“In Deutschland leugnet man die deutsche Identität“

  28 Juli 2016    Gelesen: 476
“In Deutschland leugnet man die deutsche Identität“
Für John Kornblum, den früheren US-Botschafter und Transatlantiker, ist Hillary Clinton die Beschützerin der USA, eine Festung wie Angela Merkel. Trump - deutschstämmig wie er selbst - sei chancenlos.
Die Welt: Donald Trump hat es geschafft, Präsidentschaftskandidat der Republikaner zu werden. Hätten Sie das für möglich gehalten? Und was heißt es genau?

John Kornblum: Vor einem Jahr nicht. Niemand hätte das. Ich glaube, selbst Trump nicht. Sein Erfolg ist ein Zeichen einer Entwicklung in der westlichen Welt im Gefolge der Globalisierung und auch der Finanzkrise 2008. Seit dem zweiten Weltkrieg und auch dem Fall der Mauer ist sehr viel Zeit vergangen. Viele auf beiden Seiten des Atlantiks fühlen sich betrogen. Man hat den Eindruck, der Gesellschaftsvertrag funktioniert nicht mehr. Trump spielt mit solchen Gefühlen, ohne die Konsequenzen in Kauf zu nehmen.

Welt: Einige US-Kritiker sprechen gar von einer aufziehenden Tyrannei und meinen, die Demokratie drohe an ihrer Freiheit zugrunde zu gehen.

Kornblum: Daran glaube ich nicht. Trump ist immerhin das Ergebnis eines ausgeklügelten demokratischen Prozesses. Wir dürfen nicht nur die uns angenehmen Ergebnisse annehmen. Aber die klassischen Rezepte sind für eine Bevölkerung, die Krieg und Wirtschaftsdepression nicht kennt, nicht immer überzeugend. Wähler, die in einer stabilen Wirklichkeit leben, in der sie allerdings meinen, sie seien abgehängt worden, verstehen die Welt nicht mehr. Auf dem Konvent der Republikaner war frappierend zu sehen, wie hasserfüllt und verbittert Delegierte über die eigene Gesellschaft sprachen. Das hat mich mehr beunruhigt als die Person Trump. Er ist ein Phänomen, man muss sich mit ihm auseinandersetzen. Ich glaube nicht, dass er längerfristig eine große Rolle in der Politik spielen wird. Nicht weil er es nicht könnte, sondern weil es ihn nicht interessiert.

Welt: Könnte sich das politische System mit Trump an der Spitze erneuern? Francis Fukuyama spricht von einer "Vetokratie" im amerikanischen Kongress. Es werde dort seit Jahren keine Politik gemacht, sondern Politik verhindert.

Kornblum: Ich rechne fest damit, dass Hillary Clinton der erste weibliche Präsident der Amerikaner wird.

Welt: Ihr Optimismus in Ehren. Aber wenn Hillary Clinton wirklich gewählt werden sollte: Ist sie dann nicht zweite Wahl, eine Notlösung, eine Verfestigung des Establishments?

Kornblum: Nein. Ich kenne sie persönlich. Wie Angela Merkel wird sie gerade in diesen schwierigen Zeiten wie eine Festung sein. Und was heißt Establishment? Wo Trump protzt, hat sie immer wieder gehandelt, und das seit mehr als 30 Jahren. Man sieht, wenn man genauer hinschaut, eine engagierte, aktive, politische Frau und nicht die kalte, machtbesessene und geldgeile Figur, als die man sie verzerrt. Aber Sie haben dennoch auch recht. Trotz ihrer Fähigkeit und trotz Trump, es bleiben Zweifel an Clintons Wahlchancen. Auch die E-Mail-Affäre der Demokraten und ihre eigene wegen Libyen zeigt, wie misstrauisch sie geworden ist. Zu oft trennt sie sich von ihrer Umgebung. Clinton gibt selber zu, dass sie oft zu kühl ist. Sie kann nur schwer Wärme entwickeln und Empathie für die Bedürfnisse auch der einfachen Leute. Das kann verhängnisvoll sein in diesen aufgeheizten Zeiten.

Welt: Viele Beobachter benutzen den Begriff des Populismus, um diejenigen zu etikettieren, die anders reden als klassische Repräsentanten der Elite und der Diplomatie. Die dem Volk nicht nur aufs Maul schauen, sondern nach dem Maul reden. Warum ist das nur schlecht?

Kornblum: Das ist nicht nur schlecht. Im Grunde sind die ganzen Vereinigten Staaten populistisch. Manche Europäer lehnen das System und das Verhalten der Amerikaner vielleicht gerade deshalb ab, weil sie es für vulgär ergo populistisch halten. Wir werden eben nicht durch feste Strukturen kontrolliert, sondern durch ein sehr repräsentatives Wahlsystem. Deshalb gibt es immer wieder Figuren wie Donald Trump. Wenn man aber einen Populismus wie den heutigen erlebt, bekommt man Angst. Dass die demokratischen Kontrollmechanismen überfordert worden sind.

Welt: Wer hat Angst?

Kornblum: Alle, die sich für eine ausgewogene Gesellschaft einsetzen. Weil natürlich nicht alles, was die Mehrheit sagt, richtig ist und demokratisch. Daran denke ich viel derzeit. Wir dürfen nicht vergessen: Vor 45 Jahren gab es auch einen ganz starken Populismus. Damals, Ende der 60er, war es eine junge, sich für fortschrittlich haltende Generation, die für Eruptionen sorgte. Wenn Sie so wollen, die amerikanischen 68er. Ich war nie Teil dieser Bewegung, aber dieser Riesenpopulismus von damals wird heute immer noch verklärt und für gut befunden. So wie in Deutschland, wo die hiesigen 68er meiner Meinung nach, und das sagen ja auch einige nachdenkliche Köpfe, die letzten Ausläufer des deutschen Autoritarismus waren. Warum ich das erzähle? In unseren modernen, liberalen Gesellschaften ist man immer mehr über den rechten als den linken Populismus beunruhigt. Es ist, als ob wir die Kämpfe des 20. Jahrhunderts vergessen haben.

Welt: Trump ist der erste Politiker in den USA, der Frauen, Schwarze und Migranten beleidigt und dafür belohnt wird. Er sagt, die Zeit der Political Correctness sei vorbei.

Kornblum: Trump und Putin sind sich in vielem ähnlich, sie beziehen sich auch aufeinander. Trump hatte 15 Jahre seine eigene Show, hat seine Methoden entwickelt und feingeschliffen. So wie Berlusconi. Und dann die ganzen Blogs und Social Media. Das revolutionäre Eindringen der Medien in die Privatsphäre hat zu einer Degradierung der Fakten und Tatsachen geführt. Man kann jede Rolle spielen, die einem gefällt. Trump ist der erste amerikanische Präsidentschaftskandidat dieser neuen postfaktischen Zeit. Die meisten heutigen Politiker mühen sich mit der Wirklichkeit ab und kapieren die digitale Traumwelt nicht. Darum hat Trump 17 führende Republikaner brutal abgehängt. Ich glaube dennoch nicht, dass die Demokratie in Gefahr ist. Die Vielfalt der Meinungen ist immer noch groß genug.

Welt: Ihre Sozialisation und Ihr diplomatisches Wirken wurden durch den Kalten Krieg geprägt. Die Zeiten, in denen wir jetzt leben, nennen Sie rücksichtslos und ruhelos. Alles ist in Bewegung, nichts steht mehr fest. Alles ist möglich.

Kornblum: Alles kann behauptet werden.

Welt: Alles kann ins Gegenteil kippen, wie man am Beispiel der Krim oder nun der Türkei sieht.

Kornblum: Was mich beunruhigt, ist, wie mein eigenes Land, das durch die beiden Weltkriege zu dem Schluss gekommen war, Isolationismus sei unmoralisch und unpragmatisch, zurückfällt in intellektuelle Abschottung. Das meint nicht nur Trump. Es betrifft auch Personen, die ich gut kenne, Politiker und außenpolitische Experten, mit denen ich kaum noch eine Gesprächsebene finde.

Welt: Warum? Weil auch sie die Welt für zu gefährlich und komplex halten?

Kornblum: Amerika hat vergessen, wie unerlässlich die atlantische Gemeinschaft auch in der Zukunft sein wird. Es vernachlässigt seine Rolle als Garant der Stabilität. Wenn ich mit jungen Experten über das großartige europäische Projekt rede, dann widersprechen sie mir nicht. Sie verstehen einfach nicht, was ich meine! Einer sagte, die Europäer seien doch reicher als die Amerikaner, wieso also dann dort engagieren? Aber es hat doch nichts mit Geld zu tun, sondern mit der Zukunft einer gemeinsamen westlichen Welt! Dieses Denken ist mir fremd. Es ist nicht der alte Isolationismus, der da spricht, sondern eine vielleicht zu bequeme Sozialisation. Und so haben wir die unglaubliche historische Errungenschaft nach 1990 verspielt. Wir haben unsere Gemeinsamkeit, die einmalig ist in der Welt, nicht ausgebaut. Als ob man einen Millionengewinn bei Jauch in zehn Jahren verspielt.

Welt: Wahrscheinlich ist der Brexit auch kein Schock für Sie. Tut er am Ende beiden Seiten gut?

Kornblum: Genau. Der Brexit kann auch den Amerikanern guttun. Unsere Nachkriegsordnung ist überholt. Auch die der jetzigen EU. Alle sagen immer: Die EU ist essenziell, um den Rückfall in Nationalismen zu verhindern. Wer könnte schon dagegen sein? Aber indem man immer nur auf die Strukturen schaut, vernachlässigt man die Inhalte. In einigen Staaten Europas herrscht eine Jugendarbeitslosigkeit von 40 Prozent. Welch enormes Versagen! Es gibt so gut wie keine IT-Industrie in Europa. Die Brains sind bei uns, produziert wird in China und Europa kauft. Na toll! Europa muss mehr als eine Vision sein, es muss Werkstatt sein, Effizienzgesellschaft, wie Angela Merkel sagt. Stattdessen überwiegen die Solidaritätsländer und verlangen gar von den Effizienzländern wie Deutschland, dass sie sich auf ihre Ebene begeben.

Welt: Wenn Sie unsere Zeit beschreiben sollten, was wäre das wichtigste Merkmal für Sie?

Kornblum: Es ist keine Nachkriegszeit mehr, auch wenn die beiden Weltkriege tiefe Erschütterungen verursacht haben. Aber immer noch agieren wir in diesen Strukturen, mit der alten Mentalität und den Zielen der Zeit nach 1945. 1989 hat die Mentalität nicht wesentlich beeinflusst. Unsere Zeit ähnelt sehr den Umbrüchen im 19. Jahrhundert. Damals ging es um die Industrialisierung, heute um die Digitalisierung. Die Politik kam einfach nicht mit. Und das Ergebnis war, sagen wir es nicht zu laut: der Erste Weltkrieg!

Welt: Eine große Erschütterung war die Krim-Annexion. Und jetzt geht das Nato-Mitglied Türkei strammen Weges Richtung Diktatur. Muss man darüber nachdenken, die Türken aus der Nato auszuschließen?

Kornblum: Erdogans Reaktion auf den Putschversuch ist schlimm. Aber eines der Prinzipien der USA besagt, dass man mit Unvollkommenheit leben muss. Immer geht es uns um Besserung. Das sollte das Prinzip der westlichen Welt sein. Auch Militärdiktaturen wie Spanien, Portugal und Griechenland waren Nato-Mitglieder. Später folgte das Angebot einer EU-Mitgliedschaft, um diese Länder voranzubringen.

Welt: Dann bieten wir doch gleich der Türkei die EU-Mitgliedschaft an!

Kornblum: Ich würde es zumindest in Brüssel ansprechen. Aber klar, es lässt sich politisch wohl nicht durchsetzen. Antizyklisch zu handeln, ist aber eigentlich sehr nützlich. Das ist für mich eigentliche Realpolitik.

Welt: Sie betonen die Stärke Deutschlands und loben Angela Merkel, auch für deren Flüchtlingspolitik. Nach Nizza, Würzburg und Ansbach: Wird die islamistische Bedrohung nicht am ehesten unsere Gesellschaften in Europa zerreißen? Die Nerven liegen doch in allen Gesellschaften blank.

Kornblum: Was wäre die Alternative gewesen? Ich finde Merkels Verhalten richtig. Deutschland hat mitten in Europa die westlichen Prinzipien verkörpert. Und hat es sehr klar ausgesprochen. Fast als einziges Land in der EU. Auch wenn die Populisten davon profitieren: Seine Prinzipien nicht aufzugeben, ist manchmal essenziell. Den Deutschen, die eine derart bedeutende Rolle in Europa spielen, wünsche ich mehr Widerstandsfähigkeit und Widerstandsgeist.

Und zu den Muslimen: Ich weiß nicht, ob es wirklich die Religion ist oder nicht Armut und Kriegserfahrung. Und das sage ich als 1943 Geborener: Es gab und gibt in Europa und der Welt viel Schlimmeres als diese Anschläge. Wir sollten nicht überheblich sein: Unsere christliche Welt hat in den letzten 100 Jahren Furchtbares angerichtet.

Welt: Sie selbst haben deutsche Vorfahren, so wie Trump. Sie sind also beide Deutschamerikaner, die größte Gruppe innerhalb der amerikanischen Bevölkerung. Einmal sagten Sie, das Deutsche stehe für "Hemdsärmeligkeit" und "Dreistigkeit". Meinen Sie das ernst?

Kornblum: Ja! Deutsche in Amerika sind unheimliche Macher, umtriebig, erfolgreich. Gehen Sie nach Illinois, Nebraska, Michigan: Überall ist da viel Deutsches. Aber man redet nicht darüber, weil die Deutschen nicht wie die Italiener oder die Griechen ihre Communitys haben und ihre Sprache konservieren. Nein, sie haben sich assimiliert, wie die Rockefellers. Was mich seit Jahren stört, ist, dass man in Deutschland diese deutsche Identität geradezu leugnet.

Welt: Ihre Vorfahren kamen aus Ostpreußen, Trumps aus der Pfalz.

Kornblum: Ich habe mir Kallstadt angeschaut, als ich in Deidesheim einen Vortrag hielt. Die Leute in Kallstadt haben den Ruf, ein besonders großes Maul zu haben. Das, was Deutsche in Amerika schufen, hat viel mit Deutschland zu tun. Es zeigt, wozu diese Kultur fähig ist, wenn sie frei ist von den Fesseln Europas! Das ist nicht schlecht, würde ich sagen.

Welt: Wie erklären Sie sich den tiefen Rassismus gegen Schwarze in den USA? Woody Allen rekurrierte jüngst wieder auf das unauslöschliche Verbrechen, Menschen als Sklaven geholt zu haben. Heilt Geschichte nie?

Kornblum: Ich sehe das wie Allen, das ist unsere Ursünde. Wir werden davon nie frei werden. Die Geschichte heilt nie. Ich war noch jung, als die Bürgerrechtsbewegung startete. Bis dahin hatte ich in Detroit keine Ahnung, wie groß das Problem war. Wir wohnten in einem weißen Viertel. Es gibt aber keinen Hass gegen Schwarze, das allgemeine Problem ist, dass die Gesellschaft es nicht schafft, ein offenes und herzliches Verhältnis zueinander zu entwickeln.

Welt: Wie stehen Sie zur Waffenfreiheit in den USA? Ist ein solches Gebaren noch zeitgemäß in einer globalisierten Gesellschaft?

Kornblum: Nein, überhaupt nicht. Ich finde die Waffenfixierung schrecklich. Die amerikanische Verfassung besagt "right to bear arms". Das bedeutet, Teil einer Verteidigung zu sein. Nicht unbedingt, eine eigene Waffe zu besitzen. Aber viele wollen sie. Das hat sich verfestigt. Beim anderen umstrittenen Thema, der Todesstrafe, zeichnet sich endlich ein Ende ab. Ich bin sehr stolz darauf, aus einem Bundesstaat zu kommen, der die Todesstrafe in der westlichen Welt schon 1838 abschaffte. Sehr stolz!

Welt: Hillary Clinton ist fast 70 und schon zweifache Großmutter. Kann eine Oma Präsidentin werden?

Kornblum: Sie wird es. Da bin ich mir sehr, sehr sicher. Wenn Trump Präsident werden würde, bekämen wir womöglich eine schwere politische Krise. Man kennt diesen Typus, wenn er verunsichert ist, reagiert er impulsiv oder explodiert einfach. Viele würden sich weigern, mit diesem Unkontrollierbaren und Unberechenbaren zusammenzuarbeiten.

Quelle : welt.de

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