Während Peking und Brüssel hinter den Kulissen immer noch um einen Ausweg aus den seit wenigen Tagen geltenden Autozöllen auf Importe aus China ringen, gibt eine Analyse im Auftrag des "Handelsblatts" dem Streit um wettbewerbsverzerrenden Subventionen in China neue Nahrung. Bilanzexperten konnten laut dem Blatt nicht nur die finanzielle Förderung für die Branche beziffern, sondern auch Verschleierungsversuche in den Bilanzen der chinesischen Autohersteller nachweisen.
Zwischen 2021 und 2023 sollen demnach umgerechnet mehr als 5,7 Milliarden Euro an direkten Fördergeldern aus staatlichen Kassen an über ein Dutzend chinesische Autobauer wie Dongfeng, GAC oder BAIC geflossen sein. Die fünf großen Autobauer SAIC, Changan, FAW, Great Wall Motor und BYD hätten dazu noch rund zehn Milliarden Euro an steuerlichen Erstattungen und Vergünstigungen kassiert, heißt es.
Zu diesen direkten Zahlungen kämen noch die "indirekten" Hilfen hinzu, in Form der Bereitstellung von billigem Strom, Baugrund unter Wert und Krediten von Staatsbanken zu günstigen Konditionen. Diese Hilfen seien noch viel gewichtiger, zitiert das Blatt Gregor Sebastian, Senior Analyst beim Analysehaus Rhodium Group. Wenn Unternehmen, die Geld verbrennen, Kredite mit sehr niedrigen Zinsen erhalten würden, spreche viel dafür, "dass dahinter ein Staat steht, der das Ziel hat, solche Unternehmen zu fördern und am Leben zu halten", urteilt die Bilanzexpertin Carola Rinker.
Die aktuelle Analyse deckt sich mit einem Bericht des US-Thinktanks Center for Strategic and International Studies (CSIS) aus dem Juni, in dem ein größeres Zeitfenster in Augenschein genommen wurde. Demnach steckte Peking zwischen 2009 und 2023 mindestens 230,8 Milliarden US-Dollar in die E-Auto-Industrie. Inbegriffen waren Käuferrabatte - die im vergangenen Jahr ausgelaufen sind, Ausnahmen von der Mehrwertsteuer, Ausgaben für die Infrastruktur, insbesondere für Ladesäulen, Forschungs- und Entwicklungsprogramme für die Hersteller und Käufer von Elektroautos durch den Staat. Nach Angaben der Denkfabrik handelte es sich dabei um eine "sehr konservative Schätzung".
Die Bilanzexperten fanden bei ihren jüngsten Recherchen für das "Handelsblatt" aber noch etwas heraus: Die Geschäftsberichte chinesischer Autobauer sind in den vergangenen Jahren offenbar undurchsichtiger geworden. Bestimmte vorteilhafte Posten seien in den Geschäftsberichten zunehmend versteckt, heißt es. Als Beispiele werden die Autobauer BYD und Nio genannt. Bei BYD seien staatliche Subventionszahlungen in den Anhang des Bilanzberichts gewandert. Die Bilanzierung beider Autobauer weise zudem ein Phänomen auf, das sich aus der Bilanz heraus nicht erklären lasse: Während die Umsatzerlöse in den vergangenen Jahren gestiegen sind - bei BYD haben sie sich innerhalb von vier Jahren fast verfünffacht -, sind die Zinsaufwendungen gesunken.
Wenn die Autobauer ihr schnelles Wachstum nicht mit Krediten stemmen, müsste es sich hierbei um Eigenkapital handeln. Laut der Expertin Trinker findet sich dafür allerdings kein Hinweis in der Bilanz. Nio schreibt seit Jahren hohe Verluste. Dass der Autobauer im September trotzdem von der Provinzregierung Heifei eine Finanzspritze von fast einer Milliarde Euro erhalten hat, erhärtet aus Sicht der Expertin den Subventionsverdacht.
"Dass derartige Dinge verschleiert werden, liegt in der Natur der Dinge", sagt Branchenkenner Frank Schwope von der Fachhochschule des Mittelstands in Hannover ntv.de. Die neuen Erkenntnisse könnten die Verhandlungsposition der europäischen Hersteller und der EU gegenüber der chinesischen Regierung deshalb stärken.
"Man sucht Gründe, um Zollmauern aufzubauen"
Die einhellige Meinung in der Branche: Viele der chinesischen Autobauer wären ohne die gewährte staatliche Hilfe wohl kaum überlebensfähig. Dass Peking die heimische Autoindustrie mit großen Summen steuert, wird auch an einem anderen Beispiel deutlich. Während hierzulande in der Autoindustrie Hunderttausende Stellen abgebaut werden, explodieren in China die Beschäftigtenzahlen in der Branche. BYD zählt nach "Handelsblatt"-Informationen mittlerweile etwa 900.000 Mitarbeiter. Laut BYD wurden allein in den vergangenen drei Monaten 200.000 neue Beschäftigte eingestellt. Der gesamte Volkswagenkonzern hat zum Vergleich "nur" 300.000 Mitarbeiter, und von ihnen müssen inzwischen Tausende um ihre Jobs bangen. Während die Personalaufwandsquote bei BMW und Mercedes mit unter 10 Prozent beziffert wird, liegt sie bei chinesischen Herstellern jenseits der 15 Prozent.
Die Europäische Union hat die Subventionspraktiken in China mit Schutzzöllen geahndet. Seit November gelten bis zu 35,3 Prozent auf chinesische Elektroauto-Importe. Berlin pocht auf eine Verhandlungslösung, ein Handelskonflikt soll abgewendet werden. Auch die deutschen Autobauer warnen vor den Folgen. Das Problem: Europäische Hersteller wie Volkswagen werden durch die EU-Zölle sogar stärker belastet als ihre chinesischen Wettbewerber. Volkswagen muss nach aktuellem Stand für aus China importierte E-Autos einen Zoll von 20,7 Prozent zahlen, während er für die chinesischen Hersteller BYD und Geely 17 beziehungsweise 18,8 Prozent beträgt. Die Bandbreite für zusätzliche Importzölle reicht von 7,8 Prozent für Tesla bis zu 35,3 Prozent für SAIC. Dadurch entstehen aus Sicht der Branche neue Wettbewerbsverzerrungen
Chinas Staatsführung weist die Kritik an der Förderung von Zukunftsindustrien weiterhin zurück. Ihr Argument: Auch in anderen Ländern werden strategisch wichtige Branchen staatlich gefördert. Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer pflichtet bei: "Die Bereitstellung von billigem Strom, Baugrund unter Wert sowie Krediten von Staatsbanken zu 'außergewöhnlich günstigen Konditionen' ist doch auch in der EU Tagespraxis." Allein in Deutschland flössen Milliarden-Steuergelder an US-Halbleiter-Unternehmen wie Intel oder Wolfspeed, die Chipfabriken bauen. "Was hat man denn für Tesla in Grünheide alles gemacht?"
Auch wenn das offizielle Ziel hierzulande ein anderes ist - es geht es darum, die Transformation zur E-Mobilität zu fördern, nicht die heimische Industrie - sieht Dudenhöffer das eigentliche Problem woanders: "Wir sind müde in Deutschland und Europa." Die Chinesen hätten sich zum Technologieführer aufgeschwungen, bei Batterie, bei Smart Cockpit und autonomem Fahren. Aus Angst oder Neid würde nun der "Teufel an die Wand gemalt". "Man sucht Gründe, um Zollmauern aufzubauen."
Quelle: ntv.de
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