Schließlich, als er von der Bühne eilt, verlieren sich beide Namen in einem einzigen Röhren.
Es ist das dramatische Finale eines dramatischen Tages in Philadelphia, wo die US-Demokraten diese Woche zusammengekommen sind, um Hillary Clinton zu ihrer Präsidentschaftskandidatin zu ernennen. Doch zuvor muss noch ein lästiger Tagesordnungspunkt abgehakt werden: Bernie Sanders, der unterlegene Vorwahlrivale, dessen fanatische Anhänger seine Niederlage bis heute nicht akzeptieren und, fallen sie nicht ins Glied, Clintons Chancen zu untergraben drohen.
Also hat die Regie Sanders als Schlusspunkt dieses ersten Tages gesetzt. Als Brücke zwischen dem, was war, und dem, was kommt. Und der Sozialist, der ja nicht mal Parteimitglied ist, meistert diesen emotionalen Spagat brillant - für sich selbst und für die bangen Demokraten.
"So etwas habe ich noch nie erlebt"
Doch erst mal dauert es eine Viertelstunde, bis sie ihn den ersten Satz beenden lassen, bis der Jubel verklingt, der ihn hier begrüßt. Ein nostalgisches Video kündigt Sanders an: Szenen aus den Primaries, untermalt von Simon & Garfunkels "America", seinem Wahlkampfsong. Schon da heulen die ersten. "So etwas", murmelt ein Parteitagsveteran, "habe ich noch nie erlebt."
Sanders beginnt mit Thank-yous, das muss er. An die Hunderttausenden Wahlkampfhelfer, an die 2,5 Millionen Wahlspender, an die 13 Millionen Amerikaner, die "für die politische Revolution" gestimmt haben, an die insgesamt 1846 Parteitagsdelegierten, die seither an ihn gebunden sind: "Ich freue mich auf eure Stimmen bei der Wahl morgen Abend."
Dann aber schafft er die bittersüße Wende: "Niemand ist enttäuschter als ich." Doch "der Kampf" gehe auch so weiter, schwört er und beginnt eine allerletzte Litanei seiner wichtigsten Anliegen: Einkommensfairness, Wall-Street-Reform, Frauen- und LGBT-Rechte, die Umwelt.
Schließlich nimmt er seine Fans rhetorisch bei der Hand: "Hillary Clinton muss die nächste Präsidentin der Vereinigten Staaten werden!" 15 Minuten hat es gedauert, bis er den Namen seiner Ex-Gegnerin erwähnt - und für den Rest der Rede spricht er von niemand anderem mehr, voller Überschwang, voller Lob, und zum ersten Mal überhaupt nimmt man ihm das auch ab.
Die Demokraten radieren ihre Chefin aus
Dabei wäre diese sanfte Überführung der Sanders-Fraktion ins Clinton-Lager fast schief gegangen. Den ganzen Tag über brodelte die Wut der "Sandinistas", kochte immer wieder über.
Spätestens beim Frühstück zerplatzte die Illusion der trauten Einheit, als Demokraten-Chefin Debbie Wasserman Schultz ihre Heimatdelegation aus Florida begrüßte. Stunden zuvor hatte sie ihren Rücktritt angekündigt, als Konsequenz aus der Affäre um fast 20.000 geleakte E-Mails: Offenbar hatte die Parteispitze Sanders bei den Vorwahlen heimlich zu sabotieren versucht.
Der Skandal riss die Clinton-Sanders-Kluft neu auf - und der Abgang der Parteivorsitzenden spülte die Ressentiments noch mal richtig hoch: Sie wurde bei ihrem Auftritt niedergebrüllt und zog sich darob, sichtlich schockiert, ganz von dem Parteitag zurück, den sie hätte leiten sollen. Die Demokraten radierten ihre Chefin aus - schöner Auftakt für den Konvent der Harmonie.
Auch Sanders spürte das, als er seinen Leuten mittags zureden wollte: "Trump ist ein Tyrann und ein Demagoge." Hunderte Delegierte unterbrachen ihn da ebenfalls: "We want Bernie!"
Diese Rufe hallten durch ganz Philadelphia. Vor dem Rathaus rückten auch am Montag wieder Hunderte Demonstranten an, einige der Sanders-Anhänger forderten jetzt sogar, Clinton in den Knast zu stecken ("Lock her up!") - was man bisher nur von den rabiaten Republikanern kannte.
Auch in der Halle ging es kaum ruhiger zu. Immer wieder provozierte Clintons Name laute Buhrufe, gefolgt von "Bernie!"-Sprechchören. Unter den Unbeugsamen war auch Allen Roskoff, ein LGBT-Aktivist aus New York. Ob er denn für Clinton stimmen werde? "Ich hasse Hillary!"
Erst am Abend beruhigen sie sich. Komödiantin Sarah Silverman redet ihnen ins Gewissen: "An die Bernie-or-bust-Leute: Ihr seid lächerlich!" Dann Michelle Obama: Als Clinton 2008 die Vorwahlen verloren habe, "wurde sie auch nicht böse". Als dann Sanders selbst vor die Delegierten tritt, scheint aller Zank verflogen.
Zumindest für diesen einen letzten fulminanten Moment in der Revolution des Bernie Sanders.
Quelle : spiegel.de
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