Ihr Kalkül damals: "Wenn ich erst mal in Berlin wohne, werde ich schon was Besseres finden." Doch sie hatte die Tücken des Wohnungsmarkts in der Hauptstadt unterschätzt. Am Ende blieb sie nicht nur wenige Monate in der teuren Wohnung, wie erhofft, sondern mehr als zwei Jahre. Zwar wollte sie immer umziehen, aber sie fand kaum Alternativen, die sie sich hätte leisten können. Und wenn doch, gab es Dutzende andere Interessenten. Aus dem ursprünglich als Übergang gedachten Appartement wurde eine Dauerlösung.
Wie Lilo ergeht es auch anderen Mietern in Deutschland, vor allem in Großstädten. Immer mehr haben das gleiche Problem: Die Wohnung passt nicht mehr so recht zu den eigenen Ansprüchen, man würde gern umziehen – doch trotz teils jahrelanger Suche klappt das nicht.
Die Neumieten sind vielerorts so hoch, dass sich die Menschen einen Umzug schlicht nicht leisten können. Egal ob die zwei Zimmer für junge Eltern durch die Geburt des ersten Kinds zu klein geworden sind, oder ob ältere Ehepaare ihre geräumigen Altbauwohnungen gar nicht mehr voll nutzen – ihnen allen bleibt häufig nichts anderes übrig, als in der alten, eigentlich unpassenden Wohnung zu bleiben.
Ökonomen nennen das den sogenannten Lock-in-Effekt: Die Kosten eines Wohnungswechsels – vor allem durch die höheren Neumieten – sind in vielen Städten so hoch, dass ein Umzug finanziell nicht zu stemmen ist. Die wechselwilligen Mieter bleiben dadurch quasi in ihrem Status quo eingesperrt. "Am häufigsten sind ältere Menschen betroffen. Wer zehn oder zwanzig Jahre in derselben Wohnung gelebt hat, erlebt beim Umzug meist einen sehr großen Sprung in der Miete", sagt Michael Voigtländer, der beim Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln die Abteilung für Immobilienmärkte leitet. Daneben seien vor allem junge Familien und Berufseinsteiger wie Lilo betroffen.
Kaum noch Umzüge in Großstädten
Der Lock-in-Effekt lässt sich auch statistisch belegen: So sank die Umzugsquote in Deutschland in den vergangenen Jahren kontinuierlich. Zogen 2007 noch knapp 13 Prozent der Deutschen um, waren es 2015 nur noch 9 Prozent, das ist ein Rückgang um rund ein Drittel. Die Zahlen stammen vom Energiedienstleister Techem. Das Unternehmen verwaltet jährlich die Heizkostenabrechnungen von rund zwei Millionen Wohnungen in Deutschland, also rund 10 Prozent des gesamten Bestands, und sammelt daher auch Daten über Umzüge.
Die Techem-Statistiken, über die Die Welt zuerst berichtet hatte, weisen zudem große Unterschiede zwischen einzelnen Städten auf: In Berlin, München, Frankfurt oder Hamburg, wo die Mieten in den vergangenen Jahren teils um bis zu 40 Prozent gestiegen sind, sind die Umzugsquoten besonders niedrig. Dort können sich tatsächlich immer weniger Menschen eine neue Wohnung leisten.
Um solche extremen Teuerungen künftig zu verhindern, führte die Bundesregierung im vergangenen Jahr die sogenannte Mietpreisbremse ein. Eine gute Idee, könnte man meinen. Doch möglicherweise sorgt eine Deckelung der Mieten erst für weitere Probleme.
"Lock-in-Effekte sind typisch für sehr streng regulierte Märkte", sagt IW-Forscher Voigtländer. Beispiele seien etwa Wien oder New York, wo sich Vermieter an sehr strikte Vorgaben halten müssen. Das Resultat: "Dort leben noch heute viele ältere Ehepaare, deren Miete letztmals in den Siebzigern erhöht wurde." Angesichts einer Verzigfachung der Miete scheint bei solchen Paaren ein Umzug nahezu ausgeschlossen. Ihre Wohnungen verschwinden de facto vom Markt.
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