Tim "Dad" Walz präsentiert Demokraten seine Superkraft

  22 Auqust 2024    Gelesen: 567
  Tim "Dad" Walz präsentiert Demokraten seine Superkraft

Seit rund zwei Wochen ist Tim Walz der Vizekandidat von Kamala Harris. Sie ist die taffe Strafverfolgerin, er der nette Dad aus dem ländlichen Mittleren Westen. Auf dem Parteitag macht er, wofür er auch von jungen Wählern gemocht wird: Er bringt die Dinge authentisch auf den Punkt.

"Coach", ruft die ganze Halle im Stakkato: "Coach, Coach, Coach!" Vizekandidat Tim Walz, der American-Football-Trainer und Lehrer, hat den Delegierten der US-Demokraten zum Ende seiner Rede gerade erklärt, dass er bislang nicht viele solcher großen Auftritte wie auf dem Parteitag der US-Demokraten hatte. Aber etwas von Motivationsreden versteht. Walz, der aktuelle Gouverneur von Minnesota, soll Harris, die aus dem ohnehin demokratisch dominierten Kalifornien kommt, im besten Fall die entscheidenden Stimmen für den Wahlsieg im November bringen.

"Team, es ist das vierte Viertel", beschreibt er die Situation gegen die Republikaner: "Wir liegen ein Field Goal zurück. Aber wir sind in der Offensive und haben den Ball. Wir stürmen das Feld hinunter. Und Junge, haben wir das richtige Team. Kamala Harris ist hart im Nehmen. Kamala Harris ist erfahren. Und Kamala Harris ist bereit. Unsere Aufgabe ist es, zu blocken und zu tackeln. Zentimeter für Zentimeter. Yard für Yard. Telefonanruf für Telefonanruf."

Aufgewachsen ist der 60-jährige Walz in den ländlichen USA im Mittleren Westen. Dort, wo Republikaner und Demokraten um jede Wählerstimme kämpfen, weil sie das Weiße Haus bedeuten könnte. Walz hatte zuvor schon als Abgeordneter im Kongress gesessen. Er sei "ein Highschool-Lehrer in den Vierzigern mit kleinen Kindern" gewesen, erzählt er in Chicago, ohne politische Erfahrung und ohne Geld, der in einem tiefroten Wahlkreis kandidierte. "Aber wissen Sie was? Unterschätzen Sie niemals einen Lehrer an einer öffentlichen Schule. Niemals!" Die Halle jubelt ihm zu, hält die zuvor verteilten "Coach Walz"-Schilder in die Höhe.

"Jeder gehört dazu"

Manche US-Journalisten jazzen die Wahl wegen der beiden Vizekandidaten schon zu einer über die Männlichkeit an sich hoch. Ist Walz der progressive Dad mit ehrlichen Wurzeln, als früherer Soldat, Lehrer und American-Football-Trainer? Und ist sein Gegenstück J.D. Vance auf der republikanischen Seite der toxisch männliche Gegenentwurf, der sein Familienbild und seinen Katholizismus in extreme Forderungen übersetzt? So schwarz-weiß ist es bestimmt nicht, aber: Walz bedient harmlose Klischees eines Familienvaters, die in einer Wahl gegen Donald Trump außergewöhnlich attraktiv werden können.

"Wenn man in einer Kleinstadt aufwächst, lernt man, füreinander zu sorgen", betont Walz seine Idee von Zusammenhalt. "Die Familie von nebenan denkt vielleicht nicht so wie Sie, sie betet vielleicht nicht so wie Sie. Sie liebt vielleicht nicht so wie Sie. Aber sie sind Ihre Nachbarn. Jeder gehört dazu." Als Walz seiner Familie, die zuguckt, seine Zuneigung ausspricht, steht sein Sohn Gus auf, schlägt sich weinend auf die Brust, er kann gar nicht an sich halten vor Emotion; bis ihn seine Mutter und Schwester wieder auf seinen Stuhl zurückziehen.

Walz hat sich in den rund zwei Wochen, seit er als Vizekandidat verkündet wurde, in eine Allzweck-Projektionsfläche verwandelt. Die Republikaner, sagte er, die seien einfach weird, also komisch, womit er einen Trend lostrat. Er zeigt sich als das Gegenteil: als bodenständiger Familienvater, zeigt unverbrauchte Verbindlichkeit. Er spricht von Gemeinschaft und Zusammenhalt, die Republikaner zugleich von Spaltung und "den anderen", als wären diese nicht zu erreichen. Walz erreicht damit auch die jüngere Generation. Schließlich hat er ihr als Lehrer und auch als Vater sein halbes Leben lang zugehört. Die Demokraten versuchen, diese Dinge zu Walz' Superkraft zu kombinieren, die Harris und ihn ins Weiße Haus trägt.

Junge Wähler möchten Authentizität

Früher am Tag, bei einer Informationsveranstaltung darüber, wie Wahlkämpfer die Wähler zwischen 18 und 27 Jahren erreichen könnten, geht es darum, was diese für die Demokraten so wichtige Gruppe wirklich bewegt. "Wir haben noch keine Daten dazu, weil es noch so früh ist", sagt einer der Präsentierenden über Walz, "aber wenn dieser weiße Typ aus Minnesota in Interviews beiläufig darüber redet, was seine 23-jährige Tochter sagt, macht das neugierig." Walz habe zudem als Gouverneur des Bundesstaates einige Gesetze verabschiedet, die dieser Altersgruppe wichtig seien. Auch deshalb redeten junge Wähler über ihn.

Walz ist für die Demokraten ein wichtiger Mittelsmann, weil er bei jungen Wählern besser ankommt als Vance und bisher nicht fest in den Parteilagern verwurzelt sind. Joe Biden hätte im Jahr 2020 ohne die breite Unterstützung dieser Wählergruppe wohl nicht die Präsidentschaft gewonnen. So etwas müssen Harris und Walz wiederholen, sonst schwinden die Chancen auf einen Sieg gegen Trump rapide. Angstmacherei funktioniere nicht bei der Generation Z, berichten die Präsentierenden; die will demnach insbesondere Authentizität, einen Weg in die Zukunft sehen und spüren, dass sie dazugehören. Die Kommunikation untereinander sei in der Generation Z der Schlüssel. Erste Umfragen zeigen, dass Walz authentischer als Vance und auch insgesamt positiver gesehen wird.

Das war auch in den sozialen Netzwerken zu beobachten. Nachdem Harris sich für Walz entschieden hatte, gab es dort Hunderte Beiträge über fiktive "Dad"-Situationen. "Tim Walz steckt Dir 20 Dollar in die Arschtasche, weil er Sorge hat, dass Du nicht genug Benzingeld hast, um wieder nach Hause zu fahren", hieß es in einem; oder: "Tim Walz hupt Dich an der roten Ampel an, bedeutet Dir das Fenster herunterzudrehen und sagt Dir, dass Dein rechter Hinterreifen etwas Luft gebrauchen könnte" in einem anderen. Die Gamer-Website IGN hat zugleich recherchiert, dass Walz der erste "Gamer-Vizepräsident" werden könnte: Er soll ein glühender Nutzer des Sega Dreamcast gewesen sein und einmal so viel gezockt haben, dass ihm seine Frau die Konsole wegnahm.

Bislang funktioniert es

Als Walz als frisch verkündeter Vizekandidat neben Harris durch die umkämpften Bundesstaaten tourte, teilte er bei X ein typisches Kochrezept aus dem Mittleren Westen. Mehr als 1,5 Millionen Mal wurde sein Truthahn-Gericht angesehen, mehrmals nachgekocht. Das Urteil einer Nutzerin: "Lasst ihn kochen!" Es sind solche Dinge, die ihn ins Gespräch bringen. Oder als Walz beim Parteitag interviewt wurde: Da zeigten ihm seine beiden Kinder hinter seinem Rücken Hasenohren. Walz teilte das Video danach selbst. Manches davon ist Spin, aber: Er funktioniert. Walz hat nun mindestens bei den Demokraten das Image des netten Dads mit großer sozialer Ader, der Harris in ihrem Wahlkampf unterstützt, damit jemand wie Donald Trump seinen Kindern und anderen nicht die Zukunft versaut.

Sowohl Walz als auch der Republikaner Vance sollen für ihre Kandidaten die Wähler im Mittleren Westen anlocken. Sie vertreten dabei unterschiedliche Gegenden: Der Demokrat stellt seine Herkunftsregion als familienfreundlich, arbeitsam und sozial dar; landwirtschaftlich und von kleinen Orten geprägt. Vance hingegen spricht über den Teil, der Trump 2016 den Wahlsieg brachte: Den Rostgürtel, wo Industriestädte und Menschen einen Niedergang erlebt haben und sich nach Aufmerksamkeit sehnen. Und wer bringt den Ball im November über die Linie?

Quelle: ntv.de


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