Irgendetwas stimmt nicht mit unserer Vorstellung vom Universum. Wir wissen, dass es sich ausdehnt. Auch können Kosmologen die Geschwindigkeit berechnen, mit der es sich ausdehnt: die Hubble-Konstante. Sie greifen dabei auf die Gesetze der Physik zurück. Aber als vor mehr als einem Jahrzehnt mit Teleskopen nachgeschaut wurde, stellten Forscher fest, dass die Hubble-Konstante offenbar doch höher ist als gedacht.
Neueste Daten des Weltraumteleskops James Webb bestätigen nun, dass es sich nicht um einen Messfehler handelt, was zunächst auch für möglich erachtet wurde. Die Hubble-Konstante, die Ausdehnungsrate des Universums, ist zu niedrig angesetzt. Sie basiert auf dem Standardmodell der Kosmologie, das anhand der Hintergrundstrahlung, die vom Urknall übrig blieb, berechnet wurde.
Forscher um den Nobelpreisträger Adam Riess von der Johns Hopkins University in Baltimore haben dies in einer aktuellen Studie bestätigt. Sie verglichen Beobachtungen des modernen Weltraumteleskops James Webb mit jenen des Hubble-Weltraumteleskops und konnten Letztere bestätigen. Dabei wurden die Entfernungen zu Galaxien gemessen, in denen Supernovae, also Sternexplosionen, erkennbar sind. Die Ergebnisse wurden verglichen und stellten sich als weitgehend identisch heraus - das All dehnt sie tatsächlich schneller aus als erwartet.
Rund fünf Kilometer pro Sekunde schneller
Das Standardmodell der Kosmologie sagt eigentlich eine Hubble-Konstante von 67 bis 68 Kilometern pro Sekunde pro Megaparsec voraus, ein Megaparsec ist eine astronomische Längeneinheit und entspricht 3,26 Millionen Lichtjahren. Ein Lichtjahr ist die Strecke, die das Licht in einem Jahr zurücklegt - rund 9,4 Billionen Kilometer. Die mit Teleskopen gemessene tatsächliche Ausdehnung des Universums liegt jedoch im Schnitt bei 73 Kilometern pro Sekunde pro Megaparsec.
Wie kann man sich diese Ausdehnung des Universums vorstellen? Es ist wie bei einem aufgehenden Rosinenteig im Ofen - je weiter die Rosinen voneinander getrennt liegen, desto schneller entfernen sie sich voneinander, wenn der Teig sich ausdehnt. Im Universum ist es ähnlich: Weit entfernte Objekte entfernen sich immer schneller von uns. Galaxien am Rande des beobachtbaren Universums entfernen sich wahrscheinlich sogar mit Überlichtgeschwindigkeit von uns - was eigentlich verboten scheint, weil sich nichts schneller als Licht durch den Raum bewegen kann. Allerdings ist es in diesem Fall der Raum selbst, der sich ausdehnt.
"Unser Verständnis möglicherweise unvollständig"
Diese Diskrepanz zwischen der Hubble-Konstante und der tatsächlichen Ausdehnungsgeschwindigkeit wird als Hubble-Spannung bezeichnet. Ihre Existenz deutet laut Riess darauf hin, dass "unser Verständnis des Universums möglicherweise unvollständig ist", wie er laut einer Mitteilung seiner Universität sagte. Die im Fachmagazin "The Astrophysical Journal" veröffentlichte Studie baut auf Riess' nobelpreisgekrönter Entdeckung auf, dass sich die Expansion des Universums aufgrund einer mysteriösen Dunklen Energie beschleunigt, die weite Bereiche des Raums zwischen Sternen und Galaxien durchdringt.
Über den Grund für die unerwartet schnelle Ausdehnung des Universums können Forscher bisher nur spekulieren. Eine mögliche Erklärung sei, dass in unserem Verständnis des frühen Universums etwas fehlt, sagt Marc Kamionkowski, Kosmologe der Johns Hopkins University, der nicht an der neuen Studie beteiligt war. Denkbar sei eine neue Materie-Komponente, etwa eine frühe dunkle Energie, die dem Universum nach dem Urknall einen unerwarteten Schub verlieh. "Und es gibt noch andere Ideen, wie seltsame Eigenschaften der dunklen Materie, exotische Teilchen, sich verändernde Elektronenmasse oder primordiale Magnetfelder, die den Zweck erfüllen könnten", so Kamionkowski. Der Fantasie sind derzeit kaum Grenzen gesetzt.
Quelle: ntv.de, kst
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