Manchmal braucht es eher eine Vernunftentscheidung und man sollte besser auf den Kopf statt auf das Herz hören. BMW ist clever und gibt Menschen, die sich in der Regel von einem kühlen Kopf leiten lassen, die Gelegenheit, trotzdem ihr Herz in die (automobile) Entscheidung einzubeziehen: Der X2 macht es möglich. Breit und satt steht er da, baggert Beobachter vor allem mit seinem Heck an, das durch eine coupéartig abfallende Dachlinie besticht und mit den zackig eingekerbten Rückleuchten samt ansprechendem Lichtdesign. Generell dominieren zackige Linien, auch die Niere ist jetzt sechseckig. Das mag ein bisschen polarisieren, aber mit solchen Extremen arbeitet BMW ja gern.
Beim X2 handelt es sich um den emotionaleren Bruder des X1 mit geringfügig anderen Abmessungen - der darf also ruhig experimentell sein. Er ist das längere Auto mit 4,55 statt 4,50 Metern, allerdings auch fünf Zentimeter flacher: Statt 1,64 ist der X2 bloß 1,59 Meter hoch, was ihn schicker macht, aber - zugegeben - etwas unpraktischer je nach Anwendungsbereich (Kofferraumvolumen 1470 statt 1600 Liter abhängig von der Version). Aber bei voller Bestuhlung ist er dagegen sogar praktischer! Wie schon seinerzeit bei der Sitzprobe besprochen, passt bei aufgestellter Rückbank mehr Gepäck (60 Liter Volumen plus) in den X2 als in den X1 - so lässt es sich im Zweifel besser verreisen.
Der X2 kann mit E-Maschine oder Verbrenner fahren
Und heute gibt's nicht nur die Sitzprobe, sondern ich reise mit dem X2 tatsächlich. Und dabei merke ich schnell, dass Platz jetzt sowieso nicht das riesige Thema ist in einem Auto, das von seinen Abmessungen auch als Mittel- statt Kompaktklässler durchgehen würde. Auch die auf Wunsch sogar massierenden Sitze sind fein. Dafür steht ein anderes Thema im Raum - mitunter sogar spaltend. Elektro oder Verbrenner? Heute oftmals eine Frage der Lebenseinstellung. Der X2 ist aber ausgleichend und kann beides. Und BMW hat auch noch sowohl die elektrisch angetriebene Variante wie auch den stärksten Benziner mitgebracht.
Gestartet wird mit der batterieelektrischen Ausgabe und das ist auch eine emotionale Entscheidung. Man könnte jetzt ein bisschen provokant sagen, das Beste kommt zum Schluss (in diesem Fall das Verbrenner-Topmodell M35i), und das will ich mir aufheben. Bevor die Elektroauto-Fangemeinde jetzt den Aufstand probt: Nein, auch hier spielen Anwendungsfall, Geldbeutel und Geschmack die entscheidende Rolle. Allerdings hat es einen Grund, warum der 35i das "M" im Namen führt. BMW hat ihn bewusst als sportliche Speerspitze positioniert, was sich auch optisch manifestiert und durchaus sexy ist. Der xDrive30 als stärkste elektrisch angetriebene Ausführung kommt optisch zurückhaltend daher und hält mit seiner Performance eher hinterm Berg. Auch akustisch, versteht sich.
Auch der iX2 xDrive30 ist emotional
BMW hatte ganz sicher nicht die Absicht, einen unemotionalen Stromer zu zeigen - daher rollt er hier und heute auch als Spitzenversion an den Start, während die Basis zu Hause bleibt. Dann gibt es 313 PS sowie knapp 500 Newtonmeter Drehmoment von zwei Synchronmaschinen ohne Permanentmagnete, um Seltenerdmetalle einzusparen - hier ist der Konzern ehrgeizig. Also darf ich die 5,6 Sekunden ohne Reue genießen, innerhalb derer das 2,1-Tonnen-Gerät unter Anwendung der Boost-Funktion auf 100 km/h stürmt? Na ja, wenn der Strom vom heimischen Solardach produziert wird, definitiv.
Aber dieses Privileg genießt eben nicht jeder iX2-Kunde und so sei darauf hingewiesen, dass der Stromer seinen Akku (knapp 65 kWh Netto-Kapazität) mit 130 kW DC-Ladeleistung im Peak füttert. BMW verspricht, dass 80 Prozent Füllstand binnen 29 Minuten erreicht werden, falls man den Stand nicht unter zehn Prozent sinken lässt. Auf dem schicken Display (hier läuft das neueste Betriebssystem BMW Operating 9) zeigt der BMW bei 99 Prozent Ladestand 336 Kilometer, während das maximale Reichweitenpotenzial mit 446 Kilometern beziffert wird. Warum diese Diskrepanz? Am Wetter kann es nicht liegen, hier in Portugal herrschen um die 17 Grad Celsius. Dann müssen es wohl die hügeligen, menschenleeren Landstraßen sein, die dazu verleiten, mit dem Allradler eher sportlich unterwegs zu sein.
Und wenn BMW etwas kann, ist es: Fahrwerke so abstimmen, dass man dazu neigt, eine Autobahnausfahrt früher abzufahren, um noch ein bisschen Kurvenstrecke mitzunehmen. Dennoch verkneift sich der Bayer die harte Federung - gut gemacht! Sowohl der stärkste Benziner als auch der kräftigste Stromer verfügen über das adaptive M-Fahrwerk. Es verändert die Dämpferhärte "frequenzselektiv" (je nach straßenspezifischer Anregung), um den Konflikt zwischen sportlicher und komfortabler Abstimmung im Rahmen eines einzigen Konzepts aufzulösen. Die schön knackig-direkt arbeitende Sportlenkung trägt ihren Teil zum Präzisionsgefühl bei. Und das Gewicht merkt man der elektrisch angetriebenen Ausgabe nicht wirklich an, weil der Schwerpunkt mit dem Batteriepack im Bereich des Unterbodens günstig ist. Am Ende wirkt der Stromer sogar noch ein Quäntchen gediegener als die Verbrenner-Modelle.
Der Sound des M35i ist verlockend
Umstieg in den Topbenziner mit glatten 300 PS und deutlich weniger Drehmoment (400 statt 494 Newtonmeter). Aber! Hier gibt es eben den Sound, den die Petrolheads bei Elektrofahrzeugen so schmerzlich vermissen. Sogar, wenn er von einem Zweiliter-Vierzylinder erzeugt wird? Na ja, die Akustiker haben das schon ganz ordentlich gemacht, der Turbo kann sprotzeln und wummern aus seinen vier dicken Endrohren neben dem ausgeprägten Diffusor, aber auch nach innen. In der Teillast bleibt der M aber zurückhaltend und verwehrt daher auch den manchmal gewünschten Geräuschkomfort nicht.
Im Vergleich zum Stromer ist der Verbrenner anders im Charakter. Während der iX2 ansatzlos davonstürmt, muss sich der Siebengang-Doppelkuppler des M35i je nach Zeitpunkt der Leistungsanforderung noch kurz sortieren. Dem lässt sich freilich mit den Schaltpaddles entgegentreten. Wer aber jetzt denkt, der M35i sei phlegmatischer - von wegen! Glaubt man dem Werk, nimmt er dem Stromer sogar zwei Zehntel ab beim Spurt auf 100 km/h. In der Tat liefert er satten Schub, während der Direkteinspritzer das Drehzahlband leichtfüßig durchschreitet. Und im Gegensatz zum lautlosen Doppelmotorer marschiert er bis 250 Sachen durch, während die Höchstgrenze beim iX2 xDrive30 nur 180 km/h bilden.
Die Wahl ist am Ende freilich auch eine Frage des Geldbeutels. Bekommt man den iX2 xDrive30 bereits ab 56.500 Euro, hätte BMW für den M35i gern mindestens 63.800 Euro. Außerdem müssten Firmenwagenfahrer Letzteren mit einem ganzen Prozent versteuern, während die Grundlage der zu berechnenden Dienstwagensteuer für die pauschale Abgeltung privater Fahrten bei Stromern in dieser Preislage ja lediglich 0,5 Prozent des Bruttolistenpreises beträgt. Der 170 PS starke (mild hybridisierte) Basisbenziner startet deutlich günstiger, nämlich ab 46.400 Euro. Und bloß geringfügig mehr (46.850 Euro) kostet der Diesel-Einsteiger, der mit 150 PS aber auch schwächer ausfällt.
Zum Schluss noch die werte Information darüber, dass auch der X2 über ein paar Schmankerl verfügt, die wahlweise entweder aufhorchen, grinsen oder zucken lassen. Beleuchtete Niere? Na klar! Zahllose Helferlein, die beim Spurwechsel supporten (und auch mal blöd ins Lenkrad "greifen")? Zum Glück abschaltbar. Wobei der aktive Tempomat im zähen Verkehr schon fein ist. Ein Infotainment mit Gaming- und Streaming-Optionen? Geht heute gar nicht mehr ohne. Insofern ist der X2 ja schon mal bestens gerüstet, vor allem technikaffine Interessenten in die Schauräume zu locken. Jetzt müssten sie nur noch kaufen.
Quelle: ntv.de
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