Viele Türkeistämmige fühlen sich abgelehnt

  17 Juni 2016    Gelesen: 389
Viele Türkeistämmige fühlen sich abgelehnt
Die weitaus meisten Deutschtürken fühlen sich Deutschland eng verbunden und wollen sich voll integrieren. Viele empfinden sich aber als Bürger zweiter Klasse – und nicht wenige halten den Islam für wichtiger als die deutschen Gesetze.
In Talkshows, im Bundestag und in der Fußball-Nationalmannschaft gehören Menschen mit türkischen Wurzeln ganz alltäglich dazu. Aber wie gut sind normale Türkeistämmige in Deutschland integriert? Eine kurze Antwort auf diese Frage gibt es nicht – zu durchwachsen sind die Ergebnisse einer Studie, die Münsteraner Wissenschaftler gerade vorgelegt haben.

So fühlen sich 90 Prozent der Türkeistämmigen (der Begriff beschreibt Menschen, deren Wurzeln in der Türkei liegen, egal ob ihr Hintergrund türkisch oder kurdisch ist) in Deutschland wohl oder sehr wohl. 70 Prozent wollen sich "unbedingt und ohne Abstriche" in die deutsche Gesellschaft integrieren.

Auf der anderen Seite hat mehr als die Hälfte der Türkeistämmigen das Gefühl, nicht als Teil der deutschen Gesellschaft anerkannt zu werden. Fast jeder Zweite sagt, die Gebote des Islam seien wichtiger als die deutschen Gesetze. Angehörige der Einwanderergeneration stimmen dieser Aussage häufiger zu als ihre Kinder und Enkel.

Unterm Strich überwiegen für Detlef Pollack, den Leiter der Studie, die guten Nachrichten: "Das Bild von der persönlichen Lebenssituation der in Deutschland lebenden Türkeistämmigen ist positiver, als man es angesichts der vorherrschenden Diskussionslage zur Integration erwarten würde", sagte er bei der Vorstellung der Untersuchung in Berlin. Woran es mangele, sei "das Gefühl, willkommen geheißen und anerkannt zu sein".

Hier einige weitere Zahlen aus der Studie:

87 Prozent fühlen sich mit Deutschland sehr eng oder eng verbunden; 85 Prozent sagen dies auch über die Türkei.

91 Prozent sagen, man müsse die deutsche Sprache lernen, um gut in Deutschland integriert zu sein. 84 Prozent sagen, man müsse die Gesetze in Deutschland beachten, um gut integriert zu sein.

94 Prozent der in Deutschland geborenen Türkeistämmigen (unter denen naturgemäß viele deutsche Muttersprachler sind) schätzen ihre eigenen Deutschkenntnisse als gut oder sehr gut ein. Bei der ersten Generation, also jenen Türkeistämmigen, die in der Türkei zur Welt gekommen sind, halten 47 Prozent ihre Deutschkenntnisse für gut oder sehr gut.

39 Prozent sagen, man müsse für eine gute Integration mehr von der deutschen Kultur übernehmen, 33 Prozent sagen, man müsse sich mit seiner Kleidung anpassen, 32 Prozent sagen, man müsse sich um die deutsche Staatsangehörigkeit bemühen.

47 Prozent der Türkeistämmigen sagen: "Die Befolgung der Gebote meiner Religion ist für mich wichtiger als die Gesetze des Staates, in dem ich lebe." Bei den Angehörigen der ersten Generation sind es 57 Prozent, bei der zweiten und dritten Generation sind es 36 Prozent.

Der Aussage, "Muslime sollten die Rückkehr zu einer Gesellschaftsordnung wie zu Zeiten des Propheten Mohammed anstreben", stimmen 32 Prozent zu (erste Generation: 36 Prozent, zweite und dritte Generation: 27 Prozent).

50 Prozent sagen, es gebe nur eine wahre Religion. 36 Prozent sagen, nur der Islam sei in der Lage, die Probleme unserer Zeit zu lösen.

20 Prozent sagen, die Bedrohung des Islam durch die westliche Welt rechtfertige Gewalt (erste Generation: 25 Prozent, zweite und dritte Generation: 15 Prozent). 7 Prozent sagen, Gewalt sei gerechtfertigt, wenn es um die Verbreitung und Durchsetzung des Islam gehe.

Studienleiter Detlef Pollack sieht den Anteil der Türkeistämmigen, die ein verfestigtes fundamentalistisches Weltbild haben, bei 13 Prozent.

61 Prozent der Befragten stimmen der Aussage zu, der Islam passe durchaus in die westliche Welt.

In ihren Einstellungen entsprechen die Angehörigen der zweiten und dritten Generation stärker der Gesamtbevölkerung als den Türkeistämmigen der ersten Generation: "Es ist für alle Beteiligten viel besser, wenn der Mann voll im Berufsleben steht und die Frau zu Hause bleibt und sich um den Haushalt und die Kinder kümmert" – dieser Aussage stimmen 48 Prozent der ersten Generation zu. Bei der zweiten und dritten Generation sind es 31 Prozent, bei der deutschen Gesamtbevölkerung 27 Prozent.

Der Aussage, "Ein Kleinkind wird sicherlich darunter leiden, wenn seine Mutter berufstätig ist", stimmen 57 der Angehörigen der zweiten und dritten Generation zu. Bei der ersten Generation sind es 71 Prozent, bei der Gesamtbevölkerung 46 Prozent.

Mehr als die Hälfte der Türkeistämmigen, 51 Prozent, fühlt sich als Bürger zweiter Klasse. Das gilt vor allem für die Angehörigen der ersten Generation (64 Prozent), weniger für die zweite und dritte Generation (38 Prozent).

54 Prozent stimmen der Aussage zu: "Egal wie sehr ich mich anstrenge, ich werde nicht als Teil der deutschen Gesellschaft anerkannt."

Die Hälfte der Türkeistämmigen fühlt sich gerecht behandelt. Auf die Frage, "Im Vergleich dazu, wie andere hier in Deutschland leben: Glauben Sie, dass Sie Ihren gerechten Anteil erhalten, mehr als Ihren gerechten Anteil, etwas weniger oder sehr viel weniger?", antworteten 5 Prozent "mehr als gerechten Anteil", 44 Prozent sagten "gerechten Anteil". 29 beziehungsweise 11 Prozent glauben, ihr Anteil sei "etwas weniger" oder "sehr viel weniger" als gerecht.

Die Haltung der Türkeistämmigen zu "Menschen mit deutscher Herkunft" ist zu 41 Prozent "sehr positiv" und zu 45 Prozent "eher positiv". Drei beziehungsweise ein Prozent sagten, ihre Haltung sei "eher negativ" oder "sehr negativ".

Wird nach der Haltung zu Christen, Atheisten und Juden gefragt, sinkt die Zustimmung. Bei Christen sagen 80 Prozent "sehr positiv" oder "eher positiv", bei Atheisten und Juden sind es jeweils nur 49 Prozent.

"Beide Seiten sind gefordert"

Für Pollack beinhalten all diese Zahlen eine Botschaft: "Beide Seiten sind gefordert", sagt er. "Die deutsche Mehrheit sollte mehr Verständnis für die spannungsreiche Lage der Türkeistämmigen – zwischen Herkunftsprägung und Anpassung – aufbringen." Außerdem solle sie zur Kenntnis nehmen, dass die Mehrheit der Deutsch-Türken keine Fundamentalisten seien.

Die Türkeistämmigen wiederum sollten auf Vorbehalte nicht nur empört reagieren, so Pollack, sondern sich auch kritisch mit den fundamentalistischen Tendenzen in den eigenen Reihen auseinandersetzen.

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