Österreich hat nicht entschieden
Nachdem sie die letzten Interviews hinter sich gebracht haben, verlassen lediglich zwei Präsidentschaftskandidaten das Wahlzentrum. Beide erhalten aber auf ihrer Fahrt zu den Nachwahlpartys zur Sicherheit eine Blaulichteskorte, wie sie in dem beschaulichen Land üblicherweise nur dem Staatsoberhaupt zusteht. Man kann ja nie wissen und noch ist völlig offen, wer sich letzten Endes durchsetzen wird.
Österreich hat vorläufig nicht entschieden – noch nicht, nur wenige tausend Stimmen trennen in den Prognosen den grünen Alexander Van der Bellen von seinem freiheitlichen Konkurrenten Norbert Hofer, der noch Stunden zuvor klarer Favorit war. Die Demoskopen sind an ihre Grenzen gestoßen, jetzt müssen die Wahlkartenstimmen die Entscheidung bringen, allerdings werden die erst am Montagnachmittag von Hand ausgezählt. Ein wenig erinnert das an Florida im Jahr 2000 als George W. Bush erst nach einen wochenlangen Krimi um ein paar Stimmen in Führung lag und so das Weiße Haus erobern konnte.
Anfangs lag Hofer weit vorn
Am Wahltag, als die ersten, in der Regel ländlichen Sprengelergebnisse eintrudelten, war es ein bewegtes Auf und Ab. Anfangs lag der blaue Hofburganwärter Hofer noch weit vorn, ein Meinungsforscherteam meinte sogar "uneinholbar". Doch je mehr Ergebnisse aus dem urbanen Österreich gemeldet wurden, desto näher rückten die Kandidaten zueinander. Wien gab dann den Ausschlag. Plötzlich lag der grüne Wirtschaftsprofessor sogar um Haaresbreite vorn. Am Ende stand es 50 zu 50. Nun wird wohl der Zufall entscheiden, weil ein gespaltenes Land nicht zu wissen scheint, in welche Richtung es gehen möchte. Bleibt es so knapp ist wohl damit zu rechnen, dass der Unterlegene das Wahlergebnis anfechten wird.
Nur wenige hatten mit diesem knappen Ausgang gerechnet. Nach dem ersten Wahlgang Ende April galt der Kandidat der rechtspopulistischen FPÖ nahezu schon als sicherer Sieger. Er versprach, ein starker Präsident sein zu wollen, der der in Diskredit geratenen Regierungskoalition entschieden die Richtung weisen werde. Das entspricht ganz dem populistischen Politikverständnis seiner Partei. Sein Konkurrent Van der Bellen hingegen wollte sich eher an das traditionelle, zurückhaltende Amtsverständnis bisheriger Präsidenten beibehalten; einzig die FPÖ, so signalisierte er, werde er nach Möglichkeit von der Regierung fernhalten.
Entlang dieser Bruchlinien entwickelte sich ein Wahlkampf, der das Land in zwei Lager trennte. Österreich ist nun ein zerrissenes Land, das spiegelt dieses Wahlergebnis deutlich: 60 Prozent der weiblichen Wähler entschieden sich für Van der Bellen, aber 60 Prozent der Männer für Hofer. In nahezu jedem Wählersegment ist Österreich gespalten: es stehen Stadt gegen Land, verzagt gegen zukunftsoptimistisch, die Trennung geht durch Bildungsmilieus und soziale Gruppen, am stärksten ist Hofer mit 86 Prozent bei Arbeitern, Van der Bellen hingegen mit 81 Prozent bei Akademikern.
Keiner wird Präsident aller Österreicher sein
In allen Statements am Wahlabend hämmerten die sichtlich enttäuschten FPÖ-Politiker rund um Parteichef Heinz-Christian Strache weiter ihre bisherige Wahlkampflinie: der Grüne sei der Kandidat des Establishment, von den Eliten dazu auserkoren, das österreichische Nachkriegssystem, die Proporzdemokratie, am Leben zu erhalten. Hofer hingegen sei der Mann der kleinen Leute, der deren berechtigten Grimm eine Stimme gebe.
Wer immer nun am Ende vorne liegt, er wird diese Kluft nicht überbrücken können. Keiner der beiden wird der Präsident aller Österreicher sein, wie die Amtsträger das gerne beschwören. Der Konflikt zwischen diesen beiden Österreichs wird weiterschwelen und nur auf eine andere Ebene, auf jene der nächsten Parlamentswahlen, verlagert. Dort wird er demnächst umso erbittertet ausgetragen – gleichgültig, wer in Zukunft in der Präsidentschaftskanzlei residieren wird.