Wir sollten muslimischen Mitbürgern die Hand reichen

  27 April 2016    Gelesen: 557
Wir sollten muslimischen Mitbürgern die Hand reichen
Die AfD liegt falsch: Der Islam ist keine politische Ideologie. Aber religiöser Fundamentalismus und Extremismus sind bei Muslimen in stärkerem Maß vertreten als bei Christen oder säkularen Bürgern.
Um es gleich am Anfang klarzustellen: Der Islam gehört zu Deutschland wie das Judentum, das Christentum oder andere Religionen, die die Globalisierung bei uns heimisch werden lässt. Wie alle Weltreligionen basiert er auf kanonischen Texten, die einerseits erbaulich und tröstlich, andererseits aber auch gewalttätig und verstörend sein können.

Wenn diese Texte buchstabengenau und als Leitlinien für alltägliches Handeln genommen werden, sprechen wir von Fundamentalismen, wenn man mit diesen Quellen auch politische Ambitionen legitimiert, von politisierten Religionen.

Ja, es gibt den politischen Islam, und er stellt in vielen Ländern ein großes Problem dar. Das heißt aber nicht, wie die AfD behauptet, dass der Islam eine politische Ideologie sei. Diese Behauptung ist im besten Fall ein Zeichen denkbar schlichter Gedankenführung und wissenschaftlicher Unkenntnis, wahrscheinlich aber eher ein politisches Kalkül, das Halbwahrheiten, Verdrehungen, Falschaussagen und ernsthafte Kritik zu einem unverdaulichen Brei verknetet, um vorhandene Vorurteile in der Bevölkerung zu bedienen und eine potenzielle Wählerklientel zu sichern.

So gesehen sind die rechtspopulistischen Aussagen im viel diskutierten Vorschlag der Partei zum Bundesparteitag natürlich skandalös, wie ja bereits ausführlich in Kommentaren beschrieben wurde, doch das eigentlich Ärgerliche ist, dass jegliche Kritik am radikalen und auch am konservativen Islam jetzt Gefahr läuft, als rechtspopulistisch denunziert zu werden.

AfD-Argumente gegen den Islam

Ein Beispiel ist Hamed Abdel-Samad, der ein wichtiges und äußerst kontrovers besprochenes Buch über den Propheten Mohammed vorgelegt hat und im ARD-"Nachtmagazin" sagte, man müsse Kritik am Islam auch äußern können, wenn die AfD die gleichen Argumente vortrage. "Wenn die AfD sagt, die Sonne scheint heut, dann würde ich nicht widersprechen", sagte der streitbare Publizist und erntete dafür postwendend den Vorwurf, die AfD zu unterstützen, obwohl er sehr deutlich klargemacht hatte, dass dies nicht der Fall ist.

Eine Auseinandersetzung mit dem Islam wird dringend benötigt. Die Gruppe der in Deutschland lebenden Muslime ist zu groß, als dass man einfach sagen könnte, es sei bedeutungslos, ob sich die Gläubigen mit unseren Normen und Werten sowie der Lebensweise in unserer Gesellschaft einverstanden erklären oder nicht. Die Wahrheit ist: Viele tun dies, andere aber nicht.

Religiöser Fundamentalismus und Extremismus sind bei Muslimen in stärkerem Maß vertreten als bei Christen oder säkularen Bürgern. Wie der Psychologe Ahmad Mansour schreibt, gibt es eine "Generation Allah" unter in Deutschland geborenen muslimischen Jugendlichen und eine verstärkte identitäre Abkopplung von unserer Gesellschaft. Ähnliche Ergebnisse habe ich bei meinen eigenen Forschungen festgestellt. Schüler erzählten mir freimütig, dass sie glauben, im Paradies die Gewinner zu sein, wenn sie sich den Regeln des strengen Islam unterwerfen, und dass die Ungläubigen, also wir Nichtmuslime, dann bereits im ewigen Höllenfeuer schmoren würden.

Um sich das Paradies zu sichern, da waren sie sich einig, sollten sie sich möglichst wenig mit Ungläubigen einlassen. Auf dem Boden solcher Vorstellungen gedeihen Radikalität und Gewaltbereitschaft. Das ist das zweite Problem. Trotz aller Präventionsprogramme ist die Zahl derjenigen, die sich dem IS anschließen, noch immer beunruhigend hoch, und es gibt eine ernsthafte Gefahr terroristischer Anschläge für die Bevölkerung.

Sorge um konservativen Mehrheitsislam

Sorge muss einem zudem der Umstand bereiten, dass auch in Teilen des konservativen Mehrheitsislams problematische Vernetzungen mit ausländischen islamistischen Organisationen vorhanden sind. Einige muslimische Gemeinschaften sind der Muslimbruderschaft zuzurechnen, der mitgliederstärkste muslimische Verband Ditib ist fest mit dem türkischen Religionsministerium verbunden, das wiederum der islamistischen Religionspolitik der Regierung Erdogan folgt, und etliche marokkanische Moscheen fallen dadurch auf, dass sie immer wieder salafistische Hassprediger einladen, die dann die Jugend indoktrinieren. Hier gibt es echten Handlungsbedarf – und nicht bei der Einrichtung von Moscheen oder dem muslimischen Glaubensbekenntnis.

Der zitierte problematische Befund ist allerdings nur eine Seite des deutschen Islam. Die andere Seite ist vielfältig, bunt und überaus liebenswert. An deutschen Universitäten können wir derzeit einen Aufbruch geistreicher muslimischer Intellektueller beobachten, unter ihnen Professor Mouhanad Khorchide aus Münster, der Ideen des Humanismus mit dem Islam verbindet und die Idee einer umfassenden göttlichen Barmherzigkeit entwickelt hat.

Es gibt muslimische Künstler, Schriftsteller, Politiker und Aktivisten, die Klartext reden, an einer islamischen Aufklärung arbeiten und in jeder Hinsicht vorbildhaft für Muslime und Nichtmuslime sein sollten.

Es gibt Sufis, die einen Islam des Herzens predigen und die spirituelle Nähe zu Gott suchen, muslimische Pfadfinder, die Kränze auf jüdischen Gedenkstätten niederlegen, und muslimische Gemeinschaften, die sich zunehmend öffnen und in ihrer Heimat Deutschland sozial und politisch einbringen.

All diesen muslimischen Mitbürgern sollten wir die Hand reichen und sie in jeglicher Hinsicht unterstützen. Das heißt aber auch, ihre Religion ernst zu nehmen und sie nicht mit abenteuerlichen Stereotypen zu brüskieren.

Islam als Bereicherung

Zusammengefasst bedeutet das, sich zur Anerkennung des Islam in Deutschland zu bekennen, gleichzeitig aber zu fragen, wie dieser Islam denn beschaffen sein soll. Im Frankfurter Forschungszentrum Globaler Islam widmen wir uns genau dieser Frage und diskutieren sie mit Muslimen und Nichtmuslimen, mit Islamwissenschaftlern, Politikern, Angehörigen der Sicherheitsorgane, mit Lehrern, Sozialarbeitern und Integrationsbeauftragten.

Einfache Lösungen gibt es dabei nicht, und es sollte auch gewährleistet werden, möglichst viele in die Diskussion einzubeziehen, Muslime und Nichtmuslime sowie Neuzuwanderer und Alteingesessene, damit wir sicherstellen können, dass der Islam in Deutschland in Zukunft einer sein wird, der unser Land bereichert und nicht beunruhigt.

Quelle : welt.de

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