So soll die Welle von Morden an Albinos gestoppt werden

  21 Juni 2016    Gelesen: 802
So soll die Welle von Morden an Albinos gestoppt werden
Ein Aberglaube kostet in Afrika etlichen Menschen das Leben: Körperteile von Albinos sollen Macht verleihen und Aids heilen. Selbst ernannte Heiler zahlen auf dem Schwarzmarkt 66.000 Euro pro Leiche.
David Fletcher Machinjiri wollte zum Fußballspiel mit seinen Freunden. Seine Eltern willigten ein, er sollte eine Jugend wie jeder Gleichaltrige erleben. Doch der 17-jährige Malawier kehrte nie zurück. Zwei Wochen später fand man seine Leiche im Nachbarland Mosambik.

Seine Hände und Füße – abgehackt. Mehr als 58.000 Euro sollen Medizinmänner für die Gliedmaßen des Albino-Jungen bezahlt haben, wie die Polizei nach zwei Festnahmen herausfand.

"Es ist entmutigend, die Zahl von Entführungen, Tötungen und Exhumierungen von Albinos zu sehen", gestand Malawis Staatsoberhaupt Peter Mutharika im April. Das Land im Süden Afrikas erlebt derzeit eine Welle von Ritualmorden, bei denen Menschen mit Albinismus dem tödlichen Aberglauben zum Opfer fallen, ihre Körper besäßen heilende Kräfte.

Melanin-Mangel durch Gendefekt

Tatsächlich leiden sie unter einem Mangel des Farbstoffs Melanin, der Haar, Haut und Augen ihre Farbe verleiht. Jeder 5000. Afrikaner lebt mit dem Gendefekt. Allein im vergangenen Jahr kam es in Malawi zu 66 Anschlägen auf Betroffene. Die Dunkelziffer liegt Experten zufolge um ein Vielfaches höher, vor allem da Vorfälle im ländlichen Raum selten zur Anzeige gebracht würden. In mehreren Fällen stammten die Täter aus der Familie.

"Diskriminierung gegen Menschen mit Albinismus hat eine lange Geschichte in Malawi", sagt Ikponwosa Ero. "Sie wurzelt tief im Glauben und in kulturellen Praktiken. Etwa der Idee, dass Betroffene sich einfach in Luft auflösen, anstatt zu sterben."

Ero ist Unabhängige Expertin für die Rechte von Menschen mit Albinismus – ein Amt, das die UN 2015 ins Leben riefen. Vor Kurzem nannte Ero Malawier mit weißer Hautfarbe "eine gefährdete Menschengruppe", der bei Untätigbleiben die systematische Ausrottung drohe. Doch auch in anderen afrikanischen Staaten würden Menschen mit Albinismus verfolgt und hingerichtet.

Kampf gegen Albino-Morde

Um gemeinsam nach Lösungen zum Schutz dieser Minderheit zu suchen, tagt diese Woche das "Aktionsforum für Albinismus in Afrika". Der Gipfel findet von Freitag bis Sonntag in der tansanischen Hafenmetropole Daressalam statt. Erwartet werden neben Politikern aus 28 afrikanischen Staaten Aktivisten, Akademiker, UN-Diplomaten und Sprecher, die selbst von Albinismus betroffen sind. Am Ende soll ein Fahrplan stehen, der die Richtung für einen länderübergreifenden Kampf gegen Albino-Morde und Diskriminierung vorgibt.

Laut Ero kommt das Treffen zu einem historischen Wendepunkt: Nicht nur feiere Afrika das Jahrzehnt der Menschenrechte – auch die UN verfolgen mit der Verabschiedung ihrer nachhaltigen Entwicklungsziele das Ziel, "niemanden zurückzulassen".

Die größten Herausforderungen für die 150 Teilnehmer seien Aberglaube und Vorurteil. "Wenn wir die Straßen entlanglaufen, nennen uns die Menschen `wandelndes Geld`", sagt Boniface Massa, Direktor eines Albinismus-Vereins. Umgerechnet 66.000 Euro zahlen traditionelle Heiler für eine Leiche – weil ihre Knochen aus Gold bestünden, ihre Finger Macht verliehen oder ihre Geschlechtsteile Aids heilten.

"Die Situation ist eine wirksame Mischung aus Armut, Hexenglauben und Marktkräften", so Ero gegenüber dem Nachrichtensender al-Dschasira. Dabei gingen die Täter mit äußerster Brutalität vor: Nicht selten wurden den Opfern die Augen aus den Höhlen gerissen oder Lebenden die Finger abgehackt.

Im Mai verurteilte ein Gericht die Mörder des 17-jährigen Machinjiri zu einer 25-jährigen Haftstrafe. Vielen Malawiern mit Albinismus war das aber nicht genug: Sie stürmten das Parlament in Lilongwe und forderten die Todesstrafe für ihre Verfolger. "Es ist an der Zeit. Auge für Auge", stimmte Madalitso Kazombo, ein Oppositionspolitiker, zu.

Laut Albinismus-Diplomatin Ero hätten mehrere Staaten bereits "effektive" Maßnahmen ergriffen. Dazu gehörten die staatliche Regulierung von Medizinmännern wie in Tansania oder eine Telefonhotline für Albino-Verbrechen wie in Kenia. "Diese Erfolgsmethoden müssen geteilt und in einem kontinentweiten Fahrplan festgehalten werden, um das Problem endgültig zu lösen."

Quelle : welt.de

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