Grönlands Gletscher schwinden schneller als gedacht

  18 Januar 2024    Gelesen: 748
  Grönlands Gletscher schwinden schneller als gedacht

Im Zuge der Klimaerwärmung schrumpft der grönländische Eisschild im Rekordtempo. Nun entdeckt ein Forschungsteam, dass der Verlust seit 1985 sogar 20 Prozent höher liegt als bislang angenommen. Das könnte weitreichende Folgen haben - nicht nur für den Meeresspiegel.

Grönlands Eisschild hat in den letzten Jahrzehnten etwa 20 Prozent mehr Masse verloren als bisher angenommen. Das zeigen Auswertungen von Satellitendaten an den Enden der Gletscher, die gewöhnlich ins Meer münden. Dort schrumpfte die zweitgrößte Eismasse der Erde seit 1985 um etwa 5100 Quadratkilometer - das entspricht der doppelten Fläche des Saarlands.

An den untersuchten Gletscher-Enden seien mehr als 1000 Gigatonnen Eis (also mehr als 1000 Milliarden Tonnen) verloren gegangen, berechnet das Team im Fachjournal "Nature". Diese seien in der Bilanz des grönländischen Eisverlusts bisher nicht aufgetaucht. Der sei damit um etwa 20 Prozent größer als bisher angenommen.

Der zusätzliche Schwund trage zwar nicht viel zum Anstieg des Meeresspiegels bei, da rund 90 Prozent des Eises an den Gletscher-Enden ohnehin im Meer lagen. Der erhöhte Eintrag von Süßwasser könnte jedoch möglicherweise die Stabilität des Nordatlantikstroms (AMOC) und damit auch des Golfstrom-Systems beeinflussen, schreibt die Gruppe um Chad Greene vom California Institute of Technology in Pasadena.

Mehr als 1000 Gigatonnen in 37 Jahren

Das Team untersuchte die Entwicklung des Grönländischen Eisschilds anhand der Veränderungen der Kalbungsfronten im Meer, an denen Eis in Form von Eisbergen abbricht. Aus fast 240.000 Satellitenbildern erstellten die Forscher die Positionen dieser Gletscherenden für jeden Monat im Zeitraum von Mitte 1985 bis Anfang 2022. In diesen knapp 37 Jahren verloren die Gletscher dort eine Fläche von 5091 Quadratkilometern - was 1034 Gigatonnen Eis entspricht.

Die Analyse zeigt, dass der jährliche Verlust bis Ende der 1990er Jahre recht konstant war und seit der Jahrtausendwende deutlich zugenommen hat. Seit 2000 betrug er demnach flächenmäßig im Mittel 218 Quadratkilometer pro Jahr, was 42 Milliarden Tonnen entspricht. Betroffen sind alle grönländischen Gletscher, die ins Meer münden - und hier vor allem der Zachariæ Isstrøm, der Jakobshavn Isbræ und der Humboldt-Gletscher.

Die Monatsdaten zeigen, dass gerade diese Gletscher auch starke jahreszeitliche Schwankungen aufweisen. Daraus folgert das Team, dass jene Eisströme, die jahreszeitlich stark variieren, auch besonders anfällig für die Folgen des Klimawandels seien.

"Kipppunkte" drohen

Da der Großteil des geschmolzenen Eises an den Gletscher-Enden im Ozean liegt, spielt deren Rückzug für den Meeresspiegel keine größere Rolle. Allerdings gelange mehr Süßwasser ins Meer als bislang vermutet. "Es gibt die Sorge, dass auch eine kleine Menge Süßwasser als 'Kipppunkt' dienen kann, der den Kollaps der AMOC auslösen sowie die globalen Wetter-Muster, Ökosysteme und die weltweite Lebensmittelsicherheit stören könnte", schreiben die Wissenschaftler.

Die AMOC-Umwälzbewegung, zu der auch der Golfstrom gehört, besteht - grob vereinfacht - aus warmen, nordwärts gerichteten Strömungen nahe der Oberfläche des Atlantik. In Polnähe sinkt das Wasser ab und fließt als kalte Strömung in der Tiefe wieder nach Süden. Diese Zirkulation beruht auf Dichteunterschieden, welche wiederum von Salzgehalt und Temperatur des Meerwassers abhängen. Der Weltklimarat (IPCC) hielt 2019 in seinem Sonderbericht Ozeane und Eis 2019 fest: Es sei sehr wahrscheinlich, dass sich das Golfstromsystem in diesem Jahrhundert abschwäche, aber sehr unwahrscheinlich, dass es bereits zusammenbreche.

Die Ergebnisse der Studie erweiterten die bisherigen Abschätzungen der Massenbilanz des Grönländischen Eisschildes um eine wichtige, bisher nicht berücksichtigte Komponente, sagt Johannes Feldmann vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK). Auch Ingo Sasgen vom Alfred-Wegener-Institut (AWI) in Bremerhaven betont, die Daten seien "neu und wertvoll für das Verständnis, wie sich die Klimaveränderungen auf die Eisverluste in Grönland auswirken".

Folgen für Klimasystem und Mensch

Zu den möglichen Auswirkungen des zusätzlichen Süßwasser-Eintrags auf das Golfstrom-System sagt der PIK-Experte Feldmann: Diese Menge mache zwar im Vergleich zur Gesamtmenge des grönländischen Schmelzwassers weniger als zehn Prozent aus. "Trotzdem hat dieser Süßwassereintrag einen Einfluss auf die lokalen Ozeanströmungen und trägt auch zur beobachteten Abschwächung der globalen Atlantischen Umwälzzirkulation bei, die ein wichtiges Kippelement in unserem Klimasystem darstellt", so Feldmann. "Käme diese Zirkulation zum Erliegen, hätte dies weitreichende Folgen für das Klimasystem und uns Menschen."

Der Großteil des Masseverlusts des Grönländischen Eisschilds entfällt auf das Ausdünnen der Gletscher - also nicht auf den nun berechneten flächenmäßigen Rückzug. Im vorigen Frühjahr hatte ein Forschungsteam im Fachblatt "Earth System Science Data" den Eisschwund für den Zeitraum von 1992 bis 2020 berechnet. Demnach gingen dort pro Jahr durchschnittlich 169 Gigatonnen Eis verloren, wobei die jeweilige Masse von Jahr zu Jahr stark schwankte, insgesamt im Lauf des Studienzeitraums aber deutlich zunahm.

Quelle: ntv.de, lno/dpa


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