Ländervergleich: So mangelhaft sind Ganztagsschulen

  28 April 2016    Gelesen: 712
Ländervergleich: So mangelhaft sind Ganztagsschulen
In vielen Regionen werden Ganztagsschulen ihrem Namen nicht einmal ansatzweise gerecht. Das ist das Ergebnis eines Bundesländervergleichs. Lediglich zwei Bundesländer schneiden gut ab.
Schon an die Daten zu gelangen, war offenbar schwierig. "Teilweise brauchten wir fast schon kriminalistische Energie, um von den Bundesländern die Zahlen zu bekommen, die wir benötigten", sagt Dirk Zorn von der Bertelsmann-Stiftung.

Zusammen mit dem Essener Bildungsforscher Klaus Klemm hat Zorn untersucht, wie die einzelnen Bundesländer ihre gebundenen Ganztagsschulen ausstatten: Wie viel zusätzliche Lernzeit gibt es in den verschiedenen Schulformen? Wie viel Personal wird dafür zur Verfügung gestellt? Und: Wie viel Geld geben die Länder für ihre Ganztagsschüler zusätzlich aus?

Die Forscher werteten dafür die entsprechenden Landesschulgesetze und statistische Daten aus. Untersucht wurde dabei nur die Situation gebundener Ganztagsschulen, also der Schulen, in denen die Schüler verpflichtet sind, an mindestens drei Wochentagen jeweils mindestens sieben Stunden am Unterricht teilzunehmen. Bildungseinrichtungen mit freiwilligem Nachmittagsangebot, der so genannte offene Ganztag, blieben außen vor.

6321 gebundene Ganztagsschulen gibt es derzeit in Deutschland, mit steigender Tendenz - ziemlich genau jede fünfte Schule hat also verpflichtenden Nachmittagsunterricht, knapp 1,7 Millionen Schüler besuchen diese Einrichtungen (17,6 Prozent aller Schüler).

"Ein konzeptionelles Vakuum"

Völlig überraschend sei es gewesen, wie unterschiedlich die Ausstattung in den einzelnen Ländern und Schulformen ist, sagt Jörg Dräger, Vorstandsmitglied der Bertelsmann-Stiftung. Er spricht von einem "konzeptionellen Vakuum". Tatsächlich sind die Vorgaben der Kultusministerkonferenz in dieser Hinsicht ziemlich vage.

"Drei mal sieben und ein warmes Mittagessen - das reicht", fassen Kritiker die entsprechenden Regelungen spöttisch zusammen. Pädagogische Kriterien? Fehlanzeige.

So ist es wenig erstaunlich, dass die einzelnen Bundesländer unter Ganztagsschule etwas ganz unterschiedliches verstehen. "Der quantitative Ausbau war nicht an einheitliche Qualitätsstandards gekoppelt", stellen die Forscher lakonisch fest.

Laut einer anderen aktuellen Studie profitieren Ganztagsschüler tatsächlich vor allem auf der persönlichen Ebene: Sie fühlen sich motiviert und anerkannt, und besonders das Sozialverhalten von Schülern aus bildungsferneren Familien bessert sich. Anders sieht es bei den schulischen Leistungen aus. Obwohl es gerade in diesem Punkt große Erwartungen gab, bleiben hier positive Auswirkungen aus.

Die Ergebnisse der Bertelsmann-Studie im Überblick:

Die zusätzliche Lernzeit ist an Ganztagsgrundschulen höher als an weiterführenden Schulen. Liegt sie im Primarbereich bei durchschnittlich 14 Wochenstunden, sind es im Bereich der Sekundarstufe I nur noch acht Stunden pro Woche. Dabei ist die Spannbreite enorm, haben die Autoren festgestellt: "In den Grundschulen reicht die zusätzliche Lernzeit von acht (Thüringen, Sachsen, Nordrhein-Westfalen) bis 22 Stunden (Hessen) pro Woche. Auch in der Sekundarstufe I bieten Ganztagsschulen in Hessen mit 16 Stunden die meiste zusätzliche Lernzeit. Mit rund vier Stunden bilden Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen die Schlusslichter."

Auch beim zusätzlichen Personal sind die Bundesländer von einheitlichen Standards meilenweit entfernt. Grundschulklassen erhalten im Schnitt zusätzliche Fachkräfte für zwölf Wochenstunden, weiterführende Schulen für fünf Stunden. Bremen ist hier bei Ganztagsgrundschulen mit drei Stunden am zurückhaltendsten, das Saarland liegt mit knapp 32 zusätzlichen Wochenstunden an der Spitze. In der Sekundarstufe I liegen die Unterschiede zwischen einer bis anderthalb Wochenstunden (Bremen, Sachsen, Thüringen) und zehn zusätzlichen Wochenstunden (Berlin, Rheinland-Pfalz, Saarland).

Die mehr oder weniger üppig ausfallende finanzielle Unterstützung durch die Länder zeigt erschreckende Unterschiede: Im bundesweiten Durchschnitt erhält eine Ganztags-Grundschulklasse pro Jahr 23.000 Euro zusätzlich - von 9000 Euro in Bremen bis zu 52.000 Euro im Saarland. "In gebundene Ganztagsklassen der Sekundarstufe I investieren die Länder durchschnittlich 15.000 Euro zusätzlich", schreiben die Forscher, "hier reicht die Spannweite von 1300 Euro (Sachsen) bis knapp 37.000 Euro (Rheinland-Pfalz) bei Gymnasien und von 2000 Euro (Sachsen) bis 31.000 Euro (Saarland) bei den nicht gymnasialen Schulformen."

Mit anderen Worten: Manche Länder reden bereits vom Ganztag, wenn sie nur vier zusätzliche Wochenstunden anbieten. Und längst nicht in jeder dieser Extrastunden sind Pädagogen anwesend: "Zusätzliche Lernzeit und Personalausstattung sind in vielen Bundesländern nicht aufeinander abgestimmt", lautet das niederschmetternde Ergebnis der Forscher.

"Die geringste Abdeckung im Ländervergleich liegt bei 22 Prozent (Bremen und Hessen), die höchste im Saarland", heißt es mit Blick auf die Grundschulen. Bei den weiterführenden Schulen sieht es teilweise ähnlich schlecht aus: "In der Sekundarstufe I liegt die durchschnittliche Abdeckung bei 69 Prozent (Gymnasien) beziehungsweise 67 Prozent (nicht gymnasiale Schulformen). Die geringste Abdeckung von 20 Prozent findet sich an Thüringer Gymnasien und mit 22 Prozent bei den nicht gymnasialen Schulen in Bremen."
Umso auffälliger ist deshalb das spärliche Lob, das die Autoren der Studie verteilen: "Ein gutes Verhältnis zwischen ausgeprägter zusätzlicher Lernzeit und entsprechender Personalausstattung bieten in allen Stufen gebundener Ganztagsschulen lediglich Berlin und das Saarland." Zumindest bei den weiterführenden Schulen gebe es außerdem "in Rheinland-Pfalz ähnlich gute Rahmenbedingungen".

Solche ausreichenden Rahmenbedingungen, deuten die Forscher zwischen den Zeilen an, seien aber die unbedingte Voraussetzung dafür, überhaupt über qualitativ guten Ganztagsunterricht reden zu können. Ansonsten bleibt der Ganztag - zumindest an vielen Schulen und in etlichen Bundesländern - eine pädagogische Mogelpackung.



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