Warum nicht Putins Milliarden für die Ukraine nutzen?

  02 März 2025    Gelesen: 155
  Warum nicht Putins Milliarden für die Ukraine nutzen?

In Belgien liegen 210 Milliarden Euro der russischen Zentralbank, die nach Beginn des Angriffskriegs eingefroren wurden. Das Geld könnte dafür verwendet werden, die Ukraine wiederaufzubauen. Die Diskussion darüber nimmt Fahrt auf.

Estland lässt nicht locker. Der baltische Staat versucht sich an einem weiteren Vorstoß, das eingefrorene Vermögen der russischen Zentralbank in der EU zu beschlagnahmen, um damit der Ukraine zu helfen. Insgesamt 210 Milliarden Euro aus Moskau liegen auf Konten des Zentralverwalters Euroclear in Belgien. Bislang werden nur die Zinsgewinne daraus für Zahlungen an die Ukraine genutzt -die G7-Staaten sichern dadurch einen 50-Milliarden Dollar schweren Kredit für Kiew ab. Das allein reicht aus estnischer Sicht jedoch nicht aus.

"Die Entscheidung, die Gewinne [aus dem eingefrorenen Vermögen der russischen Zentralbank für die Ukraine] zu verwenden, war ein Schritt in die richtige Richtung. Ich sehe, dass die Zeit jetzt reif ist, den nächsten Schritt zu tun", sagte der estnische Außenminister Margus Tsahkna. Ein entsprechendes Diskussionspapier der Esten macht momentan in Brüssel die Runde. Rückenwind bekommt Tallinn dabei von anderen baltischen und vielen nordeuropäischen Staaten.

Auch Polen und Tschechien unterstützen die Idee. Polens Präsident Donald Tusk forderte vergangene Woche auf X: "Genug geredet, es ist Zeit zu handeln. Lasst uns unsere Hilfe für die Ukraine mit dem eingefrorenen russischen Vermögen finanzieren." Auch der tschechische Premierminister Petr Fiala sagte: "Für die weitere militärische Unterstützung der Ukraine müssen wir Geld aus eingefrorenen russischen Vermögenswerten in ganz Europa verwenden" - vor dem Hintergrund, dass Trump beschlossen habe, "die US-Außenpolitik völlig umzugestalten".

Wiederaufbau der Ukraine kostet 500 Milliarden Euro

US-Präsident Donald Trump dringt auf eine rasche Friedenslösung für die Ukraine, wobei er für die Europäer bislang keinen Platz am Verhandlungstisch reserviert hat. Während eines Eklats vor laufenden Kameras kanzelte Trump am Freitag gemeinsam mit seinem Vize J.D. Vance den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj ab. Dabei wurde offen damit gedroht, die Ukraine militärisch fallen zu lassen.

Zudem betonte Trump, er vertraue Russlands Präsident Wladimir Putin. Angesichts von Trumps offensichtlichem Umschwenken auf die Position Russlands haben die Europäer Zweifel an der Aufrichtigkeit seines Bekenntnisses zur Beistandspflicht, das er zuvor noch bei seinem Treffen mit dem britischen Premierminister Keir Starmer äußerte. Auf Einladung des britischen Premierministers Keir Starmer beraten die europäischen Staats- und Regierungschefs am heutigen Sonntag bei einem Gipfeltreffen in London zur Ukraine. Der Gipfel solle die "gemeinschaftliche und standhafte Unterstützung" Europas für eine Friedenslösung demonstrieren, "welche die künftige Souveränität und Sicherheit der Ukraine sichert", hieß es.

Die Europäer müssen sich die Frage stellen, wie sie möglichst schnell unabhängiger von den USA werden. Sie werden viel Geld brauchen, um die eigene Verteidigung auszubauen, die Finanzhilfen an die Ukraine aufzustocken und den Waffenstillstand dort militärisch abzusichern. Der Bedarf ist riesig: Satte 500 Milliarden Euro zusätzlicher Verteidigungsausgaben veranschlagt die EU-Kommission für einen Zeitraum von zehn Jahren. Die gleiche Summe berechnet die Weltbank für den Wiederaufbau der Ukraine.

Das Hauptargument der Befürworter des estnischen Vorstoßes: Durch die Beschlagnahmung des russischen Zentralbankvermögens würde Russlands Präsident Wladimir Putin in die Pflicht genommen, sich am Wiederaufbau des Landes zu beteiligen, das er durch seine völkerrechtswidrige Invasion zerstört. Russland würde sich ansonsten aus dieser Verantwortung stehlen. Tatsächlich hatte Moskau vor einigen Tagen Bereitschaft signalisiert, einen Teil seiner blockierten Zentralbankgelder zur Verfügung zu stellen. Dieses Angebot beinhaltet aber einen Fallstrick: Ein anderer Teil der Gelder soll für den von russischen Truppen kontrollierten Teil der Ukraine ausgegeben werden.

Russisches Vermögen als Verhandlungspfand

Das wiederum lehnt Estland ab. "Russland einen Teil der Vermögenswerte für den Einsatz in den besetzten Gebieten zu überlassen, bedeutet, die Besetzung einiger Teile der Ukraine durch Russland zu akzeptieren", sagte Tsahkna.

Trotz Tsahknas Bemühungen, Putins Milliarden in Belgien zu beschlagnahmen, räumt Estland ein, welchen Nachteil es gäbe, falls die Gelder sofort losgeeist und an Kiew gesendet würden: Europa gebe damit sein größtes Verhandlungspfand aus der Hand, um bei den von Trump anvisierten Friedensverhandlungen doch noch ernst genommen zu werden. In seinem Diskussionspapier schreibt Tallinn laut Politico, dass "das fortgesetzte Zurückhalten von Vermögenswerten als finanzielles und diplomatisches Druckmittel dient und sicherstellt, dass Russland einen klaren, greifbaren Anreiz hat, eine Einigung auszuhandeln und die Ukraine zu entschädigen."

Es ist nur eines von vielen Argumenten, die Gegner des estnischen Vorstoßes vorbringen. Frankreich, Deutschland, Italien, Spanien und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zeigen sich zurückhaltend. Sie warnen vor rechtlichen Schritten und einer Schwächung des Euro als Reservewährung. Die Befürchtung: Internationale Anleger könnten sich aus Europa zurückziehen, wenn die EU auf das russische Zentralbankvermögen zugreift. Zudem grassiert die Angst vor Putins Gegenmaßnahmen. Laut Eurostat liegen die EU-Direktinvestitionsbestände in Russland bei rund 220 Milliarden Euro, nach Angaben der Bundesbank haben deutsche Firmen dort 22 Milliarden Euro investiert.

Beschlagnahmung könnte gefährlichen Präzedenzfall schaffen

Aus juristischer Sicht wäre es schwierig, eine Beschlagnahmung zu begründen. Ein gefährlicher Präzedenzfall könnte geschaffen werden. Schließlich hatten die europäischen Staats- und Regierungschefs gesetzlich verankert, dass die russischen Vermögenswerte eingefroren bleiben, bis Moskau sich zu Reparationszahlungen bereit erklärt. Es gibt jedoch einige Experten, die juristischen Spielraum sehen, unter ihnen der Anwalt Patrick Heinemann. Er wies Bedenken zurück, eine Beschlagnahme des russischen Vermögens widerspreche dem Rechtsgrundsatz der Staaten-Immunität. Vielmehr sei der eigentliche Eingriff bereits mit dem Einfrieren des Vermögens erfolgt und rechtlich, ähnlich wie bei Sanktionen, durch den Anspruch auf Gegenmaßnahmen gegen völkerrechtswidriges Handeln gedeckt, so Heinemann.

Am Ende steht vielleicht nur die Frage nach dem juristischen Kniff, um Putins eingefrorene Milliarden in Belgien doch noch der Ukraine zukommen zu lassen. Es gab bereits Bedenken, die Zinsgewinne des russischen Zentralbankvermögens für die Ukraine-Hilfen zu verwenden. Aber nachdem der Beschluss dafür gefasst wurde, ist nichts passiert.

Quelle: ntv.de, mit rts/AFP


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