Assad ist in Siegerlaune - und Aleppo geht unter

  22 Juli 2016    Gelesen: 861
Assad ist in Siegerlaune - und Aleppo geht unter
Im eingekesselten Aleppo droht eine Hungersnot. Syriens Machthaber Assad steht damit vor dem Sieg – auch weil die Welt lieber gegen den IS kämpft. Was das für die Zukunft Syriens bedeuten könnte.
Das Schicksal der Rebellen hängt an einer Straße. Die Castello Road ist für sie der letzte Weg nach Aleppo. Doch der Feind, die syrische Armee, riegelte die Straße in dieser Woche ab. Die Hoffnung, die Metropole, einstige "Perle Syriens", zu verteidigen, ist zerstoben.

"Nun sind wir tatsächlich eingekesselt", sagt Abu Ali, ein Rebellenkommandeur in Aleppo. "Es steht ein Massaker bevor. Assad wird uns aushungern." Aus anderen syrischen Städten drangen Bilder von zu Skeletten abgemagerten Menschen. Nun könnte die Katastrophe die Metropole heimsuchen. Rund 200.000 Menschen in den Rebellenvierteln der Stadt wären betroffen.

Profiteur des unmenschlichen Schreckens wäre der syrische Machthaber Baschar al-Assad. Der Sieg in Aleppo ist ein Symbol für seine neue Stärke – und für einen Kurswechsel. Die globalen Mächte, die sich bisher in Syrien bekämpften, scheinen ihren Plan geändert zu haben. Priorität Nummer eins ist nun der Kampf gegen die radikalen Islamisten. Zusammen mit Assad. Der ist nun der Mann der Stunde. Seinen Kopf wird er am Ende aber wohl trotzdem nicht retten können.

Drama um Aleppo ist ein Sieg für Assad

Die Menschen in Aleppo sind verzweifelt. "Meine Vorräte werden nur noch eine Woche reichen, wenn es dann auf dem Markt nichts gibt, würde das Hungersnot bedeuten", sagte der 44-jährige fünffache Vater Mohammed Seitun am Anfang der Woche einem Reporter der Nachrichtenagentur AFP. "Ich weiß nicht, was mit uns geschehen wird", sagte der 38-jährige Mohammed Rukbi. "Wir können nirgendwo hingehen, alle Straßen sind abgeriegelt."

Das UN-Büro für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (Ocha) spricht von einer "besonders besorgniserregenden" Lage. Im Ostteil Aleppos seien seit dem 7. Juli keine Hilfsgüter angekommen.

Das Drama um Aleppo ist zugleich ein Sieg für Assad. Der stand einst kurz vor der Niederlage. Seit Monaten eilt er von Erfolg zu Erfolg. Seine Soldaten drängen die Rebellen zurück, befreiten die antiken Stätten von Palmyra von der Herrschaft der Terrormiliz Islamischer Staat (IS). Nun stehen sie vor den Toren von Rakka, der IS-Hauptstadt.

Zwölfjähriger von Rebellen enthauptet

Die neue Stärke des Machthabers wurzelt in einer neuen Haltung der internationalen Gemeinschaft. Jahrelang hatten die USA, die Türkei, Saudi-Arabien oder Katar ihre eigenen Strategien verfolgt. Jeder unterstützte seine Rebellenmiliz, je nach ideologischer Präferenz – was zu einem großen Stellvertreterkrieg führte.

Nun zeigen sich alle relevanten Mächte nur noch "sehr besorgt", aber lassen Assad und sein Regime gewähren. Gemeinsam will man nun die Extremisten bekämpfen, um den Bürgerkrieg zu beenden. Alle anderen Fragen stehen hinten an.

Der Krieg wird weiter mit unmenschlicher Härte geführt. Bei Luftschlägen der US-geführten Koalition sollen zuletzt 56 Zivilisten getötet worden sein, darunter auch elf Kinder, wie die oppositionsnahe Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte mitteilte. Jenseits von Aleppo werden laut UN-Angaben rund 600.000 Menschen belagert, teils vom IS, teils von Aufständischen. Einer der brutalsten Vorfälle war zuletzt auf einem Video zu sehen. Ein Junge, angeblich zwölf Jahre alt, wird darauf von Rebellen enthauptet. Er soll auf der Seite des syrischen Regimes gekämpft haben.

Russland und Iran stehen Assad zur Seite

Der Sieger der gnadenlosen Kämpfe scheint derzeit Assad zu sein. Russland und der Iran stehen im Syrien-Konflikt ohnehin an seiner Seite. Aber auch traditionelle Gegner wie die USA, Saudi-Arabien oder die Türkei kommen nun hinzu. Die USA kämpfen mit Russland gegen den Islamischen Staat und al-Qaida. Die Türkei normalisiert ihre Beziehungen mit Assad und Russland. Der russisch-amerikanische Deal, die türkisch-russische Verständigung – noch vor sechs Monaten wäre das undenkbar gewesen.
Auch die Golfstaaten halten sich zurück. Sie sind zusammen mit der Türkei die wichtigsten Waffenlieferanten der Rebellengruppen. Mit ihren Arsenalen hätten die Rebellen wohl die Einkesselung Aleppos verhindert oder wenigstens verzögert.

"Alle haben uns verlassen"

Das Ausbleiben der Waffen dürfte mit ein Grund sein, dass die Stadt vor dem Kollaps steht. Die Rebellen in Aleppo fühlen sich verraten, wittern eine Verschwörung. "Alle haben uns verlassen", sagt Abu Ali, der Rebellenkommandeur, am Telefon. "Wir haben nie genug Waffen bekommen, und jetzt machen die USA noch einen Pakt mit Russland, obendrein will die Türkei wieder gut Freund mit Assad sein." Die Rebellen seien ein Bauernopfer eines "miesen politischen Spiels", ist Abu Ali überzeugt.

Assad ist in Siegerlaune. Zuletzt versprach er in einem umjubelten Auftritt im Parlament, jeden Zentimeter Syriens zurückzuerobern. Doch seine persönliche Zukunft ist trotz aller Erfolge offen.
Die großen Mächte sind sich einig, zunächst gemeinsam die Islamisten zu bekämpfen. Zur Personalfrage Assad äußert sich kaum jemand. Die Schlüsselmächte USA und Russland haben inzwischen ein großes gemeinsames Interesse. Sie wollen ein Machtvakuum verhindern, in das Islamisten stoßen könnten. Russland will das seit jeher. Den USA ist diese Argumentation nach den Erfahrungen des Irak-Kriegs inzwischen auch nicht mehr fremd. In Syrien soll ein politisches Chaos wie im Nachbarland vermieden werden.

Opposition könnte doch noch einlenken

Die Opposition aber stemmt sich gegen eine Zukunft des Systems Assad. Sie wollen bei den Friedensverhandlungen in Genf keine Kompromisse eingehen. Die Einkesselung Aleppos und drohende weitere Niederlagen könnten das ändern. Dann wäre die Opposition womöglich gezwungen, sich auf Druck von außen mit dem verhassten Regime zu arrangieren.

Also eine Zukunft unter Assad? Unwahrscheinlich. Womöglich eine Zukunft für die syrischen staatlichen Strukturen, aber ohne Assad. Die Türkei, Saudi-Arabien und auch Katar hätten beim neuen Kurswechsel nicht mitgemacht, gäbe es für sie nicht auch etwas zu gewinnen. Sie verlangen seit Jahren den Sturz des Machthabers und werden dieses Ziel wohl auch erreichen.

Aber wird das Assad-Regime verhandlungsbereit sein? Ja, wenn Russland Druck macht. Ohne russische Militärhilfe hat die syrische Armee keine Chance.

Und dann gibt es noch den Iran. Neben Russland ist er der wichtigste Verbündete von Damaskus – und der größte Geldgeber. Aus Teheran hieß es, man könne den syrischen Zentralstaat so weit auflösen, um in Zukunft keine Person oder Ethnie dominieren zu lassen. Für Assad sieht es schlecht aus – trotz seiner Siege und seinem neuen Pfand Aleppo. Denn sogar die iranischen Machthaber haben sich mit seinem Abgang abgefunden.

Quelle: n24.de


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