Duygu Gezen ist Social-Media-Volontärin bei der ARD. Facebook, Twitter und Snapchat sind ihr Alltag, ihr Beruf. Manfred Spitzer ist Hirnforscher, er leitet die Psychiatrische Universitätsklinik Ulm. Der Titel des Buchs, das er geschrieben hat, lautet: "Cyberkrank! Wie das digitalisierte Leben unsere Gesundheit ruiniert".
"Ich bin der Albtraum von Herrn Spitzer", stellt sich Duygu Gezen vor. Wenn sie schlafen geht, liegt ihr Smartphone direkt neben dem Kissen – auf der linken Seite des Betts. Auf der rechten Seite ist Platz für das iPad. Dass deutsche Smartphone-User im Durchschnitt 53 Mal am Tag auf ihr Gerät schauen, streut der Moderator Frank Plasberg ein. "Das toppe ich auf jeden Fall", sagt Gezen. Wenn sie duschen geht, bleibt das Handy – logischerweise – außerhalb der Kabine. Sonst hat sie es immer dabei.
"Ich bin kein Bedenkenträger, sondern Arzt"
"Immer online – machen Smartphones dumm und krank?" lautet das Motto dieser Ausgabe von "Hart aber fair". Manfred Spitzer, der Universitätsprofessor, zitiert Studie um Studie, die allesamt genau das belegen sollen. Smartphones und Tablets machen süchtig, sagt er. Oder, dass Menschen, die viel Zeit bei Facebook verbringen, leichter depressiv werden. "Ich bin kein Bedenkenträger, sondern Arzt", sagt Spitzer.
Der, von dem der Hirnforscher für seine Ansichten am meisten Gegenwind bekommt, ist der Unternehmer Frank Thelen. Thelen steckt sein Kapital in junge Start-ups, träumt vom digitalen Aufbruch in Deutschland. Seine Argumente sind vor allem wirtschaftlicher Natur. Und er stapelt hoch: Wer sich dem digitalen Fortschritt verweigert, gefährdet die Entwicklung der deutschen Wirtschaft.
Auch Auto und Fernsehen waren zunächst umstritten
"Wenn wir nicht Vollgas geben, verlieren wir unser Land", sagt der Unternehmer. Darunter geht es bei Thelen selten. "Kinder, die nicht programmieren können, sind die Analphabeten der Zukunft" ist noch so ein Satz, mit dem er seine Argumente unterfüttert. Thelen und Spitzer geraten sich schnell in die Haare, es wird laut und unübersichtlich. Erst nach ungefähr der Hälfte der Sendezeit beginnt zwischen den Diskutierenden überhaupt so etwas wie ein Dialog.
Vor allem der bekannte Fernsehmoderator und Wissenschaftsjournalist Ranga Yogeshwar steht für eine vermittelnde Position, die die neuen Technologien weder verteufelt noch verklärt. Er erinnert daran, dass neue Erfindungen fast immer zunächst mit viel Skepsis aufgenommen werden, dem Automobil oder dem Fernsehen erging es da nicht anders als heute Smartphones und Tablets. Und natürlich würde es eine Zeit lang dauern, bis die Menschen herausfinden, wie ein vernünftiger Umgang mit den Geräten funktioniert.
Yogeshwar weist etwa darauf hin, dass, wer beim Restaurantbesuch telefoniert oder Mails checkt, vor einiger Zeit noch als "hip" galt. Heute aber stellen selbst immer mehr "Digital Natives" das Smartphone aus, wenn sie zum Abendessen verabredet sind. Das Leben mit neuen Technologien ist ein Lernprozess.
Von "Handy-Nacken" und "WhatsAppitis"
Das Smartphone hat sogar schon eigene Krankheitsbilder hervorgerufen: Wer ständig auf den Bildschirm hinabschaut, muss sich bald mit einem "Handy-Nacken" abmühen. Für eine Form der Sehnenentzündung am Daumen wurde der Begriff "WhatsAppitis" erfunden. Und auch die Gefahr der Kurzsichtigkeit wird durch Smartphones verstärkt.
In den Augen von Manfred Spitzer ist das jedoch alles nur "Pipifax". Ihn sorgt mehr, dass der exzessive Umgang mit den Geräten zu starken Aufmerksamkeitsstörungen führen kann. Und deshalb ärgert ihn auch, dass Tablets und Smartphones heute sogar im Schulunterricht eingesetzt werden. Er würde die Geräte erst für Volljährige empfehlen.
Ausnahmsweise ist er von der Position von Frank Thelen damit gar nicht so weit entfernt: Seinen eigenen Kindern würde der Internet-Guru Smartphones nämlich auch erst in die Hand drücken, wenn sie 14 bis 16 Jahre alt sind.
Wie die neuen Geräte die Arbeitswelt prägen, ist ein zentrales Thema der Diskussion. Dass Angestellte über Smartphones quasi dauerhaft zu erreichen sind und auch in der Freizeit gerne noch einmal eine Mail beantworten, ist heute Usus. Firmen wie BMW oder Daimler halten mittlerweile freiwillig dagegen. BMW fordert seine Mitarbeiter sogar explizit zum Abschalten des Firmenhandys nach Dienstschluss auf. Bei Daimler werden Mails, die während des Urlaubs eines Mitarbeiters eingehen, gelöscht. Der Absender erhält eine Nachricht, wen er stattdessen kontaktieren soll.
"Als Freiberufler kann man sich Ausstellen nicht leisten"
Frank Thelen hält davon wenig. "Für mich sind das keine Vorbilder, diese Regelungen sind zu strikt", sagt er – und verpasst der Autoindustrie gleich noch einen Seitenhieb, indem er mutmaßt, dass die deutschen Autobauer vielleicht auch wegen solcher Regelungen im Wettbewerb gegenüber Firmen wie etwa Tesla heute nicht mehr gut dastehen würden.
Die Gewerkschafterin und SPD-Politikerin Leni Breymaier dagegen hält die Regelungen grundsätzlich für richtig, glaubt aber nicht daran, dass sie bald Standard werden. "Wenn ich einen befristeten Vertrag habe, in der Probezeit bin oder als Freiberufler arbeite, kann ich es mir nicht leisten, das Handy auszuschalten", beschreibt sie die Situation.
Wie soll man es also mit dem Smartphone halten? Vielleicht am besten so wie Frank Plasberg. Er erzählt, dass er mit einigen Kumpels in einer WhatsApp-Gruppe ist. Kurz vor der Aufzeichnung der Sendung hätte ihn dort Nachricht auf Nachricht erreicht. Das Thema des Chats: ein geplanter Gin-Abend in den kommenden Tagen. Plasberg sagt, dass er keine Ahnung hat, wie er die Push-Benachrichtigungen seines Handys deaktiviert. Zu helfen wusste er sich trotzdem. Er hat das Smartphone einfach ausgemacht.
Quelle : welt.de
Tags: