refinanzieren.
Mit Martin Winter und Dirk-Uwe Sauer sprach Oliver Scheel
Quelle: ntv.de
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