Wenn Kindern keiner glaubt

  02 Mai 2016    Gelesen: 1019
Wenn Kindern keiner glaubt
In den neunziger Jahren stieg der "Maskenmann" in Schullandheime ein, missbrauchte und tötete Kinder. Der ZDF-Film "Im Namen meines Sohnes" erzählt von seinen Opfern.
Zuweilen kommt einem das Leben vor wie eine unlösbare Mathematikaufgabe mit mehreren Unbekannten. Claus Jansen (Tobias Moretti) rechnet 19 Jahre, um eine Lösung zu finden. Er sucht den Unbekannten, der eines Nachts im Schulinternat seinen Sohn aus dem Bett entführte, ihn missbrauchte, umbrachte und in einer Düne vergrub, die Hände auf dem Rücken gefesselt. 13 Jahre alt ist sein Kind da. Die Lücke, die der ermordete Sohn in der Familie hinterlässt, wird für den Vater zum ständigen Aufenthaltsort, zu dem seine Frau Heike (Inka Friedrich) und der jüngere Sohn bald keinen Zugang mehr haben.

Als Polizei und Behörden den Fall ad acta legen, macht Jansen ihn zu seiner Mission, die freilich auch immer eine Passion ist. Er besorgt sich alle Akten und Zeitungsberichte, verteilt Flugblätter, gibt Fernsehinterviews. Bald wird aus seiner Garage ein Detektivbüro, in dem er akribisch Polizeiberichte liest, ähnlichen Fällen nachspürt und seine Verzweiflung hinausschreit.

Ohne Weichzeichner

Im Namen meines Sohnes basiert auf dem wahren Fall des "Maskenmannes", der, beginnend in den frühen neunziger Jahren, Kinder aus Schullandheimen, Internaten und Zeltlagern in Norddeutschland entführte, missbrauchte und ermordete. Mindestens drei Morde und über 40 Sexualdelikte werden ihm zugeschrieben. Kein leichter Stoff für einen Montagsfilm des ZDF. Regisseur und Autor Damir Lukačević ist es dennoch gelungen, einen überaus sehenswerten und wichtigen Film zu machen; ohne Weichzeichner, doch immer behutsam und würdevoll.

Dass er so berührt, ist in erster Linie Tobias Moretti zu verdanken. In diesen fast archaisch anmutenden Mann ist der Mord an seinem Kind wie eine frostige Gewissheit hineingefahren, die sich in seinem Inneren breitmacht. Während seine Frau darum bemüht ist, ein normales Familienleben aufrechtzuerhalten, schieben sich bei ihm die vergeblichen Versuche, den Mörder seines Sohnes zu finden, im Laufe der Jahre wie Eisschollen übereinander. Claus Jansen muss sein eigener Eisbrecher werden, um überhaupt weiterleben zu können.

Ein ergrauter Schüler

Seine Mission, den Mörder zu finden, wird zur Besessenheit und zum einzigen Grund, überhaupt noch das Haus zu verlassen. Jede seiner Bewegungen ist einzig und allein dieser Suche geschuldet. Jansen wirkt wie ein Verirrter, der den Weg ins alltägliche und normale Leben nicht mehr findet. Seine Schuldgefühle, den Sohn einst ins Internat gegeben zu haben, sind der Katalysator.

Tobias Moretti spielt diese Besessenheit so eindringlich, dass sie fast auf den Zuschauer überspringt. Gleichzeitig sieht man hinter seinen großen Brillengläsern die Trauer und Unfassbarkeit, die innere Gebrochenheit und Seelenqual. Man müsste schon sehr empfindungslos sein, wollte man für diesen Mann keine Rührung empfinden. Wenn er in den Papierbergen nach dem einen Hinweis sucht, der zum Mörder, zur Lösung seiner Aufgabe, zum inneren Tauwetter führt, sieht er aus wie ein ergrauter Schüler, den man vor vielen Jahren im Klassenzimmer vergessen hat.

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