AfD in Baden-Württemberg: Der Chaos-Tag von Stuttgart
Zwölf Abgeordnete hat Jörg Meuthen um sich geschart, sie flankieren ihren Fraktionsvorsitzenden im Halbkreis. Das Arrangement soll Hausmacht ausstrahlen, wo diese doch für Meuthen womöglich gerade deutlich kleiner geworden ist. Umso nachdrücklicher sagt der Fraktionsvorsitzende: "Wir sind AfD. Wir denken nicht daran, als Mehrheit zu weichen."
Auf einer Pressekonferenz in einem Nebengebäude des Stuttgarter Landtags erklärt Meuthen am Nachmittag seinen Austritt aus der Fraktion. Mit ihm gehen zwölf von 23 AfD-Abgeordneten.
Nach nur zwei Monaten im Parlament hat sich die AfD damit zerlegt - über die Frage, ob Antisemitismus in den eigenen Reihen zu dulden sei. Am Abend deutete sich an, dass die Fraktion womöglich doch noch ihre Spaltung verhindern kann. Nach Intervention von Bundessprecherin Frauke Petry erklärte der Abgeordnete Wolfgang Gedeon überraschend, er werde nun doch aus der Fraktion austreten.
Machtkampf zwischen Meuthen und Petry
Bei der internen Abstimmung zuvor war es Meuthen nicht gelungen, die nötige Mehrheit dafür zu bekommen, Gedeon wegen antisemitischer Veröffentlichungen aus der Fraktion auszuschließen. Nötig gewesen wäre ein Zweidrittelmehrheit. Zehn Abgeordnete von 23 wollten diesem Ansinnen nicht folgen. Meuthen hatte sein eigenes politisches Schicksal mit dem Fall verknüpft und seinen Rücktritt angedroht.
Wenn die Lager nicht doch noch zueinander finden, könnte es bald zwei AfD-Fraktionen im Landtag geben, ab sechs Abgeordneten lässt sich eine Fraktion bilden. Die Landtagsverwaltung hat bereits klargestellt, dass die AfD-Fraktion ab Mitternacht nur noch aus den zehn verbleibenden Abgeordneten bestehe. Die übrigen sollten ihren Status erklären.
Der Chaos-Tag von Stuttgart war der nächste Akt im anhaltenden Machtkampf zwischen Meuthen und seiner Co-Bundessprecherin Frauke Petry. Meuthen verlas eine Erklärung des Bundesvorstands, beschlossen nach einer hastig einberufenen Telefonkonferenz: Der Bundesvorstand distanziere sich von den Mitgliedern der Fraktion, die sich dem Ausschluss von Dr. Gedeon verweigert hätten. Einstimmig sei der Beschluss in Berlin gewesen, sagt Meuthen. Doch bei der entscheidenden Telefonkonferenz fehlte Petry.
Meuthen gibt sich keine Mühe, das Zerwürfnis zu verbergen. Eine gemeinsame Pressekonferenz hatte er verweigert, über Petrys Rolle wolle er sich nicht äußern, sagt er. Stattdessen nimmt er auf dem Flur demonstrativ einen Anruf entgegen: "Herr Gauland, ich rufe Sie gleich zurück."
"Wir sind die AfD-Fraktion, wir bleiben die AfD-Fraktion"
Während Meuten und seine Mitstreiter ihren Entschluss erläutern, haben sich seine Kontrahenten einen Stock tiefer versammelt. Zu ihnen gehören unter anderem Emil Sänze, Rainer Balzer und Bernd Grimmer, Meuthens Stellvertreter.
Auf dem Flur zeigt sich Heiner Merz, einer aus dem Zehnerlager. "Ich finde es bedauerlich, dass es heute zum Schwur kam", sagt Merz. "Wir sind die AfD-Fraktion, wir bleiben die AfD-Fraktion, die anderen sind ausgetreten." Es habe sich um eine Gewissensentscheidung gehandelt, so Merz: "Die AfD hat viele Anfeindungen ertragen müssen."
Noch vor einigen Tagen hatte die AfD-Fraktion versucht, in der Causa Gedeon auf Zeit zu spielen. Gutachter sollten damit beauftragt werden, die Schriften Gedeons zu prüfen. Doch während oben Meuthen von zwei Gutachten erzählt, eines davon erstellt vom Dresdner Politikwissenschaftler Werner Patzelt, sagt Merz, die Gutachten seien von Einzelpersonen beauftragt worden, nicht von der Fraktion.
Gedeon selbst kommt kurz aus dem Zimmer und sagt auf Nachfrage den rätselhaften Satz "Es läuft in die richtige Richtung" - womöglich im Hinblick auf seinen späteren überraschenden Verzicht. Sein Fraktionskollege Heinrich Fiechtner sagt hingegen, die Situation sei "schwierig" und "schmerzhaft". Fiechtner gilt als Rechtsausleger, hat sich aber Meuthen angeschlossen.
Ist die Spaltung damit hinfällig?
Um kurz nach fünf am Nachmittag trifft Frauke Petry ein. Sie tritt aus dem Aufzug, geht mit ihrem Gefolge schnell den Gang entlang in Richtung Fraktionszimmer. Petry grüßt Fiechtner und ignoriert die Fragen der wartenden Journalisten.
Den ganzen Abend führt sie Gespräche mit Fraktionsangehörigen, auch mit Gedeon unter vier Augen. Ihr Kontrahent Jörg Meuthen ist unterdessen nicht mehr im Landtagsgebäude, sondern auf dem Weg in die Fernsehstudios.
Um kurz nach neun am Abend nimmt das AfD-Drama dann eine überraschende Wendung: Petry tritt mit Gedeon vor die Kameras. Gedeon erklärt, er werde nun doch aus der Fraktion austreten. Ist die verkündete Spaltung damit hinfällig? Frauke Petry steht neben Gedeon und sagt: "Ich hoffe, dass ich diesen Prozess weiterhin begleiten kann."
Ihr Pressebüro verschickt kurz vor zehn eine Pressemitteilung: "Die Spaltung der AfD-Fraktion in Baden-Württemberg wurde heute Abend abgewendet. In den kommenden Tagen werden wir daran arbeiten, zu alter Stärke und Einheit zurückzufinden."
Quelle: spiegel.de