Doch die Strafe ist vor allem deshalb so drakonisch, weil Volkswagen ein tausendfacher Umweltsünder ist, weil die rund 475.000 Autos in den USA mit ihrer Betrugssoftware die Luft verschmutzt und die Gesundheit von US-Bürgern gefährdet haben. Die US-Umweltbehörden EPA und CARB reiten mit dieser Begründung ihre heftigen Attacken auf den Autobauer. Nur: Die Strafen und die Auflagen zur Wiedergutmachung werden der Umwelt in den Vereinigten Staaten kaum etwas bringen.
Denn als Folge des Vergleichs, den Volkswagen mit den Vertretern der US-Kläger schießt, werden Zehntausende fahrbereite Autos, viele davon so gut wie neu, einfach verschrottet werden. Ein großer Teil der Fahrzeuge mit Betrugssoftware kann nicht mit vertretbarem Aufwand so umgerüstet werden, dass sie die US-Umweltgesetze einhalten. Genutzt werden können sie damit nicht mehr.
Eine Ausfuhr in ein Land außerhalb der USA ist aber auch nicht möglich. "Produkte, die nicht mit den Gesetzen der Vereinigten Staaten im Einklang stehen, können nicht einfach exportiert werden. Sie sind illegal und das Problem kann nicht gelöst werden, in dem man es einfach außer Landes schafft", sagt eine mit den Vergleichsverhandlungen vertraute Person in den USA gegenüber der "Welt". Dabei ist es egal, ob die fraglichen Autos in anderen Ländern die Umweltauflagen erfüllen würden oder nicht.
VW hat für viele Fahrzeuge noch immer keine Umrüstungslösung
Volkswagen hat für eine ganze Reihe von Fahrzeugen noch immer keine technische Lösung zur Umrüstung vorgelegt, die von EPA oder CARB akzeptiert wird. Sollte VW am Ende keinen Plan zur Nachrüstung präsentieren können, den die US-Umweltbehörden annehmen, müssen die entsprechenden Autos zerlegt werden, am schlimmsten Fall in die Schrottpresse. Dabei kann es sich um Tausende Autos handeln. Selbst wenn vorab viele Teile ausgebaut und wiederverwertet werden können: Gut für die Umwelt ist das nicht. Und das schon deshalb, weil im Fall von Dieselgate wohl für jedes aus dem Verkehr genommene Auto ein neues auf die Straße kommt. Und ein großer Teil der Umweltbelastung entsteht bereits bei der Produktion des Fahrzeugs.
Mit insgesamt 15 Milliarden Dollar wird der Vergleich für VW nun noch einmal erheblich teurer als in den vergangenen Tagen angenommen. Die Summe selbst geht aus der außergerichtlichen Einigung hervor, die heute Abend offiziell beim Gericht in San Francisco eingereicht wird.
Demnach wird VW den größten Teil, nämlich 10,03 Milliarden Dollar (9,06 Milliarden Euro) an die Besitzer der betroffenen Autos zahlen müssen. Das Geld wird für den Rückkauf der Fahrzeuge, ihre Reparatur und die Entschädigung der Eigentümer eingesetzt. Besitzer, die sich entscheiden, das Auto an VW zurückzugeben, bekommen je nach Alter, Zustand und Laufleistung nach "Welt"-Informationen für ihren VW zwischen 12.475 und 32.867 Dollar. Audi-Fahrer bekommen bis zu 44.176 Dollar. Entscheiden sich die VW- und Audi-Kunden dafür, das Auto kostenlos nachrüsten zu lassen, gibt es dafür zwischen 5100 und 9852 Dollar.
Die Entschädigung, die zusätzlich zum Rückkaufpreis bezahlt wird, richtet sich ebenfalls nach dem Alter und Wert des Autos. Besitzer bekommen zusätzlich einen Aufschlag von 20 Prozent des Fahrzeugwertes plus knapp 3000 Dollar. Maximal kann die Entschädigung damit rund 10.000 Dollar zusätzlich zum Fahrzeugwert betragen.
Wer das betroffene Auto nur geleast hat, kann den Vertrag vorzeitig beenden und muss dafür keine Strafgebühr bezahlen. Zusätzlich erhält jeder Leasing-Nehmer die Hälfte der Entschädigung, die einem Käufer des gleichen Modells zugestanden hätte. Die Entschädigung bewegt sich damit zwischen 2550 und 5000 Dollar.
Zusätzlich zum Rückkaufpreis und der Entschädigung bekommen die Kläger auch ihre vollen Anwaltskosten von VW erstattet. Die Honorare für die Rechtsanwälte kommen noch zu der Vergleichssumme hinzu
Nicht alle VW-Kunden werden ihr Auto zurückgeben
Bei der Summe von 10,03 Milliarden Dollar handelt es sich um den Maximalbetrag, wenn tatsächlich alle betroffenen Besitzer ihre Autos zurückgeben würden. Sollten einige ihre Fahrzeuge weiterfahren wollen, könnten die Kosten für VW niedriger ausfallen. Es ist nicht damit zu rechnen, dass alle VW-Kunden tatsächlich reagieren und ihr Auto zurückgeben oder umrüsten lassen. Rückrufe können in den USA nicht wie in Deutschland rechtsverbindlich durchgesetzt werden. Darüber hinaus verstoßen die betroffenen Wagen von VW trotz Einsatzes der Betrugssoftware in vielen US-Bundesstaaten nicht gegen die Umweltgesetze. Volkswagen hat für die Abgasaffäre bislang 16,2 Milliarden Euro zurückgestellt.
Weitere 2,7 Milliarden Dollar (2,4 Milliarden Euro) muss VW an die Umweltschutzbehörden EPA und CARB bezahlen, die mit dem Geld einen Fonds finanzieren, der Stickoxide in der Umwelt reduzieren soll. Das Geld soll über drei Jahre eingezahlt werden. Verwaltet werden soll dieser Fond von Ex-FBI-Chef Robert S. Mueller, der von dem kalifornischen Bezirksrichter Charles Breyer damit betraut worden war, in den mehr als 500 eingereichten Klagen rund um den VW-Abgasskandal eine Einigung herbeizuführen. Mit dem Geld könnten unter anderem Anlagen zur umweltfreundlichen Energiegewinnung gebaut oder ein Netz von Ladesäulen aufgebaut werden.
Zwei Milliarden Euro muss der Wolfsburger Konzern zudem in die Entwicklung von Techniken investieren, die Fahrzeuge komplett ohne schädliche Abgase antreiben. Das könnte unter anderem dadurch passieren, dass Volkswagen im US-Werk Chattanooga (Tennessee) Produktionslinien zum Bau von Elektroautos aufbaut. 603 Millionen Dollar bekommen die US-Bundesstaaten. Mehrere Staaten hatten wegen der Abgasaffäre Volkswagen verklagt – wie es auch das US-Justizministerium und mehrere Landkreise (Countys) getan hatten.
Das Gesamtpaket wird am Dienstagvormittag (Ortszeit) in Kalifornien von den drei Klägern eingereicht. Neben dem US-Justizministerium, das die Umweltschutzbehörden EPA und CARB vertritt, werden auch die Handelskommission Federal Trade Commission (FTC) und die Vertreter der privaten Sammelkläger dem Gericht Dokumente übergeben. Am Donnerstag wird es dann eine kurze Anhörung vor Richter Charles Breyer geben, der sich die Einigungen dann genau ansehen wird.
Für VW-Kunden in Europa ist der US-Vergleich folgenlos
Einen knappen Monat später, am 26. Juli, muss das Gericht dann entscheiden, ob der Vergleich fair und vernünftig ist. Allerdings kann der Richter nur zustimmen oder den Vergleich komplett ablehnen, eine Änderung der Summen kann er nicht veranlassen.
Sollte Richter Breyer Ende Juli seine vorläufige Zustimmung erteilen – wovon alle Beobachter ausgehen – haben die Sammelkläger gut drei Monate Zeit, den Vergleich anzunehmen oder aus der Sammelklage auszusteigen und den Versuch zu wagen, selbstständig gegen VW vorzugehen, um mehr herauszuholen. Erst nach Ablauf der Frist, vermutlich Ende Oktober, würde die Einigung dann endgültig wirksam.
Für VW-Kunden in Europa hat der US-Vergleich keine Auswirkungen. Außerhalb der Vereinigten Staaten plant VW keine Entschädigungszahlungen für Besitzer der betroffenen Autos. Die Fahrzeuge werden lediglich im Rahmen von Rückrufen so verändert, dass sie die Abgasgrenzwerte einhalten. Verbraucherschützer haben bereits gefordert, dass VW keine Unterschiede macht und auch die Besitzer in Deutschland und dem Rest Europas entschädigen soll.
Ebenfalls unberührt von der Einigung in den USA sind die Forderungen von Investoren, die sich zu spät über den Abgasskandal informiert fühlen und deshalb Schadenersatzklagen eingereicht haben. Auch in diesen Fällen drohen VW Milliardenzahlungen, zumal auch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) zu dem Ergebnis gekommen ist, dass der damalige VW-Vorstand zu spät informiert hat und damit vorsätzlich die Märkte manipuliert haben soll. Die Bafin hatte deshalb den gesamten Vorstand angezeigt. Bislang wird jedoch nur gegen den früheren Konzern-Chef Martin Winterkorn und Marken-Chef Herbert Diess ermittelt.
Der Anwalt Andreas Tilp, der zahlreiche Investoren bei ihren Schadenersatzforderungen vertritt und bereits eine Klage über knapp 3,3 Milliarden Euro eingereicht hat, fordert schon jetzt, dass VW mehr als die bisher zurückgestellten 16,2 Milliarden Euro zur Seite legt. Tilp rechnet vor, dass diese Summe angesichts des nun in den USA geschlossenen Vergleichs nicht reichen werde. Seinen Berechnungen zufolge werde VW mindestens 5,485 Milliarden Euro zusätzlich benötigen. Der Anwalt fordert daher eine Erhöhung der Rückstellungen. Das würde die Bilanz von Volkswagen erneut schwer belasten.
Quelle : welt.de
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