Neymar ist Brasiliens letzte Hoffnung

  23 Juli 2016    Gelesen: 759
Neymar ist Brasiliens letzte Hoffnung
Brasiliens Fußball steckt nach dem 1:7 gegen Deutschland in tiefer Depression. Nun soll Neymar das Team zu Olympia-Gold führen. Doch auch in seinem scheinbar perfekten Profi-Leben gibt es einen dunklen Schatten.
Check-in des Heilsbringers: An der Seite von vierzehn weiteren Mannschaftskollegen ist Weltstar Neymar zu Wochenbeginn im Trainingszentrum Granja Comary gut eine Autostunde von Rio de Janeiro entfernt in die Mission „Gold“ gestartet. Keine andere Medaille ist für den Olympia-Gastgeber wichtiger als die erste Goldmedaille für die olympische Fußball-Auswahl der Männer überhaupt.

Und deswegen hat der Weltklassespieler schon einmal den Fahrplan für die nächsten beiden Jahre abgesteckt: „Es ist ein Titel, der mir und dem brasilianischen Fußball noch fehlt. Und wir spielen zu Hause“, sagte Neymar dem Magazin „Isto E“. „Deswegen haben wir die Verpflichtung, zu gewinnen. Danach geht es dann nach Russland. Und ein WM-Titel fehlt mir ja auch noch.“

Das ist schon einmal ein kleiner Vorgeschmack auf das, was die rund 200 Millionen Brasilianer während der Olympischen Spiele (5. bis 21. August) am meisten interessieren wird. Nicht einmal Supersprinter Usain Bolt aus Jamaika und auch nicht Ausnahmeschwimmer Michael Phelps aus den Vereinigten Staaten werden Brasiliens Lichtgestalt im Kampf um Einschaltquoten und Medienpräsenz im nationalen Fernsehen übertreffen. Neymar versucht erst gar nicht die Erwartungen zu dämpfen: „Ich denke nur an Gold.“

Eigentlich ist ein Olympia-Sieg für den Rekord-Weltmeister nicht das Maß aller Dinge. Erfolge werden im Land von Pelé, Zico und Neymar am WM-Titel gemessen. Doch Brasiliens Fußball steckt in einer tiefen Depression. Die Mauern des Imperiums drohen einzustürzen: In der südamerikanischen WM-Qualifikation, den Eliminatorias, liegt Brasilien nach sechs von achtzehn Spielen auf Rang sechs.

Das würde nicht einmal zu einem Play-off-Spiel um den letzten Qualifikationsplatz reichen. Der fünfmalige Weltmeister wäre - Stand heute - nicht für die WM 2018 in Russland qualifiziert. Und bei der Copa América 2016 in den Vereinigten Staaten überstand Brasilien nicht einmal die Vorrunde. Nationaltrainer Dunga kostete die Stagnation in den vergangenen beiden Jahren den Job. Nun darf sich der populäre Klubtrainer Tite an der Wiederbelebung des Giganten versuchen.

Wie beim 1:7 im Halbfinale gegen Deutschland bei der WM 2014 trägt Neymar an all diesen schmachvollen Pleiten der vergangenen Jahre keine Mitschuld. Im Halbfinale gegen den späteren Weltmeister Deutschland fehlte er verletzt, bei der Copa América machte Neymar lieber an der Seite von Musiker Justin Bieber Urlaub, weil er sich für Olympia im eigenen Land entschieden hatte. Und den verpatzten Auftakt in die WM-Qualifikation verpasste Neymar zum Teil wegen einer Rotsperre.

Neymar ist für die Brasilianer deshalb so etwas wie die letzte Hoffnung eines untergehenden Reiches. Eine unbefleckte Heiligenfigur der Nationalsportart Nummer eins, die inmitten einstürzender Mauern und einer schweren politischen und wirtschaftlichen Krise des südamerikanischen Landes zum Träumen von besseren Zeiten einlädt.

Während die an Stars und Qualität arme nationale Fußball-Liga nicht einmal die beliebten Telenovelas vom Quotenthron stoßen kann, sorgen die Spiele des FC Barcelona für großes Interesse in Brasilien. Neymar liefert den Brasilianern im katalanischen Trikot, was sie von der Seleção nicht mehr kennen: Tore, Titel und Triumphe. Rechtzeitig vor dem Turnier verlängerte Neymar seinen Vertrag in Barcelona bis 2021, samt einer saftigen Gehaltserhöhung. Nichts soll die Vorbereitung auf das Turnier stören, bei dem Neymar seine Stellung als letzter verbliebener brasilianischer Fußballheld bestätigen soll.

Hype um Neymar so klein wie möglich halten

Gut drei Wochen Zeit nehmen sich die Olympia-Kicker, um am richtigen Schliff für das Turnier zu arbeiten. Doch auch im scheinbar so perfekten Profi-Leben von Neymar gibt es einen dunklen Schatten. Der inzwischen 24 Jahre alte Angreifer war bereits im olympischen Finale 2012 von London dabei. Und verlor gegen Mexiko.

Brasiliens Verband versuchte zum Auftakt, den Hype um Neymar so klein wie möglich zu halten. Die Mannschaft, nicht der Weltstar soll im Vordergrund stehen. Team-Koordinator Erasmo Damiani bestätigte am Montag noch einmal die verletzungsbedingte Absage von Bundesligaprofi Douglas Costa: „Bayern München hat uns die Untersuchungsergebnisse der Verletzung von Douglas rechtzeitig geschickt, und nach Bestätigung der medizinischen Abteilung des CBF haben wir mit dem Klub von Renato Augusto Kontakt aufgenommen.“

Der ehemalige Leverkusener, wie viele andere brasilianische Nationalspieler zurzeit in China unter Vertrag, wird damit zu einem Schlüsselspieler während des olympischen Turniers. Für den Mittelfeldspieler von Beijing Guoan ist Olympia die Erfüllung eines Kindheitstraums: Geboren in Rio de Janeiro, trug Renato Augusto vor seinem Wechsel nach Deutschland das Trikot von Rios Kultklub Flamengo und spielte im Maracanã-Stadion. Er stößt allerdings erst später zur Olympia-Auswahl. Damiani erwartet ihn am 30. Juli zum Testspiel gegen Japan im Stadion Serra Dourada.

Fünf Tage später wird Neymar am 4. August, also einen Tag vor der offiziellen Eröffnung der Spiele, die Seleção um 16 Uhr Ortszeit im Nationalstadion in Brasilia gegen Südafrika aufs Feld führen. Schon jetzt verfolgen die brasilianischen Medien jeden Schritt Neymars. Die Krönungsmesse soll dann am 20. August im Maracanã steigen.


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