Neue Koalition mit den Russen: Putin weitet Einfluss in Israel aus

  26 Mai 2016    Gelesen: 889
Neue Koalition mit den Russen: Putin weitet Einfluss in Israel aus
Israels Premier Netanjahu hat eine Koalition mit der Partei der russischen Immigranten geschlossen. Deren Chef Avigdor Lieberman könnte der neue starke Mann Israels werden. Um einen sozialen Kollaps bei den vielen aus Russland kommenden Rentnern zu verhindern, setzen Lieberman und Netanjahu auf Russlands Präsident Putin - eine überraschende Allianz.
Am Ende der verrücktesten politischen Wochen in einem Land, das für seine ebenso verrückte Politik bekannt ist, bekommt Israel einen neuen Verteidigungsminister: Avigdor Lieberman, Mitglied der Knesset und Vorstand der rechts-nationalistischen Yisrael Beytenu Partei. Das Überraschend ist jedoch nicht, dass der Gefreite Lieberman mit vier Monaten Militär-Erfahrung den Generalleutnant und ehemaligen militärischen Stabschef Moshe Yaalon ablösen soll. Es ist noch nicht einmal Liebermans radikale Persönlichkeit, die mit jeder neuen Provokation mehr Zuspruch erhält. Es ist eine Forderung, die weit weniger dramatisch scheint, aber ernsthafte Konsequenzen für die israelische Bevölkerung haben wird: Lieberman konnte den russischen Einwanderern einen Deal präsentieren, der die Renten für die Immigranten aus der ehemaligen Sowjetunion sichern soll.

Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hat am Mittwoch das Bündnis mit Israel Beitenu besiegelt. Eine Bedingung, die Lieberman gestellt hatte, wurde erfüllt: Netanjahu sagte 360 Millionen Dollar für die Renten für die Immigranten zu. Lieberman wollte die Erhöhung nur für die Russen, nun sollen alle Einwanderer einige hundert Shekel im Monat mehr bekommen.

Die Zahlungen werden allerdings insgesamt in die Milliarden gehen müssen. Auf politischer Ebene ist jedoch vor allem eine Frage von Bedeutung: Wer wird der zukünftige Anführer Israels – Netanjahu oder Lieberman? Lieberman ist keine Mutter Theresa. Er ist ein scharfsinniger Politiker, der 1978 aus Moldawien nach Israel emigrierte und eine Partei formte, die auf russischen Wählern aufbaut.

An diesem entscheidenden Punkt seiner Karriere muss er sich seiner Herkunft bewusst sein und dieser treu bleiben. Mit seiner Rolle als künftiger Verteidigungsminister verhilft Lieberman seiner Gemeinschaft zu großer Ehre. Denn indem er ihre Renten sichert, wird er zum Helden der russischen Gemeinschaft werden. In einem weiteren politischen Schachzug macht er sich anstelle von Netanjahu zum Vater des Sieges, der selbst darauf aus war, sich diese Rentenerhöhung zuschreiben zu lassen und die damit verbundenen Stimmen zu sichern.

Das Thema war bereits zwischen Präsident Putin und Premier Netanyahu bei dessen jüngsten Besuch in Moskau diskutiert worden: Es spielte neben den aktuellen Konflikten in Syrien und um den Iran die Hauptrolle. Putin fühlt sich den Auswanderern immer noch verpflichtet und hat für die Renten der nach Israel emigrierten und nun pensionierten Bürger aus Russland gekämpft.

Während alle anderen gemeinsamen Themen Russlands und Israels sich im Laufe der Zeit wandeln, stellte Israel wiederholt die Rentenfrage. Putin versprach, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Die Möglichkeit müsse geprüft werden, den Kreis der emigrierten Rentenbezieher, die Anspruch auf die kleinen Renten aus Russland haben, über den Kreis der 30.000 migrierten Senioren auszuweiten. Durch die aktuelle Wirtschaftskrise Russlands beeinträchtigt, erhalten diese momentan alle drei Monate den äußerst mageren Betrag von 100 US-Dollar.

Die Aufforderung Netanjahus an Putin, den Russen in Israel zu helfen, dient zweierlei Zwecken in der heimischen Szene: Sie zeigt Netanjahu zum einen als großen Beschützer der einen Million von Immigranten und potentiellen Wählern. Zum anderen könnte sie die drohende Rentenkrise mindern, die der israelischen Wirtschaft unter Netanjahus Regierung bevorsteht.

Während die meisten europäischen Staaten längerfristig an einer sich verschärfenden Rentenkrise leiden, hat Israel ein unmittelbares Problem: In naher Zukunft treten 200.000 Immigranten der ehemaligen Sowjetunion in den Ruhestand ein, ohne eine Rente erwarten zu können. Die ausschließliche Arbeit der Migranten in Gelegenheitsjobs oder die generell zu kurze Arbeitszeit verhindern den Anspruch auf eine existenzfähige Rente. Mit 66 Jahren kommen die Betroffenen in das rentenfähige Alter in Israel – und stürzen direkt in die Fallgrube unter der Armutsgrenze.

Viele von ihnen tragen zudem die Last einer Wohnungs-Hypothek, welche sie durch falsche Versprechungen des Staates aufgenommen haben und nun über 28 Jahre abzahlen müssen. Damals erschien das womöglich wie eine Ewigkeit und niemand warnte davor, dass die lächerlichen Renten wohl kaum ausreichen würden, um im hohen Alter für Essen und Medikamente aufzukommen. Diese Last müssen nun zusätzlich ihre Kinder tragen.

Laut Leonid Litinetzki, ehemaligem Parlamentsmitglied der Yisrael Beytenu Partei, werden in naher Zukunft 600.000 Israelis in den exklusiven Club derer eintreten, die keine oder nur lächerlich geringe Renten beziehen. Ein Großteil von ihnen sind Immigranten. Sie fallen unter die Armutsgrenze und reißen ihre Kinder oft mit sich. Eine menschliche Tragödie, eine politische Zeitbombe. „Eine Rente von 3000 Schekel (ca. 703 Euro) ist keine Rente – es sind Schweiß und Tränen“ sagt Yisrael Beytenus ehemaliger Einwanderungsminister, Sofa Landver, den Deutschen Wirtschafts Nachrichten. „Die, die nur 10 Arbeitsjahre angesammelt haben, bekommen maximal 240 Euro – das ist weniger als Arbeitslosengeld. Außerdem hat die ehemalige Regierung einem Gesetz stattgegeben, das Holocaust-Überlebenden Geld zuspricht, jedoch dummerweise die Entschädigungen davon abzieht, die Deutschland an die Überlebenden zahlt. Aus Entschädigung ist Einkommen geworden. Das ist unfassbar und muss richtiggestellt werden. Israel hat eine Menge durch die Immigration gewonnen – zum Beispiel 25.000 ‚Gratis-Doktoren‘ – es ist Zeit, zurückzuzahlen, nicht zu bestrafen.“

Das Thema der sogenannten Gratiszulagen, die Israel durch die Immigration bekommen hat, wird nur selten angesprochen – und meist eher sarkastisch. Ein hochrangiger, ukrainischer Diplomat erzählte mir (scherzhaft), dass Israel der Ukraine das Geld zurückzahlen sollte, das die Ukraine in diese Menschen investiert hatte.

Vor einigen Jahren unterschrieben Israel und die Ukraine eine Vereinbarung bezüglich der Renten von ukrainischen Pensionären in Israel. Unter den aktuellen Umständen in der Ukraine wird das sicherlich nicht realisierbar sein.

Leonid Litinetzki, der 1990 aus Russland nach Israel einwanderte, führt ein Komitee für die Reformierung des Rentensystems an. „400.000 alternde Migranten und 200.000 israelische Veteranen bekommen nun Renten, die weniger als 40 Prozent des Mindestlohns ausmachen“, sagt er den Deutschen Wirtschafts Nachrichten. „Erst neulich prahlte Premier Netanjahu mit der kleiner werdenden Zahl der Armen in Israel. Unwahr. Und bald wird eine weitere Masse von 200.000 Immigranten, die keinen Anspruch auf Renten haben, diesem Club beitreten. Verglichen mit Europa, ist Israel in einer viel schlimmeren Position.“ Litinetzki und sein Komitee haben einen Plan. Er hört sich gut an, auch wenn er mit einem riesigen Preisschild daherkommt. Um ihn umzusetzen, werden 2,8 Milliarden Schekel benötigt – allein 1,5 Milliarden für die Migranten aus der ehemaligen Sowjetunion.

Selbst wenn Putin, trotz der heimischen Finanzkrise, positiv auf die israelischen Forderungen nach Rentenzahlungen reagiert, ist das nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Es sei denn, die Forderungen würden nur gemacht, um etwas gänzlich anderes zu testen – nun, da Russland als wichtiger Spieler in den Nahen Osten zurückgekehrt ist.

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