Sie hätte zwar tage- bis wochenlangen Erklärungsbedarf im Ausland, aber rein taktisch – oder zynisch – betrachtet wäre ein Wahlsieg Norbert Hofers für die Regierung wohl die bessere Nachricht. Vor allem für SPÖ-Kanzler Christian Kern, dem immer wieder mit Franz Vranitzky verglichenen neuen Bundeskanzler. Denn zu den persönlichen Parallelen – ein smarter Manager aus der staatsnahen Wirtschaft, ehemals politischer Sekretär, der in die Politik zurückkehrt, und zwar ganz oben – würde sich auch eine historische gesellen. Franz Vranitzky wurde Kanzler, nachdem Kurt Waldheim 1986 die Bundespräsidentenwahl gewonnen hatte. Waldheim war fortan mehr oder weniger international isoliert, Auslandsbesuche waren eine Seltenheit. Franz Vranitzky profitierte davon: Er konnte sich als der Vertreter Österreichs nach außen profilieren.
Und so hätte es auch jetzt sein können: Nicht Hofer wäre ein „Präsidentenkanzler“ geworden, sondern Kern vielmehr ein „Kanzlerpräsident“. Der verbindend nach innen wirkt und im Ausland respektiert und vor allem empfangen wird.
Doch die Zeichen stehen eher auf einem Wahlsieg Alexander Van der Bellens – jedenfalls laut den Hochrechnern von Sora. In diesem Fall würde mehr oder weniger jeder Stein auf dem anderen bleiben im politischen Gefüge dieser Republik. Mit Van der Bellen zöge zwar erstmals ein Grüner, noch dazu ein ehemaliger Parteichef, in die Hofburg ein. Allerdings war er in diesem Stichwahlkampf, nach dem Ausscheiden der Bewerber der beiden Regierungsparteien, der Kandidat des Establishments. Namhafte Sozialdemokraten vom Kanzler abwärts gaben ebenso Wahlempfehlungen für ihn ab wie ehemalige Bundesparteiobleute der ÖVP. Dazu Künstler, Unternehmer und andere Prominente, auch EU-Politiker.
Alexander Van der Bellens Präsidentschaft wäre die Fortführung des Amtsverständnisses von Heinz Fischer mit etwas anderen Mitteln: Auf den quirligen Noch-Präsidenten würde dann am 8. Juli ein bedächtigerer Neo-Präsident folgen. Allerdings vom Renommee her im Ausland ebenso wohlgelitten wie sein Vorgänger.
Mit Alexander Van der Bellen und Christian Kern hätte Österreich dann eine rot-grüne Staatsspitze. Keine Rede also mehr von der von vielen, auch von Van der Bellen, herbeigefürchteten „blauen Republik“. Bundespräsident und Bundeskanzler würden weiter harmonieren wie schon bisher. Vielleicht sogar noch mehr: Denn Heinz Fischer und Werner Faymann waren jetzt nicht die wirklich allerbesten Parteifreunde.
Damoklesschwert „blaue Republik“
Allerdings: Die „blaue Republik“ wird weiterhin wie ein Damoklesschwert über dem Ballhausplatz schweben. Denn die freiheitliche Stärke bei Wahlen wurde nun einmal mehr – und zwar noch deutlicher als je zuvor – offenbar. Und ein freiheitlicher Präsident in der Hofburg hätte möglicherweise das Bedürfnis nach einem Freiheitlichen im Kanzleramt gesenkt. Die Systemkritischen wären mit einem Freiheitlichen an der Spitze des Staates fürs Erste bedient.
Und hinzu kommt: Bisher haben die Österreicher fast immer antagonistisch gewählt und so für Ausgewogenheit gesorgt. So lange die ÖVP nach dem Zweiten Weltkrieg den Kanzler stellte, gab es immer sozialdemokratische Bundespräsidenten. Nur während der Ära Kreisky amtierte ein Unabhängiger in der Hofburg, der von der SPÖ nominiert worden war – Rudolf Kirchschläger.
Danach gab es wieder eine Machtbalance – und zwar unter umgekehrten Vorzeichen: Die SPÖ stellte die Kanzler (Franz Vranitzky und Viktor Klima) und die ÖVP die Bundespräsidenten (Kurt Waldheim und Thomas Klestil). Und Heinz Fischer (SPÖ) wurde Bundespräsident als Wolfgang Schüssel (ÖVP) Kanzler war.
Diese Präsidentenwahl, im Speziellen die Stichwahl, lässt nun eine gespaltene Republik zurück. Da das flache Land, das größtenteils für Hofer votierte, dort die großen Städte, allen voran Wien, die letztlich doch noch den Ausschlag für Van der Bellen gegeben haben könnten. Diese Polarisierung weckt jedenfalls Erinnerungen an das Jahr 1986.
Quelle: diepresse.com
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