Ford ist dabei, sein Modellprogramm zu entrümpeln: Mondeo (schon etwas länger) weg, Fiesta weg und bald auch Focus weg. Was jetzt auf Markenebene geschieht, passierte Ende der Neunzigerjahre auf Marktebene - und erwischte damals ebenso Ford. Vom Wegfall der zunehmend unbeliebter werdenden großen Limousinen im niedrigeren Preissegment war nämlich auch der ab 1985 gebaute und 1994 in stark gelifteter Form in den Markt eingeführte Scorpio betroffen.
Sagen wir mal so - die Klasse brach nicht weg, aber hatte sich drastisch verändert. Die obere Mittelklasse (auch Businessklasse genannt) wurde mit wachsendem Anspruch an die Technologie so exklusiv und teuer, dass sie nur noch von Premiumanbietern bespielt wurde. Schließlich gibt es den Fünfer von BMW und die E-Klasse von Mercedes ja noch immer.
Offerten wie Ford Scorpio, Nissan Maxima, Opel Omega und Toyota Camry sind leider auf der Strecke geblieben - allerdings auch zugunsten von SUV-Modellen. Aber das ist eine andere Geschichte. Und dennoch gibt es im bezahlbaren Bereich keinen Ersatz mehr für die großen Limousinen. Mit ihnen ist übrigens auch ein Stück Sechszylinder- und damit Fahrkultur weggebrochen.
Die Erinnerungen sind ein bisschen verblasst, kommen aber schlagartig zurück, wenn du mal wieder in einen Ford Scorpio steigst. Natürlich 2.9i Ghia (spätes Exemplar aus dem Jahr 1998), kleiner haben es die Kölner nicht. Ist aber auch richtig so, denn in dieser Konstellation kann die 4,83 Meter lange Limousine ihr ganzes Antriebspotenzial ausspielen. Hinzu kommen üppige Fauteuils mit dem markant gesteppten Leder - eindrucksvoll. Und dann - Motorstart per etwas billig wirkendem Schlüssel. Ford eben. Aber was jetzt ertönt, assoziierst du zumindest hierzulande eher nicht mit Ford, sondern vielmehr mit einer exklusiveren Marke. Seidig und sonor erwacht der längs eingebaute 2,9-Liter-V6 zum Leben. Klar, die älteren Saugrohreinspritzer benehmen sich ja generell kultivierter als heutige Direkteinspritzer.
"Cossie"-Scorpio eher komfortabel als rasant
Danach wandert die Hand zum Wählhebel, der den Namen noch verdient; die Sperre schnell mit dem Daumen lösen und auf "D" schieben. Und schon kriecht der bequeme Scorpio los mit seiner aus heutiger Sicht antiquierten Viergang-Wandlerautomatik. Aber wenige Übersetzungen haben auch Vorteile. Zugkraftunterbrechungen kennt der Ford nicht, Gaspedalbefehle werden prompt umgesetzt. Das war noch recht simpler Getriebebau - schlicht und funktional.
Generell setzt sich der Businessklässler natürlich langsamer in Bewegung als vergleichbare moderne Fahrzeuge. Und langsamer, als man vermuten würde: Immerhin entstammt der berühmte Zwopunktneun mit 24 Ventilen aus der Cosworth-Schmiede. Und was der britische Sportmotorenspezialist anfasst, wird in der Regel zur wilden Nummer. Müde neun Sekunden gibt das Werk dem Hecktriebler bis zur 100-km/h-Marke. Das ist für einen 207 PS starken 1,5-Tonner jetzt wahrlich wenig sportlich, aber der im herrlich ineffizienten Wandlerschlupf noch feiner klingende Sechszylinder macht das leichte Phlegma wieder wett. Außerdem liegt der Schwerpunkt eben auf sanfter Fortbewegung.
Und während du mit dem altersbedingt hier und da leicht knarzenden Kölner so vor dich hin cruist, wandert der Blick über die gesamte Armaturentafel. Und ich muss schmunzeln beim Anblick der etwas nach Plastik aussehenden Wurzelholzapplikationen. Solche innenarchitektonischen Unzulänglichkeiten differenzieren die hemdsärmelige, erschwingliche Businessklasse eben von der Premiumliga. Macht aber nichts, der simple Scorpio mit dem in Europa damals als eher schräg empfundenen US-amerikanischen Design (ab Modelljahr 95) befriedigt definitiv einen gehobenen Komfortanspruch.
Nur beim Bedienungslayout schwächelt die Limousine, denn hier gab es auch Anfang der Neunziger schon fetzigere Lösungen als billig wirkende Dreh- und klobige Druckschalter. Beispielsweise Tipptasten für eine ausgefeilte Klimaautomatik. Dafür ist der Scorpio immerhin schon ein bisschen digital, zeigt Dinge wie Außentemperatur, Durchschnittsverbrauch oder Reichweite an auf dem Bordcomputer. Und verschiedenfarbige Symbole in Form eines Eiskristalls (orange warnt vor moderat kalten und rot vor eisigen Temperaturen) weisen auf potenzielles Glatteis infolge fallender Außentemperaturen hin.
Könnte man mit dem Scorpio auf die große Reise gehen? Aber klar, denn nicht nur die großen Ledersessel mit Lendenwirbelstütze sowie elektrischer Verstellung tragen zur Wohlfühlstimmung bei, sondern der geräumige Innenraum ebenso. Vor allem die zweite Reihe bietet Beinfreiheit ohne Ende. Und der Tempomat macht längere Autobahnfahrten entspannt.
Wer ausgerechnet den späteren Scorpio mit der Ami-Optik haben möchte (gab es übrigens auch als Kombi), muss inzwischen ganz schön lange suchen. Die Baureihe ist derart ausgestorben, dass selbst in den einschlägigen Internetbörsen oft nur noch eine Handvoll Exemplare gleichzeitig zu finden sind. Wenn dann doch mal ein gepflegtes Stück auftaucht, bitte zugreifen. Die Preise liegen im mittleren vierstelligen Bereich.
Neben dem Karosseriethema (Rost und so) sollten Interessenten achtgeben auf verschleißende Kabelbäume für die Motorsteuerung insbesondere beim 2.9i-24V mit der BOB-Kennung (zweite Generation). Außerdem macht die Steuerkette immer wieder Probleme. Wenn der Experte, den man als Laie zurate ziehen sollte, grünes Licht für den Kauf gegeben hat, ist der letzte Ford Scorpio ein cooler Cruiser-Oldie für günstiges Geld mit Exotenstatus. Für Sechszylinder-Fans muss natürlich der 24V her. Ganz im Sinne der Fahr- und Motorlaufkultur.
Quelle: ntv.de
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