Männer müssen Feministen werden

  25 April 2016    Gelesen: 960
Männer müssen Feministen werden
Es ist ein Missverständnis, dass sich der Kampf um Gleichberechtigung gegen sie richtet. In Wirklichkeit kann der Feminismus Männer und Frauen gleichermaßen befreien.
Frauen besetzen die wichtigsten Staatsämter, kontrollieren den Zugang zu den Ressourcen und haben die gut bezahlten Jobs an sich gerissen. In Deutschland herrscht Staatsfeminismus. Männer fühlen sich unterdrückt und ihre Bedürfnisse nicht ernstgenommen. Diese Zukunftsvision entwirft Karen Duve in ihrem satirischen Roman "Macht" und überspitzt dabei ein gängiges Verständnis von Feminismus, das eigentlich ein Missverständnis ist. Denn wer glaubt, Frauen würden am liebsten einfach die Machtverhältnisse umkehren, hat nicht verstanden, dass Gleichberechtigung - also das, worauf Feminismus zielt - nur funktioniert, wenn Männer und Frauen zusammenarbeiten. Es mag absurd klingen, aber der Feminismus braucht die Unterstützung der Männer.

Wenn wir - als Frauen - um uns blicken, sehen wir: Männer. Ein System aus Boys Clubs, das sich selbst erhält und Frauen ausschließt. Das Ausschließen funktioniert subtil: Zum Beispiel, indem man uns suggeriert, dass Frauen angeblich aus evolutionären Gründen weniger Ambitionen auf Karriere hätten. Klingt wissenschaftlich, ist aber zu kurz gedacht. Was Studien stattdessen tatsächlich zeigen, ist, wie erfolgreich das Patriarchat sich selbst am Leben erhält als eine Gesellschaftsordnung, in der "männlich" die Norm und "weiblich" die Abweichung ist.

Einer, der diese Zusammenhänge seit Langem erforscht, ist der Soziologe Michael Meuser. Seine These: Unsere Gesellschaft wird nach wie vor von "homosozialen Gemeinschaften" dominiert. Darunter versteht Meuser Männerrunden wie Studentenverbindungen, Stammtische oder Fußballvereine, in denen Frauen de facto abwesend sind. Meuser kommt zu dem Schluss, dass Männer sich unter Geschlechtsgenossen am wohlsten fühlen, weil dann die "Anforderungen an die Selbstbeherrschung" vermindert seien und man mit den Kumpels am besten "Spaß haben" und "Blödsinn reden" könne. Keine böse Absicht also, sondern Gewohnheit.

Feminismus ermöglicht es, die Rolle des Mannes neu zu verhandeln

Dem Männlichkeitsforscher zufolge liegt das auch daran, dass in Männerrunden unbewusst eine Rangordnung festgelegt wird, die Männern den Umgang miteinander erleichtert. Solche Monokulturen machen es der Gleichberechtigung schwer. Denn nicht nur Fußball- und Skatabende funktionieren Meuser zufolge nach diesem Muster, sondern auch die Arbeitswelt.

Dort, wo Frauen sich Zugang erzwingen - sei es per Gesetz oder durch gesellschaftlichen Wandel - beobachtet Meuser eine "Krise der Männlichkeit". Die Tatsache, dass die "männliche Herrschaft" (Bourdieu) zunehmend bröckelt, verstärke den Wunsch nach Selbstvergewisserung. Der moderne Mann kann nicht mehr den Patriarchen spielen, hat aber noch kein neues Rollenverständnis gefunden. Um aus dieser Krise gestärkt hervorzugehen, braucht er den Feminismus - verstanden als gemeinsame Anstrengung in Richtung Gleichberechtigung. Denn der Feminismus ermöglicht es, nicht nur die Rolle der Frau, sondern auch die des Mannes neu zu verhandeln.

Die Krise des modernen Mannes ist deshalb eine Chance für unsere Gesellschaft: Meuser beobachtet, dass immer mehr Männer über genügend Selbstbewusstsein verfügen, dass sie den Rückzug in die Boys Clubs zur Selbstvergewisserung ihrer Männlichkeit nicht mehr nötig haben. Auf diese Männer sind wir Frauen angewiesen. Nicht, weil wir starke Beschützer bräuchten oder nicht selbst für uns sprechen könnten. Sondern, weil ohne die Solidarität unserer Partner, Väter und Kollegen Gleichberechtigung keine Chance hat. Das ist kein Rückzug in die Opferrolle, sondern ein Appell an diejenigen, die derzeit faktisch die Gestaltungsmacht besitzen: Männer eben.

Frauen bleiben systematisch ausgeschlossen

Denn ein Blick in die öffentliche Sphäre zeigt, wie es im Moment um die Gestaltungsmöglichkeiten von Frauen steht: Es gibt in Deutschland elf Prozent C4-Professorinnen, neun Prozent Bürgermeisterinnen, acht Prozent Tatort-Regisseurinnen, fünf Prozent Frauen in Dax-Vorständen, zwei Prozent weibliche Chefredakteure in deutschen Medien. Diese Zahlen sammelte die Publizistin Anke Domscheit-Berg in ihrem Buch "Ein bisschen gleich ist nicht genug!". Sie machen sprachlos.

Seit 1949 behauptet das Grundgesetz: "Männer und Frauen sind gleichberechtigt." Dort steht auch, dass der Staat auf die Beseitigung bestehender Nachteile hinwirken soll. Bis Elisabeth Schwarzhaupt die erste deutsche Ministerin wurde, vergingen dennoch zwölf Jahre. Bis zur ersten Bundeskanzlerin sogar 56 Jahre. Aber immerhin: Jetzt gibt es Angela Merkel. Ist sie der Beweis dafür, dass Chancengleichheit erreicht ist? Wohl kaum. Dass wir eine Bundeskanzlerin haben, bildet den Alltag nicht ab. In der freien Wirtschaft haben sich gerade mehrere Großkonzerne die Zielgröße "Null" für ihre Frauenquote im Vorstand gesetzt. Porsche, Commerzbank, Eon, ThyssenKrupp und Infineon gehören dazu. Dieses selbst gesteckte Ziel gilt bis 2022, die Hausregeln des Boys Clubs ändern sich nicht.

Bis auf Ausnahmen bleiben Frauen systematisch aus den Kreisen ausgeschlossen, die die Zukunft unserer Gesellschaft gestalten. Schade ist das nicht nur für jene Frauen, die um Karrieremöglichkeiten gebracht werden. Sondern auch für unsere Gesellschaft als Ganzes, weil sie sich damit gut die Hälfte ihres Potenzials entgehen lässt. Hier bräuchten wir Männer, denen es nicht egal ist, dass ihre Töchter es vermutlich nie so weit bringen werden wie sie selbst - einfach nur, weil sie das falsche, das "andere Geschlecht" haben.

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