Südchinesisches Meer: Eine Weltmacht sichert ihren Hinterhof

  08 Juni 2016    Gelesen: 637
Südchinesisches Meer: Eine Weltmacht sichert ihren Hinterhof
Im Südchinesischen Meer schüttet Peking Inseln auf, baut Flugpisten und stationiert Raketen. Die USA reagieren gereizt, doch die Volksrepublik lässt sich nicht beirren. Worum geht es?
Ende dieser Woche reist Bundeskanzlerin Angela Merkel mit ihrem halben Kabinett nach Peking. Schon am Sonntag trafen dort mehrere Minister aus Washington ein, darunter US-Außenminister John Kerry. Nicht nur die deutsche, auch die amerikanische Regierung berät sich seit einigen Jahren regelmäßig in großer Runde mit den Chinesen. Die Wirtschafts- und Militärmacht China ist zu wichtig geworden, um sich nur ab und zu und nur unter Ressortkollegen zu treffen.

Für die Amerikaner steht in diesem Jahr zum ersten Mal ein Konflikt im Vordergrund, der vielen Europäern weit entfernt erscheint, der für Washington inzwischen aber zu einem der entscheidenden Probleme mit Peking geworden ist: Chinas Gebietsansprüche im Südchinesischen Meer.

Worum geht es?

Seit dem Amtsantritt von Staatschef Xi Jinping 2013 bauen die Chinesen ihre Präsenz in dem strategisch bedeutenden, fisch- und rohstoffreichen Seegebiet zwischen China und Malaysia, den Philippinen und Vietnam aus. Baggerschiffe schütten Inseln und Riffe auf, die chinesischen Streitkräfte errichten Häfen und Flugpisten, stationieren sogar Raketen. Viele dieser Inseln und Riffe werden aber auch von anderen Staaten der Region beansprucht. Die meisten dieser Staaten sind Verbündete der USA.

Über Jahre haben chinesische Regierungen sich damit zurückgehalten, ihre Ansprüche militärisch geltend zu machen. Doch mit seinem wirtschaftlichen Gewicht hat Chinas Selbstbewusstsein zugenommen. Pekings Anspruch auf fast 80 Prozent des Südchinesischen Meeres, so verkündet das Außenministerium inzwischen fast wöchentlich, seien "unbestreitbar".

Für unbestreitbar halten auch Chinas Nachbarn ihre Rechte - und da sie für sich genommen alle deutlich kleiner sind als ihr großer Nachbar, fürchten sie, von der wachsenden Seemacht China dominiert zu werden. Als Erste wandten sich 2013 die Philippinen an den Ständigen Schiedshof in Den Haag, um die Gebietsansprüche im Südchinesischen Meer von einer internationalen Instanz klären zu lassen. Das Urteil wird in den kommenden Wochen erwartet.

Was wollen die Chinesen?

Offiziell begründet Peking seinen Anspruch historisch: Seit der Antike kreuzten chinesische Fischer in den Gewässern um die Paracel- und Spratly-Inseln. Es sei nur folgerichtig, dass Peking diese Inseln nun besiedle und verteidige. Nur wenige internationale Rechtsexperten folgen dieser Argumentation, und kaum jemand erwartet, dass ihr der Schiedshof in Den Haag folgen wird.

Der wahre Grund für Pekings Inselausbau ist ein strategischer. China, die größte Handels- und zweitgrößte Wirtschaftsmacht der Welt, sieht sich zur See von zwei "Inselketten" umgeben: Die eine zieht sich von Japan über die Philippinen bis Indonesien, die andere von den Aleuten bis zur Marianeninsel Guam. Fast alle diese Territorien stehen entweder mit den USA im Bunde oder sind, wie Guam, selbst Teil Amerikas.

Käme es je zu einem Konflikt mit Washington, so fürchten Chinas Generäle, seien sie eingekreist. Zumindest ihr maritimer Vorhof, das Südchinesische Meer, müsse deshalb unter chinesischer Kontrolle stehen.

Was wollen die Amerikaner?

Amerika sieht sich, wie der auf Hawaii geborene Präsident Barack Obama sagt, als "eine pazifische Nation". Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs kreuzen die Schiffe der U.S. Navy im westlichen Pazifik. Sie haben, zumindest seit dem Vietnamkrieg, die Seefahrtsrouten der Region gesichert und Ländern wie Südkorea, Taiwan und Japan den wirtschaftlichen Aufstieg ermöglicht.

Für Washington und seine Verbündeten stört Chinas Expansion im Südchinesischen Meer einen über Jahrzehnte bewährten Status quo. Peking errichte mit seinen künstlichen Inseln eine "Große Mauer der Selbst-Isolation", so warnte US-Verteidigungsminister Ashton Carter am Wochenende auf einer Sicherheitskonferenz in Singapur.

Die meisten Militärs und Verteidigungspolitiker der Region stimmten ihm zu. Die wenigsten aber nannten China dabei beim Namen - zu groß ist mittlerweile ihre wirtschaftliche Abhängigkeit von ihrem großen Nachbarn.

Wie gefährlich ist der Inselstreit?

Seit Jahren häufen sich Zwischenfälle im Luftraum über dem Südchinesischen Meer, bei denen sich amerikanische Aufklärer und chinesische Jagdflieger gefährlich nahekommen. Mitte Mai fehlten nach amerikanischen Angaben nur knapp 20 Meter bis zu einer Kollision.

Peking plane, so berichtete vergangene Woche die über Chinas Militär meist gut informierte "South China Morning Post", die Einrichtung einer Flugüberwachungszone über der Region. Das würde bedeuten, dass sich Piloten bei den Chinesen anmelden müssten, bevor sie in den Luftraum über dem Südchinesischen Meer einfliegen. 2013 hatte Peking im Ostchinesischen Meer eine solche Zone ausgerufen. Das Pentagon schickte zwei B52-Bomber los, und die Piloten meldeten sich nicht bei den Chinesen an. Peking beließ es bei diplomatischen Protesten.

Weder Peking noch Washington dürften wirklich an einer Eskalation interessiert sein. Zu viel steht auf dem Spiel. China und die USA sollten sich gemeinsam um ein "asiatisch-pazifisches Sicherheitsnetzwerk" bemühen, schlug US-Verteidigungsminister Carter in Singapur vor. Auch Chinas Präsident Xi Jinping spielte die Bedeutung des Konflikts nach einem Treffen mit John Kerry herunter: Die Beziehungen zwischen den beiden Weltmächten seien "ziemlich normal", sagte er. Der Pazifik sei "keine Arena für Rivalitäten".

Was bedeutet der Konflikt für Europa?

Fast ein Drittel des internationalen Seeverkehrs verläuft über Routen im Südchinesischen Meer, darunter auch die gewaltigen Öl- und Erdgaslieferungen aus dem Nahen Osten nach China und Japan sowie der Großteil des chinesischen Exports Richtung Europa.

Wie beim G7-Gipfel in Japan deutlich wurde, teilen die westlichen Industriestaaten Amerikas Sicht auf den Konflikt. Bundeskanzlerin Merkel wird diesen Standpunkt bei ihren Gesprächen am Wochenende voraussichtlich bekräftigen. Das wird Peking ärgern - doch China spielt auf Zeit. Amerika mag militärisch, Europa als Ganzes ökonomisch stärker sein als das Reich der Mitte, doch Chinas Dominanz im westlichen Pazifik nimmt von Jahr zu Jahr zu.

Quelle : spiegel.de

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