Terror in Frankreich: Angriff auf einen Ort der Zuflucht

  27 Juli 2016    Gelesen: 305
Terror in Frankreich: Angriff auf einen Ort der Zuflucht
Zwölf Tage nach dem Attentat von Nizza stürmen Bewaffnete eine Kirche nahe Rouen und töten einen Pfarrer auf grausame Weise. Einer der Täter war den französischen Behörden offenbar als Extremist bekannt.
Ein Angriff von Islamisten auf ein ungeschütztes Gotteshaus, in ihrer Logik ein Symbol der Ungläubigen. Das war ein Szenario, das französische Sicherheitskräfte und Terrorismusexperten seit Langem fürchten.

Am Dienstagmorgen griffen zwei Bewaffnete eine Kirche in Saint-Étienne-du-Rouvray im Norden Frankreichs an, dort fand gerade ein Gottesdienst statt. Sie nahmen fünf Geiseln. Dann ereigneten sich grausame Szenen, die eine Ordensfrau später detailliert schilderte und die hier nur in Auszügen wiedergegeben werden: Der 84-jährige Pfarrer habe niederknien müssen, dann sei er ermordet worden.

Die Männer wollten ihre Tat offenbar per Video verbreiten. "Sie hatten Kameras dabei", sagt Schwester Danielle, die sich aus der Kirche retten konnte und die Polizei alarmierte. Die Geiselnahme endete nach knapp zwei Stunden, die Attentäter wurden getötet, als sie aus dem Gotteshaus stürmten.

Mindestens einer der Täter war wegen islamistischer Verbindungen polizeilich bekannt, beide beriefen sich laut französischer Regierung auf den "Islamischen Staat" (IS). Die Miliz verbreitete später, "zwei Soldaten" seien dem Aufruf gefolgt, die "Staaten der Kreuzfahrer-Koalition" anzugreifen.

Seit der IS der westlichen Welt den Krieg erklärt hat, sind in Frankreich mindestens zwei Mal Anschläge auf katholische Kirchen vereitelt worden. Im April 2015 etwa konnten die Sicherheitskräfte gerade noch rechtzeitig ein Attentat auf zwei Gotteshäuser im Süden von Paris stoppen.

Im Fadenkreuz der Terroristen

Nun hat es eine katholische Kirche in einer nordfranzösischen Arbeitergemeinde getroffen. Der Angriff ereignete sich nur zwölf Tage, nachdem ein offenbar islamistisch motivierter Attentäter seinen Lastwagen in eine Menschenmenge in Nizza gesteuert und 84 Frauen, Männer und Kinder getötet hatte. Sie hatten sich zuvor ein Feuerwerk zum Nationalfeiertag auf der Promenade angesehen.

Die Täter haben damit wieder im Alltag der Franzosen zugeschlagen - und dieses Mal an einem Ort der Zuflucht. An einem Ort, an dem die Menschen Trost und Sicherheit suchen. Zwar werden Kirchen und Gotteshäuser seit den IS-Drohungen vor hohen christlichen Feiertagen besonders geschützt. Zu Weihnachten stand etwa die Kathedrale Notre Dame de Paris unter Überwachung der Sicherheitskräfte. "Dennoch stehen Kultstätten im Fadenkreuz der Terroristen, zusammen mit Industrieanlagen oder Einkaufszentren oder anderen Orten, wo Menschenmassen sein können", sagte Christophe Caupenne im Sender France Info.

"Mit Anschlägen auf Kirchen, abseits der Metropolen, können die Terroristen zeigen, dass sie trotz des militärischen Großaufgebots überall zuschlagen können", so der ehemalige Unterhändler der Eliteeinheit RAID. Außerdem seien solche Orte nicht geschützt: "Kirchen werden damit leichte Ziele des `Gelegenheitsterrorismus`."

"Krieg führen mit allen Mitteln des Rechtstaats"

Präsident François Hollande war rasch am Tatort, ebenso Innenminister Bernard Cazeneuve. Der Präsident dankte Polizei, Feuerwehr und den Rettungskräften und äußerte sein "Mitgefühl mit allen Katholiken". Er wird am Mittwoch führende Kirchenvertreter im Élysée-Palast empfangen.

Hollande sprach zugleich von einer "weiteren Prüfung" für die Franzosen und forderte: "Wir müssen den Krieg führen mit allen Mitteln des Rechtstaates." Es ist tatsächlich eine Prüfung für die Franzosen. Nach mehreren schweren Anschlägen in nur 18 Monaten fällt es den Menschen immer schwerer, Einigkeit zu demonstrieren. Zwar schrieb Premier Manuel Valls bei Twitter: "Ganz Frankreich und alle Katholiken sind betroffen. Wir alle stehen zusammen." Aber schon nach Nizza wurde deutlich, dass die geforderte Einheit zu zerfallen droht.

Zudem dürfte die Menschen erzürnen, dass einer der Täter offenbar als Extremist bekannt war. Der Nachrichtenagentur AFP zufolge war er erfasst in einer Datei für radikalisierte Personen. Mehrere Medien berichten, er habe vor zwei Jahren versucht, sich als Dschihadist nach Syrien abzusetzen, sei aber in der Türkei aufgegriffen und nach Frankreich zurückgeschickt worden. Nachdem er vorübergehend in Haft war, sei er im März dieses Jahres entlassen worden - gegen den Willen der für Terrorbekämpfung zuständigen Staatsanwaltschaft. Seither habe er eine elektronische Fußfessel getragen, ihm sei es aber gestattet gewesen, tagsüber zwischen 8.30 und 12.30 Uhr sein Heim zu verlassen, um zur Arbeit zu gehen. Innerhalb dieser Zeitspanne geschah die Bluttat. Offiziell bestätigt sind diese Angaben noch nicht.

Bereits seit dem Anschlag von Nizza gibt es in Frankreich heftigen politischen Streit über die Sicherheitsmaßnahmen und mögliche Versäumnisse der Polizei. Die Diskussion scheint nun schärfer zu werden.

Als "abscheulichen Akt" bezeichnete Ex-Premier François Fillon von den konservativen Republikanern den Angriff auf die Kirche - er schob nach: "Empörung allein reicht nicht." Ähnlich äußerte sich sein Parteichef Nicolas Sarkozy. Weil der Feind keine Tabus kenne, müsse Frankreich "unerbittlich" reagieren: "Juristische Spitzfindigkeiten, Vorsichtsmaßnahmen und zu kurz greifende Aktionen sind nicht länger hinnehmbar."

Auch der rechte Front National reagierte prompt und nutzte die Bluttat, um die Furcht zu verstärken. "Wir befürchten einen neuen Terrorakt der Islamisten", so die Chefin des rechtsextremen Front National, Marine Le Pen. Ihre Nichte, Marion Maréchal-Le Pen, schimpfte und schürte Ängste: "Wacht auf: Sie töten unsere Kinder, morden unsere Polizisten und meucheln unsere Priester."

Quelle : spiegel.de

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