Welt am Sonntag: Sie haben erstmals Regie geführt – bei einem Dokumentarfilm über die Terre-des-Femmes-Chefin Christa Stolle. Sie zeigen sie bei ihrer Arbeit im Kampf gegen Zwangsehen oder Genitalverstümmelung. Warum dieses schwere Thema?
Sibel Kekilli: Mich würde erst mal interessieren, ob Sie den Film gesehen haben – und wie Sie ihn finden.
Welt am Sonntag: Gut recherchiert. Und überraschend, weil es ein journalistisches Format ist. Das hätte man nach Ihren Rollen im "Tatort", in "Game Of Thrones" oder Autorenfilmen nicht von Ihnen erwartet.
Kekilli: (lacht) Arte hatte mich vor zwei Jahren gefragt, ob ich Interesse hätte, Regie zu führen für ihre Reihe "Carte Blanche". Bei diesem Format bekommt der Künstler vollkommen freie Hand einen kurzen Film über eine Person zu drehen, die er bewundert. Bei mir wurde es dann ein Dokumentarfilm zu Terre des Femmes, deren Botschafterin ich bereits seit 2004 bin. Ich wollte starke, mutige Frauen zeigen, die sich seit Jahren gegen Gewalt engagieren. Zu Beginn hatte ich Christa Stolle gefragt, ob sie vielleicht eine Idee für mich hat – dann kamen wir gemeinsam darauf, die kurdische Frauenrechtlerin Nebahad Akkoc zu porträtieren.
Welt am Sonntag: Jene Menschrechtsaktivistin, die mehr als 15-mal in der Türkei festgenommen und in der Haft misshandelt worden war. Die Heinrich-Böll-Stiftung hatte ihr 2015 einen Preis verliehen, Sie hielten die Laudatio.
Kekilli: Genau. Ich hatte sie dort getroffen. Es gab bei der Dreh-Vorbereitung jedoch Schwierigkeiten. Ich hatte vor, Nebahad Akkoc dort zu treffen, wo sie lebte und arbeitete, in Diyarbakir im Südosten der Türkei. Ein Ort in unmittelbarer Grenznähe zu Syrien. Es war nicht klar, ob uns als Fernsehteam vor Ort die Sicherheit überhaupt gewährt werden konnte. Darüber hinaus wusste ich ja auch nicht, ob man mich dort mit offenen Armen empfangen würde, da ich natürlich auch mal gegenüber der Türkei Kritik geübt habe.
Welt am Sonntag: Sie haben 2007 bei einer Podiumsdiskussion in Deutschland gesagt, Gewalt gehöre im Islam zum Kulturgut, nannten unter anderem Ehrenmorde als Beispiel dafür. Der türkische Generalkonsul verließ wütend den Raum.
Kekilli: Das stimmt. Ich hätte mir damals gewünscht, er wäre nicht gegangen, sondern dass es ein Gespräch, eine gemeinsame Diskussion gegeben hätte. Aber das ist mittlerweile auch schon wieder sehr lange her. Auf jeden Fall war Arte besorgt, und in Diyarbakir war zu dem Zeitpunkt einfach die Gefahr zu groß, mit einem Fernsehteam einzureisen. Letztendlich habe ich schweren Herzens gesagt: Ich lasse es.
Welt am Sonntag: Kürzlich hat das Auswärtige Amt elf türkischstämmige Bundestagsabgeordnete – aus ganz anderen Gründen – gewarnt, zurzeit in die Türkei zu reisen. Nachdem sie der Armenien-Resolution zugestimmt hatten, wurden sie so massiv bedroht, dass sie unter Polizeischutz stehen. Wie beurteilen Sie diese Zuspitzung?
Kekilli: Dazu möchte ich nichts sagen. Die momentane Situation ist einfach zu komplex. Ich bin keine Politikerin und auch kein Sprachrohr für diese oder jene Seite.
Welt am Sonntag: Aber Sie haben sich doch oft zu bilateralen Angelegenheiten beider Länder geäußert.
Kekilli: Natürlich äußere ich mich zu Missständen, etwa in Form eines offenen Briefes an Angela Merkel, wenn zum Beispiel ein unschuldiger Journalist und Freund wie Can Dündar in der Türkei verurteilt wird.
Welt am Sonntag: Ein Aufruf, den vor ein paar Monaten Hunderte Künstler und Intellektuelle unterzeichnet haben, in dem sie forderten, die Kanzlerin solle sich für Rechtsstaatlichkeit in der Türkei einsetzen.
Kekilli: Ja. In solchen Momenten nicht zu schweigen, empfinde ich, gerade als öffentliche Person, als meine Pflicht. Aber ich kann und werde nicht alles kommentieren. Das heißt im Umkehrschluss aber nicht, dass ich alles gut finde, was gerade dort – aber auch hier – passiert.
Welt am Sonntag: Das Flüchtlingsabkommen zwischen der EU und der Türkei wird sehr kritisch gesehen. Gleichwohl scheint sich derzeit niemand vorstellen zu wollen, wie es weitergehen könnte, wenn dieser Deal scheiterte. Was wäre Ihr Wunsch für eine europäische Lösung diese Krise?
Kekilli: Vielleicht dass die Flüchtlinge innerhalb der EU gerechter verteilt werden. Aber in dieser prekären Lage zu sagen, die Türkei soll die Grenzen abschotten, Zäune bauen, damit Europa das nicht machen muss, ist natürlich schwierig und vielleicht auch zu kurz gedacht. Auch diese Situation ist zu komplex, als dass ich mich darin als Kommentatorin sähe. Ich konzentriere mich auf die Bereiche, in denen ich mich auskenne. Rechte der Frauen, wie wir sie schützen können – etwa in muslimischen Gemeinden in Deutschland, auch in Flüchtlingsheimen und anderswo. Gegen Gewalt und Zwangsprostitution, wie sie in Bulgarien bei Romafrauen und -mädchen an der Tagesordnung ist. Darum geht es auch in meinem Film, den ich dann ja doch noch gemacht habe. Obwohl ich nicht zu Nebahat Akkoc reisen konnte, hatte mich Arte abermals angesprochen, einen Film zu diesem Thema zu machen. Erst da kam mir die Idee, Christa Stolle selbst zu porträtieren – ich kannte sie und ihre Arbeit schließlich seit mehr als zwölf Jahren.
Welt am Sonntag: In einer Szene sagt Stolle: Manchmal tue es ihr richtig weh, diese Leidensgeschichten immer wieder zu hören. Haben Sie herausgefunden, warum sie seit 25 Jahren weitermacht?
Kekilli: Ich glaube, es ist die Wut, Wut über die nicht nachlassende Gewalt gegen Frauen, die sie antreibt. Als sie Ethnologie studierte, hatten ihr unter anderem deutsche Professoren gesagt, gegen Genitalverstümmelung könne man nichts unternehmen, das müsse man hinnehmen, es gehöre zur Kultur. Christa glaubt sehr fest daran, auch im Kleinen etwas verändern zu können. Das finde ich so besonders und bewundernswert an ihr.
Welt am Sonntag: Genitalverstümmelung war vor mehr als 16 Jahren ein großes Thema in den Medien, als das somalische Topmodel Waris Dirie ihre qualvollen Erfahrungen schilderte. Der großen Empörung folgte das große Vergessen.
Kekilli: Es macht mich wütend, weil es diese besonders brutale Form der Misshandlung nicht nur in muslimischen Ländern, sondern auch in Teilen Europas, ja sogar in Deutschland nach wie vor gibt. Es hilft nur, dies immer und immer wieder öffentlich zu machen. In Deutschland sind 35.000 Frauen davon betroffen, in Europa ist es eine halbe Million. Ganz sicher ein Thema, das viel, viel mehr Aufmerksamkeit verdient hätte.
Welt am Sonntag: Haben Sie sich gefragt, was Sie als Botschafterin für Terre des Femmes erreicht haben?
Kekilli: Ich kann das gar nicht genau einschätzen. Aber wie mir immer wieder zugetragen wird, mache ich manchen Mädchen Mut und bringe vor allem Terre des Femmes als Hilfsorganisation in deren Bewusstsein. Ich wurde vereinzelt auch direkt von Hilfe suchenden Mädchen angesprochen. Die habe ich dann guten Gewissens zu der Organisation direkt geschickt. Mir ist natürlich bewusst, dass ich mich für ein Thema engagiere, das in der Öffentlichkeit nicht immer nur positiv aufgefasst wird. Umso wichtiger ist es, dass ich dann über Themen wie "Gewalt gegen Frauen im Namen der Ehre" rede, wie etwa beim letzten Weltfrauentag im Schloss Bellevue beim Bundespräsidenten Gauck. Diese Öffentlichkeit ist unheimlich wichtig.
Welt am Sonntag: Ist es für Sie derzeit schwieriger, solche Kritik an der muslimischen Kultur zu äußern, weil Sie stets damit rechnen müssen, dass Ihre Argumente stärker als bisher von rechten Parteien wie der AfD aufgesogen werden?
Kekilli: Hm, ja vielleicht. Mein Ziel ist es auch nicht, diese Kultur, die so viele schöne Seiten hat, schlecht zu machen. Es geht mir persönlich nur darum, gewisse Dinge anzusprechen, vor denen wir nicht die Augen verschließen dürfen, und zwar ohne dafür Drohungen von irgendeiner Seite zu bekommen oder der AfD Futter zu geben.
Welt am Sonntag: In Ihrem Film zeigen Sie, wie der Anspruch nach besserer Integration in den Mühen der Ebenen stecken bleibt – am Beispiel von minderjährigen, nachgezogenen Flüchtlingsmädchen. Sie werden oft mit 14 in Deutschland verheiratet, und ihr Ehemann bekommt die Vormundschaft zugesprochen.
Kekilli: Ja, das ist unglaublich, leider aber bittere Realität, der sich diese Mädchen oft stellen müssen.
Welt am Sonntag: Sie filmen ein Treffen zwischen Stolle und der Staatssekretärin im Familienministerium, die perplex ist, dass 14-Jährige in Deutschland verheiratet werden können, obwohl das verboten ist. So viel zur Fachkompetenz.
Kekilli: Aber es ist so. Die Jugendämter sind oft überlastet. Wir sind ja schon mit der Integration meiner Generation überfordert. Mit meinen Vorfahren und der türkischen Gesellschaft. Und jetzt kommen auch noch Flüchtlinge mit noch mehr Problemen und Kulturunterschieden. Jeder ist überfordert.
Welt am Sonntag: Stolle wünscht sich in dem Gespräch im Familienministerium einen kleinen Zuschuss, um einen Flyer auf Arabisch nachzudrucken, der die muslimischen Frauen über ihre Rechte aufklärt. Wie ging die Geschichte aus?
Kekilli: Es hat offenbar nicht geklappt. Aber nicht, weil es ein falsches Versprechen war, sondern weil es an der Bürokratie gescheitert ist, obwohl die Staatssekretärin wirklich helfen wollte. Diese Bürokratie kann viele Steine in den Weg legen. Dabei ist es so wichtig, dass muslimische Frauen, die zu uns kommen, auch ihre Rechte kennen. Dass sie verstehen: Wir werden hier geschützt, beispielsweise wenn wir geschlagen werden, kann uns geholfen werden.
Welt am Sonntag: Nun wird Ihr Film an diesem Sonntag um 13 Uhr gezeigt. Nicht gerade Primetime...
Kekilli: ... und ich hoffe trotzdem, dass ihn einige Zuschauer sehen werden. Aber man kann ihn ja zur Not auch aufnehmen. (lacht)
Welt am Sonntag: Mit "Tatort" oder "Game Of Thrones" sind Sie in der Primetime. Mesut Özil ist während der EM Primetime. "Tagesthemen"-Moderatorin Pinar Atalay und der Comedian Bülent Ceylan sind es ebenfalls. Wie passt es zusammen, dass ständig über integrationsunwillige Türken oder Flüchtlinge debattiert wird, wir aber offenbar so viele türkischstämmige Identifikationsfiguren haben wie nie zuvor?
Kekilli: Das mit den Identifikationsfiguren stimmt, zeigt aber nur einen Teil der Wahrheit. Im Fußball geht es vor allem um Teamfähigkeit, nicht nur um die Person Özil allein. Aber er war einer der ersten Türken, die sich für die deutsche Nationalmannschaft entschieden haben. Das fand ich gut. Er hat für seine Entscheidung damals auch Gegenwind bekommen.
Welt am Sonntag: Türkische Fans haben ihn vor längerer Zeit ausgepfiffen, wenn er für Deutschland spielte, die Deutschen maulten, weil er die Nationalhymne nicht mitsang.
Kekilli: Genau. Und auch beim "Tatort" musste ich mich, selbst nachdem ich die Rolle schon ein paar Jahre gespielt hatte, von Journalisten immer noch fragen lassen: "Wie kommt es eigentlich, dass Sie eine Deutsche spielen?"
Welt am Sonntag: Inzwischen garantieren Sie hohe Einschaltquoten.
Kekilli: Ich bin mir sicher: Für viele bin ich noch die Türkin. Meine Wurzeln sind türkisch. Ich verleugne sie nicht. Aber ich möchte mich nicht dauernd dafür rechtfertigen oder erklären müssen. Ich möchte als Schauspielerin gesehen werden und nicht als die türkische Schauspielerin. Leider ist es offenbar immer noch in vielen Köpfen drin, dass man dann nur Rollen angeboten bekommt, die einen türkischen oder arabischen Hintergrund haben und bei vielen deutschen Rollen wird man gar nicht erst gefragt. Aber ich hatte und habe trotzdem viel Glück mit den Rollenangeboten. Im "Tatort" eine Sarah Brandt zu spielen ist dann auch der beste Beweis dafür. Ich kenne nämlich türkischstämmige Kollegen, die hierzulande überhaupt keine Rollen bekommen, und wenn, dann eben nur die klassische Klischeerolle. Da ist es fast schon wieder lustig, dass die "Game of Thrones"-Produzenten immer meinten: Du bist so deutsch (lacht).
Welt am Sonntag: Nun sind Sie ja in der vierten Staffel von "Game Of Thrones" gestorben. Kürzlich wurden Fotos veröffentlicht, die Sie bei einem Besuch des aktuellen Sets zeigen. Was sofort wildeste Spekulationen befeuerte, ob Sie demnächst vielleicht als Untote zurückkehren werden.
Kekilli: Ich war am Set, das stimmt. Aber ich werde nicht als Zombie zurückkehren (lacht). Ich habe meine früheren Kollegen nur besucht. Ich bin einerseits wirklich traurig, dass ich bei "Game Of Thrones" raus bin. Aber: Ich hatte vier gute Jahre, war von Anfang an dabei. Ich bin denen dankbar, dass ich so eine Erfahrung machen durfte und Teil dieser Familie war und bin. Das war einer der schönsten Drehs, die ich erleben durfte.
Quelle : welt.de
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