Ich bin, was ich trinke?

  23 April 2016    Gelesen: 993
Ich bin, was ich trinke?
Was haben harmoniebedürftige Genussmenschen, konservative Puristen oder nachlässige Pragmatiker mit Kaffee zu tun? Mehr, als jeder Kaffeetrinker zu glauben vermag. Die Art, wie der Mensch seinen Kaffee schlürft, verrät angeblich einiges über seine Persönlichkeit.
Ohne kommen die meisten Deutschen morgens nicht aus dem Bett; ich bin da also in großer Gesellschaft. Den ersten Kaffee am Tag trinke ich am liebsten noch im Nachthemd und vor dem Zähneputzen. Erst dann beginnt so etwas wie eine Menschwerdung - und das Frühstück kann kommen. Natürlich mit dem zweiten Kaffee.

Wie nun das morgendliche Ritual bei jedem Einzelnen aussieht, ist abhängig von vielen Faktoren und Gewohnheiten und daher sehr unterschiedlich. Fakt ist aber, dass für fast zwei Drittel der Bundesbürger eine Tasse Kaffee zum Start in den Tag gehört. Für die Hälfte ist das erst der Anfang, denn reichlich 52 Prozent trinken mehrmals am Tag Kaffee. Rechnet man mal alles zusammen - Bürokaffee, den im Café und den für unterwegs (für Mainstreamer: Coffee to go) -, kommt man auf schlappe 162 Liter Kaffee pro Kopf und Jahr in Deutschland. Damit steht die anregende braune Flüssigkeit in der deutschen Trink-Statistik an erster Stelle, noch vor Mineralwasser (143,5 Liter) und Bier (107 Liter), was unseren - ohnehin ungerechtfertigten - Ruf als "Biertrinker-Nation" ziemlich aufhübscht und uns außerdem den 7. Platz in der europäischen Kaffeetrinker-Statistik beschert. Vor "Genießerländern" wie Frankreich und Italien! Und von wegen "türkisch gebrüht"! Obwohl türkischer Kaffee als Zubereitungsmethode weltweit bekannt sein dürfte, interessiert das die Türken nicht die Bohne, denn sie rühren heutzutage lieber im Instantkaffee: In dem Land am Bosporus, das in der Kaffeetrinker-Statistik abgeschlagen auf dem letzten Platz landet, liegt der Anteil des löslichen Kaffees am Gesamtkaffeeverbrauch bei über 90 Prozent.

Den meisten Kaffee gießen sich übrigens die Finnen durch die Kehle, gefolgt von anderen Nordeuropäern. Die Finnen verpulvern 12,1 Kilo Rohkaffee pro Kopf und Jahr, die Deutschen 7,1 und die Italiener 5,5 Kilo. Nur allein mit Kälte und Dunkelheit kann man den finnischen Kaffeedurst nicht erklären, den auf Wodka schon eher. Die Ursachen bleiben also im Kaffeesatz verborgen, was ziemlich verwunderlich ist, weil doch ohne Unterlass alles Mögliche statistisch durchleuchtet wird. Das wäre doch mal ein Studienauftrag, vielleicht finanziert von der EU? Alles andere aus der Welt der Kaffeetrinker dürfte inzwischen erfasst sein: Wie oft und wo am liebsten, wie zubereitet und wie getrunken, welche Bohnen, woher und wie eingesammelt, welche Wirkung auf diverse menschliche Innereien... Wer seine Sucht mit Wissen untermauern will, tut das am besten auf brand eins Wissen, wo jährlich in Zusammenarbeit mit Tchibo und statista.com ein umfangreicher und fundierter Report "Kaffee in Zahlen" veröffentlicht wird, wirklich sehr informativ und aufschlussreich.

Welcher Typ bin ich?

Wer mehr den Spaßfaktor sucht, wird andernorts fündig. Hohen Unterhaltungswert bieten jene "Studien", in denen vom Kaffee auf die Persönlichkeit des Menschen geschlossen wird, der den Henkeltopp umklammert. Mit solchen Analysen erfreuen Psychologen gerne unsere Lachmuskeln. Danach sind jene Mitmenschen, die sich für besonders milden Kaffee entscheiden oder ihn mit viel Milch verdünnen, nicht einfach nett zu ihrem Magen, und jene, die ihn entkoffeiniert genießen, nicht etwa bloß schwanger – nein! Laut Ramani Durvasula von der California State University sind die Milchkaffee-Trinker verschwenderisch, sie suchen den Genuss und Komfort. Sie sind hilfsbereit, aber einige sind auch neurotisch und manipulativ. Koffein-Verzichter sehen nicht ständig Mutterfreuden entgegen (das beträfe ohnehin nur den geringsten Teil der Bevölkerung) oder sind von hohem Blutdruck geplagt (davon gibt`s etliche mehr), laut der Psychologie-Professorin aus Los Angeles sind das penible Typen, die gern die Kontrolle behalten. Menschen, die ihren Kaffee pur, also schwarz, trinken, sind logischerweise auch im Leben außerhalb der Kaffeetasse Puristen, ein bisschen launisch und veränderungsunwillig, zum Glück aber auch beharrlich und effizient. Als die anspruchsvollsten Persönlichkeiten hat Prof. Ramani die Cappuccino-Trinker ausgemacht, kleine Sensibelchen, Perfektionisten meist, aber mit ausgeprägtem Kontrollbedürfnis und Hang zur Pedanterie. Irgendwie ähnlich sie den Trinkern von koffeinfreiem Kaffee. Wer solcherart entschärften Kaffee auch noch mit Milch trinkt, dürfte demzufolge doppelt mit negativen Eigenschaften belastet sein. Löslichen Kaffee in der Tasse wiederum gestatten sich nur Pragmatiker, das ist nichts für Genießer. Angeblich sind sie entspannt und gemütlich und schieben gerne alles auf die lange Bank.

Psychologie-Professor Alfred Gebert aus Münster unterscheidet ein bisschen zwischen weiblichen und männlichen Kaffeetrinkern. Die "milden" Trinker sind meistens weiblich, intelligent, weltoffen und ästhetisch. Auch bei Kaffee mit Milch sind Frauen in der Mehrzahl; sie achten sowohl auf gutes Aussehen als auch auf innere Werte, haben Sinn für Wellness und Wohlgefühl, sind mitfühlend und optimistisch. Frauen, habt acht: Trinken Männer "Kaffee weiß", sind sie in der Midlifecrisis! "Echte" Kerle nämlich lieben den Kaffee besonders kräftig. Starker Kaffee ist laut Prof. Gebert eine Männerdomäne; hier tummeln sich aktive, zielstrebige, schnelle und einfallsreiche Typen. Wer seinen Kaffee am liebsten schwarz trinkt, kommt mit jeder Situation zurecht. Egal ob Männlein oder Weiblein, hier findet man dynamische, aktive und erfolgsorientierte Menschen. Wer seinen Kaffee versüßt, sollte allerdings mal in sich gehen. Die "süßen" Typen sind verspielt, albern und beruflich weniger zielstrebig. Freizeit mit jeder Menge Spaß steht hier an erster Stelle. Frauen, Finger weg: Bevorzugen Männer gezuckerten Kaffee, deutet das auf den Wunsch hin, nicht erwachsen zu werden! Kippen sich diese "süßen" Typen jedoch Milch in den Zucker-Kaffee, heißt es schnell zugreifen in der Partnerwahl, denn mit Milch werden aus den verschmusten Männern feinfühlige, empfindsame und sensible Wesen. Sie wollen Atmosphäre beim Kaffeegenuss und niemals "to go". Mit anderen Worten: Hier kommt der Traummann. Diese Charakteristika sind auch für Männer auf Damensuche interessant, denn sie gelten auch für "Milch-und-Zucker-TrinkerInnen". Laut Gebert waren Trinker von entkoffeiniertem Kaffee früher "abhängig von echtem Kaffee", kurz vor der Rente bekämen sie aber Sodbrennen davon. Die Tatsache, dass sie auch mit "Decaf" (welch schöne Schöpfung, extra für Mainstreamer) frühmorgens in die Gänge kommen, zeige, dass der Glaube Berge versetzt.

Was bin ich denn nun für ein Mensch? Verschwenderisch und neurotisch oder mitfühlend und optimistisch? Oder von allem ein bisschen? Es muss an der Milch liegen. Doch der Kaffee, in den ich meine Milch kippe, der wird stark gebrüht, mild keinesfalls: Habe ich etwa zu viel Testosteron in mir (Ich habe keinen Damenbart!) und bin gleichzeitig ein bisschen doof? Denn intelligent sind ja nur die "Milden".Da mir Zucker nicht in den Kaffee kommt, bin ich wenigstens von dieser Seite nicht gefährdet. Allerdings bin ich auch ein Espresso-Fan, heiß und schwarz, bitter und schööön stark (OHNE Zucker und OHNE Milch!) Die Espresso-Typen hauen laut Gebert auf den Putz, protzen gerne `rum, auch wenn sie kein Geld haben. Oh mein Gott (aber der kann ja auch nicht helfen)! Na ja, zumindest das mit der knappen Kasse stimmt allzu oft. "Espressotrinker halten sich für supersexy, draufgängerisch und cool." Das müssen welche aus einer anderen Generation sein. Tröstend für mich: "Dieser Typus hat aber auch viel Temperament und Engagement und ist oft ein Italien-Liebhaber." Jaaa! Und danke, aber nur für den letzten Satz! Auch von koffeinfreiem Kaffee kann ich nicht auf meinen Charakter schließen, da ich den nicht trinke. Ein Glück, sonst wäre ich nämlich laut Prof. Ramani ein Kontrollfreak. Und bei Prof. Gebert lese ich über die "Decaffer" (unerlaubte Wortneuschöpfung von mir): "Je älter, desto starrsinniger." Also, ich kenne da einige ältere Teetrinker, die sind so was von stur...

Problematisch wird es für mich wieder auf Reisen; der Hotelkaffee ist nicht immer verlockend und deshalb befindet sich in meiner Survival-Ausrüstung im Auto auch immer ein Reise-Wasserkocher und eine anständige Portion Instant-Kaffee. Da tue ich es dann unerlaubt im Zimmer "modern-türkisch", das heißt, nicht im Kaffeesatz, sondern in löslichen Krümeln rührend. Besonders empfehlenswert im brandenburgischen und anderweitigen Outback. Von diesem Kaffee ausgehend bin ich pragmatisch veranlagt, aber schön gemütlich und neige laut Prof. Ramani zum "Prokrastinieren". Liest sich verdammt wissenschaftlich, heißt aber nur, dass ich ein trödliger Faulenzer bin und gern Notwendiges vor mir her schiebe. Aber wer wischt schon gerne Staub? Zusammenfassend bin ich also ein genießerischer und verschwenderischer Pragmatiker, faul und engagiert, gemütlich und temperamentvoll, ein mitfühlender Neurotiker, der früher supersexy, draufgängerisch und cool war und heute am liebsten nach Italien fährt. Mit anderen Worten: ein ganz normaler Mensch!

Ein Wort auf den (Kaffee-)Weg

Offenbar gehört zum Lifestyle, dass ständig und allerorten irgendetwas gemümmelt und gesüffelt werden muss, auch Kaffee. Coffee to go also, gern auch mal als "togo" angeboten, was nix mit dem afrikanischen Staat Togo zu tun hat, sondern lediglich mit Fehlstunden im Englischunterricht. (Am besten gefallen mir die Tafeln, auf denen zum "Coffee to go – jetzt auch zum mitnehmen" eingeladen wird. Zumindest das Englische ist fehlerlos.) Nach Schätzungen des Deutschen Kaffeeverbandes werden rund 15 Prozent des in Deutschland getrunkenen Kaffees "to go" konsumiert; wichtigster Grund sei die zunehmende Mobilität der Gesellschaft. Der Haken daran ist, dass maximal ein Drittel des in Coffee Shops, Tankstellen und Bäckereien ausgeschenkten Kaffees tatsächlich unterwegs geschlürft wird – dieser Kaffee könnte also ebenso gut auch aus einer normalen Tasse getrunken werden. Und wie viel von dem mitgenommenen Kaffee wird nicht auf dem Weg getrunken, sondern erreicht das Büro um die Ecke? Nur weil dort die klapprige Kaffeemaschine eine ungenießbare Brühe ausröchelt. Sieht man schließlich in jedem Krimi, wie die Ermittler leiden müssen und sich daher lieber den "to go" im Auto aufs Sakko kippen. Für alles gibt es Alternativen...

Kaffee bleibt - trotz der konsumierten Riesenmenge - ein Genussmittel. Kann mir mal einer erklären, wie man Kaffee aus beschichteten Pappbehältnissen oder Polystyrolbechern GENIESSEN kann? Dabei noch in mehr oder minder schneller Bewegung befindlich, stets in Gefahr, sich zu bekleckern oder einen Miteilenden ohne Kaffee mit einem Schwapp am Gesöff teilhaben zu lassen. Was der natürlich gar nicht will, sonst hielte er ja selbst einen Kaffeebecher in der Hand. Ja, ja – schon gut: Gegen das Kleckern hat der Erfinder der jämmerlichen Unsitte den Plastikdeckel gesetzt. Bleibt die Frage: Wie genieße ich einen Kaffee in Eile, im Laufen, im An-der-Ecke-stehen, meinetwegen auch irgendwo in der Landschaft sitzend oder an einer smoggeschwängerten Straßenkreuzung? Und dann: Wohin mit dem Becher? Dass der nie eingesteckt wird für den Rückweg von "to go", beweisen die überall herumliegenden Becher. Laut Deutscher Umwelthilfe (DUH) würden die jährlich in Deutschland verbrauchten 2,8 Milliarden Becher aufeinandergestellt mehr als siebenmal die Erde umrunden. Und für die Herstellung dieser Becher-Berge werden 64.000 Tonnen Holz, 1,5 Milliarden Liter Wasser und 11.000 Tonnen Kunststoff verplempert. Mit der für die Produktion benötigten Energiemenge könnte eine Kleinstadt ein Jahr lang versorgt werden. Allein in Berlin verwandeln sich 170 Millionen Einwegbecher jährlich zu 2400 Tonnen Müll. Um dem Becherproblem zu Leibe zu rücken, schlagen Umweltschützer die Nutzung von privat mitgebrachten Mehrwegbechern und/oder eine Abgabe auf Wegwerfprodukte vor. Mit etwa 20 Cent pro Becher ließe sich der Einwegtrend stoppen, meint die DUH. Drei Viertel aller Berliner sind laut einer Emnid-Umfrage für eine solche Abgabe und etwa ein Viertel der Befragten nutzt bereits selbst mitgebrachte Becher. New York hat übrigens Einweg-Becher aus Polystyrol Mitte vergangenen Jahres kurzerhand verboten.

Wie Sie Ihren Kaffee am liebsten trinken, wissen Sie ganz genau. Hauptsache, er schmeckt Ihnen. Aber haben Sie ihn schon mal gegessen? Wie sich Kaffee auf den Zinken einer Gabel hält, enträtselten die Italiener (wer sonst) und haben ein Dessert nach dieser physikalischen Unmöglichkeit benannt:

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