Malochen bis in den Tod

  18 April 2016    Gelesen: 760
Malochen bis in den Tod
Die Angst vor Altersarmut ist berechtigt. Obwohl viele Menschen arbeiten, droht Geringverdienern der Super-GAU. Der Talk bei Anne Will erhitzt die Gemüter - vor allem aber wegen der verstörenden Ansichten eines Journalisten.
Wer wachen Auges durch die deutschen Städte geht, sieht sie überall: alte Menschen. Alte Menschen, die in Mülltonnen nach Pfandflaschen wühlen, die Zeitung verkaufen oder in der Einkaufspassage die Böden putzen. Das Problem an der Misere ist, dass dieses Bild im ersten Moment berechtigterweise allen Grund zur Sorge bietet, im Alter auch so ein Schicksal zu erleiden. Aber schnell redet man sich ein, dass einem das ganz bestimmt nicht passieren wird, schließlich ist man voll berufstätig und zahlt in die Rentenkasse ein. Und genau hier liegt das Problem: Im Nicht-Wahrhaben-Wollen, dass Altersarmut nichts ist, das lediglich Putzfrauen, Bäckereifachgehilfinnen oder Altenpfleger treffen kann, Arbeiter also, die im sogenannten Niedriglohnsektor tätig sind.

Ein Leben lang malocht - und die Rente liegt nur knapp über Sozialhilfeniveau. Wie kann das sein? Wenn wir im Alter nicht von unserer Rente leben können, hat dann der Sozialstaat versagt? Jener Staat, der mit immer neuen Ideen um die Ecke kommt und vorgibt, stets auch etwas für "den kleinen Mann" tun zu wollen? Darüber diskutiert Anne Will im Sonntagstalk mit der Ministerpräsidentin von Nordrhein-Westfalen, Hannelore Kraft, der Putzfrau Susi Neumann, dem Präsidenten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung in Berlin, Marcel Fratzscher, dem Journalisten Rainer Hank und dem Vorsitzenden des Verbands "Die Jungen Unternehmer", Hubertus Porschen.

"Meine Mädels landen alle in der Altersarmut"

Die Hälfte der Bevölkerung landet, wenn sich nichts ändert, in der Altersarmut, warnt Susanne Neumann. Anne Will möchte von der an Krebs erkrankten Putzfrau wissen, ob sich ihre Rente viel oder wenig für sie anfühlt. "Wenn man Miete, Energie und die Unterhaltskosten abzieht, dann ja. Es steigt ja alles! Meine Mädels (Kolleginnen) landen alle in der Altersarmut! Man muss 45 Jahre lang 11,50 Euro verdienen, um nicht in die Grundsicherung zu müssen."

Doch der Journalist Hank, Ressortleiter Wirtschaft bei der FAZ, hat da seine ganz eigene Wahrheit und sieht in Frau Neumanns düsteren Schilderungen lediglich "Einzelschicksale". So singt er ein Loblieb auf die gescheiterte Riester-Rente. Das Thema Rente, wenn man sich einmal die Sendungen von Anne Will der vergangenen Jahre anschaut, ist immer wieder ein heiß diskutiertes, bei denen oft Politiker mit in der Runde sitzen und erhitzt für die Sichtweise ihrer Partei debattieren. Unterm Strich hat das Ganze aber ungefähr so viel Aussagekraft wie ein unbeschriebenes Blatt Papier.

So ist das in dieser Runde auch mit Hannelore Kraft, die, was die Renten angeht, selbstverständlich noch jede Menge "Handlungsbedarf" sieht. Nahezu tantig mutet es an, wie sie die Taten ihrer Partei (SPD) lobt, jener Volkspartei, die dafür gesorgt hat, dass befristete Arbeitsverträge nicht mehr die Ausnahme, sondern die Regel geworden sind. Dank SPD sind diese zwischen 2003 und 2013 um mehr als 70% gestiegen.

Stichwort: Minijobs und Zeitarbeit. Heute hat jeder fünfte Beschäftigte einen Minijob. Wie glaubwürdig ist es da, dass ausgerechnet die SPD sich jetzt für die Renten von Morgen einsetzt, möchte Anne Will wissen. Aber wie man es von Politkern gewohnt ist, schwurbeln diese gern herum und geben auf konkrete Fragen unkonkrete Antworten - die aber immer sehr gewichtig klingen: "Ich möchte ein Gesamtkonzept."

Zu diesem gehört es anscheinend auch, zumindest, was Frau Krafts Auftritt bei Anne Will betrifft, Gesprächspartnern munter ins Wort zu fallen. Als Hubertus Porschen ihr und ihren Genossinnen und Genossen "politisches Kalkül", besonders in Wahlkampfzeiten zuspricht, schüttelt sie abfällig den Kopf, als handele es sich bei der Aussage des Unternehmers um die Chuzpe eines Jungspunds, der nicht weiß, wovon er spricht.

Porschen geht Kraft gezielt an

Stattdessen wird berichtet, man werde "soziale Probleme anpacken" und an "den Themen dranbleiben". "Frau Kraft, ich habe das Gefühl, Sie wollen das Problem nicht an der Wurzel packen", versucht Porschen abermals die SPD-Frau aus ihrer Komfortzone zu locken.

Richtig abenteuerlich wird es, als Rainer Hank die Riester-Rente erneut beschwört und sie als eine "gute markwirtschaftliche Reform" verkaufen will. Dagegen widerspricht Marcel Fratzscher ganz entschieden: "Riester ist gescheitert, sie hilft den falschen Leuten." Aber irgendwie scheint der FAZ-Autor in seiner ganz eigenen Welt zu leben. So spricht er unter anderem von "Leuten, die das Privileg haben, 45 Jahre zu arbeiten" und findet, dass "Arbeit sehr vielen Leuten Sinn gibt" und obendrein auch nicht mehr so anstrengend wie damals ist. Denn es gibt ja inzwischen jede Menge Roboter.

Der Mensch im Kapitalismus des 21. Jahrhunderts hat also laut Hank das Privileg 45 Jahre lang durchzuackern, vollkommen egal, wie niedrig der Lohn ist. Wenn er dann im Alter von seiner kleinen Rente nicht leben kann, zeigt sich das wahre Gesicht des Sozialstaates. Wenn man also weiß, dass die Rente im Alter nicht reichen wird, was kann man tun, um sich zusätzlich privat abzusichern? Riestern? Gescheitert! Sparen? Wovon denn? Auch hier vertritt Hank seine ganz eigenen Ansichten: "Die Leute können ja selbst entscheiden, was und wie sie konsumieren. Sie können etwas zurücklegen." Daraufhin lenkt Kraft ein: "Ein Vermögen von 1.400 Euro netto zu bilden, ist schwierig."

Am Ende wird noch einmal das Thema Bildung angerissen, von der Fratzscher findet, "dass der deutsche Staat immer noch zu wenig in sie investiere." "Deutschland ist eines der ungleichen Länder in der industrialisierten Welt", sagt er und meint damit vor allem auch die Schere zwischen Arm und Reich - womit die Talkrunde wieder bei Frau Neumann ist, die sich wünscht, "mal wieder auf den Punkt zu kommen". "Die Sendung hier heißt: "Arm im Alter. Ich hab immer malocht! Was habe ich verkehrt gemacht?" Die Antwort darauf bleibt man ihr schuldig.

Der 2012 verstorbene Volkswirt Roland Baader hat einmal gesagt: "Man hilft den Armen nicht, wenn man dafür sorgt, dass Armut sich lohnt." Eine Wahrheit, die die Politik seit Jahren billigend in Kauf nimmt.

Quelle: n-tv.de

Tags:


Newsticker