So vertrieb die "Chicken Tax" den VW Bulli aus den USA

  28 November 2024    Gelesen: 49
  So vertrieb die "Chicken Tax" den VW Bulli aus den USA

Was hat Geflügel mit Autos zu tun? An billigem Hähnchenfleisch entzündete sich vor 60 Jahren ein Zollstreit, der bis heute den US-Automarkt prägt.

Globaler Freihandel gerät aus der politischen Mode. Mit dem wirtschaftlichen Erstarken Chinas gewinnt im Westen wieder der lange Zeit verpönte Protektionismus an Reiz. Neu sind Handelsstreitigkeiten und Sonder-Zölle jedoch nicht: In den USA feiert nun die sogenannte "Chicken Tax" ihren 60. Geburtstag. Eigentlich als kurzfristige Maßnahme geplant, prägt sie den Nutzfahrzeugmarkt bis heute.

Ihre Wurzeln hat die Hähnchen-Steuer in der Nachkriegszeit. Das Geflügel galt damals vor allem in Europa noch als eine Art Luxusgut, hatte in der bürgerlichen Küche eine ähnliche Rolle wie noch vor wenigen Jahren der Lachs. Die USA begannen zu dieser Zeit mit der industriellen Produktion von Hühnerfleisch und überschwemmten nach dem heimischen auch den europäischen Markt mit dem billigen Protein für die wachsende Wohlstandsgesellschaft.

Vorwurf: unfaire Produktionsvorteile

Deutschland und Frankreich, in Sorge um die eigenen Landwirte, erhoben Anfang der 1960er-Jahre daraufhin Zölle. Begründet wurden diese - eine Parallele zu heute - mit unfairen Produktionsvorteilen. So warf man den USA vor, das Fleisch zu Preisen unterhalb der Herstellungskosten anzubieten. Deutsche Bauernverbände warfen US-Geflügelfirmen vor, Hühner künstlich mit Arsen zu mästen und die Franzosen vermuteten den Einsatz ungesunder Hormone.


"Chicken Tax" bremst AmarokVW steigt in USA mit Marke Scout in SUV-Markt ein
Nach langen, wenig erfolgreichen Verhandlungen reagierten die USA 1964 mit einer 25-prozentigen Gegen-Steuer auf die Einfuhr von Kartoffelstärke, Maltodextrin sowie Brandy. Und auf leichte Nutzfahrzeuge. Während die Zölle auf die landwirtschaftlichen Produkte längst aufgehoben wurden, besteht die Abgabe auf importierte Pickups und leichte Transporter bis heute fort. Beabsichtigt war das ursprünglich wohl nicht, die Zölle waren vor allem strategischer und symbolischer Natur.

Die Folgen der spöttisch "Chicken Tax" genannten Zölle sind bis heute sicht- und spürbar. Das leichte Nutzfahrzeugsegment, zu dem neben Lieferwagen auch Pick-ups und bestimmte SUV zählen, wird seit Jahrzehnten von einheimischen Herstellern wie Ford und General Motors dominiert.

Importeure aus Asien und Europa versuchten anfangs noch, die Zölle zu umgehen, etwa durch Teilmontagen vor Ort, zogen sich letztlich aber zum Großteil vom Markt zurück. Zu den Opfern dieser Politik zählte auch der VW Bulli in seinen Nutzfahrzeug-Varianten, Pritschenwagen wie der Toyota Publica und der Datsun Sunny Truck verschwanden praktisch über Nacht. Noch heute sind globale Pick-up-Bestseller wie der Toyota Hilux oder der VW Amarok in den USA nicht zu bekommen.

Geschäft mit leichten Nutzfahrzeugen profitabel

Dass die "Chicken Tax" auf leichte Nutzfahrzeuge immer noch besteht, hat vor allem mit dem Einfluss der US-Autoindustrie sowie der Gewerkschaften auf die Handelspolitik in Washington zu tun. Zu profitabel ist das so konkurrenzarme wie margenstarke Geschäft mit den leichten Nutzfahrzeugen.

Dabei sind die negativen Effekte nicht zu übersehen. So ermöglicht der geringe Wettbewerb den US-Herstellern, höhere Preise für ihre Pickups und Lieferwagen zu verlangen. Dies belastete die Verbraucher finanziell, insbesondere diejenigen, die auf leichte Nutzfahrzeuge angewiesen waren. Gleichzeitig führte der Mangel an kleineren, effizienteren ausländischen Modellen dazu, dass im US-Markt größere, weniger umweltfreundliche Fahrzeugen dominant wurden. Auch der global einmalige Erfolg der großen US-Pick-ups in ihrer Heimat ist zumindest teilweise auf die Zölle zurückzuführen, da kleinere europäische Modelle vom Markt vertrieben wurden.

Der Schutz vor ausländischer Konkurrenz verringerte den Innovationsdruck auf US-Hersteller. Dies zeigte sich besonders deutlich, als steigende Treibstoffpreise und wachsende Sorgen um den CO2-Ausstoß die Nachfrage nach effizienteren Fahrzeugen erhöhten. Die US-Hersteller waren darauf schlecht vorbereitet. Während in Deutschland bereits diverse elektrische Nutzfahrzeuge auf dem Markt sind, beschränkt sich das Angebot der klassischen US-Marken bislang auf ein paar Leuchtturm-Modelle wie den F-150 Lightning, der aber bislang alles andere als ein Verkaufserfolg ist.

Neue Brisanz

Heute gewinnt die "Chicken Tax" in der aktuellen Debatte um Protektionismus neue Brisanz. Während der durchschnittliche US-Einfuhrzoll auf Industrieprodukte bei 2 Prozent liegt, besteht die 25-prozentige Abgabe auf leichte Nutzfahrzeuge weiterhin. Der zukünftige US-Präsident Donald Trump hat angekündigt, im Falle seiner Wiederwahl einen generellen Einfuhrzoll von 10 Prozent auf alle Importe einzuführen, mit zusätzlichen Zöllen von bis zu 60 Prozent speziell für Importe aus China.

Die EU sieht sich angesichts dieser Entwicklungen mit der Herausforderung konfrontiert, möglicherweise gleichzeitig Handelskonflikte mit den USA und China bewältigen zu müssen. Im E-Auto-Konflikt mit dem Reich der Mitte gelten seit Kurzem bereits neue Sonderzölle. Revanche-Abgaben auf europäische Produkte könnten die Situation weiter verschärfen.

Die "Chicken Tax" zeigt exemplarisch, wie handelspolitische Maßnahmen langfristige und oft unbeabsichtigte Folgen haben können. Was als kurzfristige Vergeltungsmaßnahme begann, hat den US-Automarkt nachhaltig geprägt und bleibt auch 60 Jahre später ein relevanter Faktor in der globalen Handelspolitik. In Zeiten zunehmender protektionistischer Tendenzen weltweit zeigt sie die langfristigen Auswirkungen solcher Maßnahmen.

Quelle: ntv.de, Holger Holzer, sp-x


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