So blickt die Welt nach den Anschlägen auf Deutschland

  27 Juli 2016    Gelesen: 994
So blickt die Welt nach den Anschlägen auf Deutschland
Nach der Gewalt der vergangenen Tage blickt die Welt anders auf die Bundesrepublik. In vielen Staaten wird Angela Merkels Willkommenspolitik in Frage gestellt. In Osteuropa – aber auch in den USA.
Die internationale Resonanz auf die Anschlagserie in Deutschland hat vor allem einen Fixpunkt: Die Flüchtlingspolitik von Angela Merkel. Während viele Kritik üben und manche die Kanzlerin sogar für einen "Serienmord" vor Gericht sehen wollen (Ungarn), sorgen sich andere darum, dass Flüchtlinge in Deutschland nun stigmatisiert werden könnten.

Großbritannien

Die britische Öffentlichkeit reagiert wie aufgescheucht auf die Ereignisse in Deutschland, ein Land, das man bisher in Großbritannien als weitgehend friedlich und entspannt angesehen hat. Die Anschläge in Würzburg, München, Reutlingen und Ansbach belegen jetzt für die Briten, dass auch in Deutschland eine Phase der Unsicherheit zu beginnen droht, ungeschützt wie es ist gegen solche und andere Untaten. Für die Kommentatoren steht eines außer Frage: Dass die Willkommenspolitik von Angela Merkel im vergangenen Jahr ein Fehler war, der sich jetzt zu rächen beginnt, ein Fehler, dessen Auswirkungen weit über die deutschen Grenzen reichen . Die Anschläge könnten, wie manche sagen, sogar Auswirkungen auf die kommenden Brexit-Verhandlungen haben und dazu führen, dass mehr und mehr Menschen in der EU Verständnis aufbringen dafür, die Migrationsfrage im weitesten Sinne nicht nur als eine britische Marotte abzutun. Thomas Kielinger

Frankreich

In Frankreich dominiert das Mitgefühl. Es bestehe die Gefahr, dass Flüchtlinge in Deutschland nach den Angriffen der letzten Tage stigmatisiert würden, warnen Medien. Ein Großteil der öffentlichen Meinung könnte sich nun wie nach den sexuellen Übergriffen in der Silvesternacht in Köln gegen Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihre großzügige Flüchtlingspolitik wenden. "Merkel unter Druck", titelte der Nachrichtensender BFMTV bereits auf seiner Internetseite. Gleichzeitig betonen Medien jedoch auch, wie sich die deutsche Regierung nach den vier Attacken darum bemüht, niemanden vorzuverurteilen. Deutschland habe im Vergleich zu Frankreich viel besonnener reagiert, finden viele Franzosen. Denn in Frankreich liefern sich Politiker seit dem Attentat von Nizza eine regelrechte Schlammschlacht. Gesche Wüpper

Ungarn

In Ungarn reagieren die Menschen vor allem mit einem Gedanken auf die Gewaltwelle in Deutschland: Gut, dass bei ihnen dank Ministerpräsident Viktor Orbáns harter Flüchtlingspolitik keine "deutschen Verhältnisse" herrschen. In der als Regierungsorgan geltenden Zeitung "Magyar Idök" fordert ein Kommentator, "Merkel und ihre Genossen wegen Mitschuld an mehreren Serienmorden" vor Gericht zu stellen. In der rechtsnationalen "Magyar Hirlap" schreibt der umstrittene Kolumnist Zsolt Bayer, Ungarn sei das einzige Land gewesen, das den Würzburger Axtattentäter korrekt registriert habe, während die Deutschen "uns dafür als Nazi und Faschisten beschimpften, weil wir das taten." Bayer zufolge ist der Westen (er meint aber wohl Deutschland) "an seinem Wohlstand verblödet" und versteht nicht, dass es um seine eigene Existenz geht. Boris Kalnoky

Polen

In Polen gehen Politik und Medien hart mit Angela Merkel ins Gericht. Außenminister Witold Waszczykowski sagte, er erwarte von den deutschen Politikern, dass sie erklären, wie es zu den Anschlägen kommen konnte. "Uns wurde versichert, dass die Aufnahme so vieler Flüchtlinge in Europa keine Probleme verursacht. Jetzt stellt sich heraus, dass es doch Probleme gibt", fügte er hinzu. Im polnischen Staatsfernsehen (TVP) wurde behauptet, es sei in den deutschen Medien nicht über das Bekennervideo des Attentäters von Würzburg berichtet worden. "Es geht darum, Beweise zu verstecken, dass die Politik der offenen Tür von Angela Merkel gefährlich für Europa ist", erklärte der Sprecher. Tatsächlich berichteten deutsche Medien über das Video. Das ebenfalls regierungsnahe rechte Nachrichtenportal wpolityce.pl spricht von Angela Merkels Flüchtlingspolitik als "bisher größten politischen Dummheit des 21. Jahrhunderts". Jörn Winterbauer

USA

Nach dem Anschlag in München reagierte Präsident Barack Obama vorsichtig. Genauso wie Hillary Clinton. Nur Donald Trump sagte schon, bevor die Täterschaft geklärt war: "Die Zunahme des Terrorismus bedroht die Lebensart aller zivilisierten Menschen." Spätere Erkenntnisse, dass es sich in München um einen Amoklauf ohne Islamismus-Hintergrund handelte, ignorierte er. Jene Anschläge, die terroristisch waren, bewertete Trump als Folge der Willkommenspolitik von Angela Merkel. Nach dem Anschlag von Würzburg forderte er schärfere Einreisekontrollen für Deutsche. Trump hat Rückenwind. Der Wunsch nach einem starken Mann im Weißen Haus wächst mit jeder schlechten Nachricht. Tageszeitungen wie "Washington Post" und "New York Times" berichten nach den Anschlägen, dass diese der AfD Auftrieb gäben und Angela Merkel nun mit Blick auf die Bundestagswahlen im kommenden Jahr massiv unter Druck geraten werde. Ansgar Graw

Russland

Deutschland und das "alte Europa" stehen endgültig im Visier des Terrors, zu diesem Schluss kommen die meisten russischen Medien: Während das Onlineportal "Meduza" noch feststellt, dass die drei Attacken in Würzburg, München und Ansbach unterschiedlich gelagert sind, sehen die meisten anderen Medien in der Serie von Gewalttaten einen roten Faden, der bei der deutschen Flüchtlingspolitik und bei Bundeskanzlerin Angela Merkel beginnt. "Russia Today" stellt dabei einen Bezug zu der Außenpolitik Deutschlands und seiner NATO-Verbündeten in Syrien und dem gesamten Nahen Osten her, die Tageszeitung "Kommersant" ist der Meinung, dass es in Deutschland jetzt an der Zeit für einen Politikwechsel sei und man härtere Gesetze brauche. Russlands Politiker reagierten umsichtig auf die Gewalttaten: Am Morgen nach dem Attentat von München sprach Präsident Wladimir Putin sein Mitgefühl aus und wünschte den Verletzten eine schnelle Genesung. Jan Lindenau

Israel

In Israel wecken die Attentate in Deutschland die Hoffnung, in Europa nun besser verstanden zu werden. Man fühlt sich bestätigt: "Die muslimische Bombe, die so lange tickte, explodiert jetzt. Wir wussten, dass es so kommen wird", sagt Ofer, der seinen vollen Namen nicht in der Zeitung lesen will und regelmäßig im Urlaub nach Deutschland fährt, in einem bayrischen Restaurant in Tel Aviv. Dror Avital, ein Elektriker aus Tel Aviv, ist ähnlicher Meinung, bewundert Deutschland aber für seine Gastfreundschaft: "Als Jude und Nachkomme von Flüchtlingen kann ich nichts gegen diese humanitäre Politik sagen", so Avital. Der Fernsehmoderator Avri Gilad sprach vom "Ende des friedlichen Europa". Zvi Jecheskeli, den Nahostexperten des Fernsehsenders Channel 10, inspirierten die Anschläge in Deutschland, Frankreich, der Türkei und den USA zu einer neuen Dokuserie: "IS 2.0 – die Rache". Demnach sind die Attentate eine neue Strategie des IS, der sich in Nahost auf dem Rückzug befindet und mit Terror zurückschlägt. Gil Yaron

Südamerika

In Südamerika bestimmen die Anschläge und Attentate inzwischen sogar die Sonntagspredigten in den Kirchen. Der honduranische Kardinal Oscar Rodriguez spricht von gottlosen Taten in Deutschland und davon, dass sich die Angst in Europa breitmache. Er vergleicht die Situation in Europa mit der in Honduras, immerhin einem der gefährlichsten Länder der Welt. Es fehle der Respekt vor dem menschlichen Leben. In Brasilien schaffte es der Amoklauf von München trotz Olympia-Berichterstattung auf die Titelseiten der Medien, und auf der Straße fragen die Menschen: "Was ist denn bei euch los?" Die Frage gehen in die gleiche Richtung: Ist Deutschland nicht mehr sicher? Gibt es Aufstände wegen der Flüchtlinge? Tobias Käufer

Quelle : welt.de

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