Er sei nicht mehr bereit, "nur um des Friedens Willen" die Dinge nicht so zu behandeln, wie sie behandelt werden müssten.
Merkels Wir-schaffen-das? "Ich kann mir diesen Satz beim besten Willen nicht zu eigen machen."
"So wie bisher schaffen wir das nicht."
Der Flüchtlingsstreit in der Union ist damit wieder aufgeflackert. Die Frage ist nur: Wie ernst ist dieser Streit? Ist es eine sachpolitische Auseinandersetzung, die im besten Falle in einem Kompromiss enden kann? Oder steckt etwas anderes dahinter?
Aufschlussreich ist ein Interview, das Seehofer am Sonntag dem ZDF gegeben hat: Man sitzt in der bayerischen Staatskanzlei beisammen, der Raum ist lichtdurchflutet, der Blick geht raus in den Hofgarten. Seehofer auf seinem weißen Plastikstuhl ist hier mehr Staatschef als Parteichef.
Und so hört er sich dann auch an:
Wie denn in Sachen Terrorabwehr die Abstimmung mit der Kanzlerin so laufe, fragt die ZDF-Journalistin Bettina Schausten. Darauf Seehofer: Er habe mit Merkel über alle Themen gesprochen und deshalb "haben wir im Wesentlichen bei diesen sicherheitspolitischen Konzepten keinen Widerspruch". Heißt: kein Gegensatz zu Merkel.
Er wolle, sagt Seehofer mit Blick auf die Flüchtlingsdebatte, "nicht Migrationsbewegung und Terrorismus gleichsetzen". Es sei "nicht CSU-Politik, alles in einen Topf zu werfen". Heißt: kein Gegensatz zu Merkel.
Und was ist mit dem Frieden von Potsdam, der Versöhnung von CDU und CSU in Brandenburgs Hauptstadt im Juni? "Der gilt", stellt Seehofer fest. Heißt: kein Gegensatz zu Merkel.
Wer Horst Seehofer hier zuhört, der fragt zwangsläufig: Wo bitteschön ist eigentlich der Konflikt? Die von ihm stets geforderte Obergrenze von 200.000 Flüchtlingen pro Jahr vielleicht noch?
Nein, kein Problem, räumt der CSU-Chef den Gedanken ab: Die Zahl liege fürs Jahr 2016 "derzeit weit unter 200.000" - und so lange diese Grenze nicht erreicht werde, "müssen wir da keinen großen Streit führen".
Irgendwann stellt die Journalistin Schausten fest, dass Seehofer offenbar keinen Streit wolle, aber doch gleichzeitig dauernd einen provoziere, siehe seine Äußerungen oben.
Was denn nun?
Tatsächlich geht es Horst Seehofer letztlich um einen Satz. Um nur drei Worte: Wir schaffen das. Es ist der Merkel-Satz, gegen den er seit elf Monaten kämpft. Der Satz, der für ihn erst die Öffnung der Grenzen symbolisierte und dann die anhaltende Weigerung der Kanzlerin, einen öffentlichen Kotau zu machen. In CSU-Kreisen steht der Satz auf dem Index.
Dass Angela Merkel bei ihrer Sommer-Pressekonferenz in der vergangenen Woche wieder und wieder diese drei Worte sagte, das wurde bei Seehofer und seinen Leuten als Provokation gewertet. Natürlich musste Merkel um die Wirkung ihrer Worte gewusst haben. Es war ja auch nur allzu auffällig: Je aufgeregter Seehofer in München agierte, desto ruhiger blieb Merkel in Berlin.
Seehofer kokettiert nun neuerlich mit der CSU-Spitzenkandidatur für die Bundestagswahl 2017 - was erstens nicht allzu revolutionär wäre, weil das Strauß und Stoiber auch schon gemacht haben; und was Seehofer zweitens eh nicht macht.
Merkel derweil hat längst stillschweigend ihre Positionen aus dem vergangenen Herbst geräumt. Dass die Balkanroute nun mehr oder weniger dicht ist, das ist nicht zuerst das Verdienst der Kanzlerin und ihres Türkei-Deals, sondern vornehmlich der Tatsache geschuldet, dass Mazedonien und Co. die Grenzen dicht gemacht haben. Merkel war immer dagegen, thematisiert das aber nicht mehr.
So spielt der Streit zwischen Seehofer und Merkel weniger auf der Ebene politischer Inhalte als auf der Ebene politischer Gefühle. Die Amerikaner unterschieden traditionell zwischen policy und politics, zwischen politischen Inhalten und politischen Spielchen. Was sich Seehofer und Merkel liefern, das ist letztlich politics. Eine Einigung ist da eher schwierig. Er beharrt, sie beharrt.
Aber warum eigentlich?
Merkel geht es wie jedem Kanzler vor ihr: In der Spätphase der Kanzlerschaft schwindet die Rücksichtnahme auf Notwendigkeiten der Machtsicherung, die Sinnfrage tritt in den Vordergrund. Es geht also, pathetisch gesagt, ums Vermächtnis. Und da hat Merkel auch unter dem Eindruck der Terroranschläge bei ihrer Sommer-Pressekonferenz keinen Zweifel gelassen, dass sie die humanitäre Flüchtlingspolitik aus dem vergangenen Herbst als genau das begreift.
Seehofer hat noch mehr Spätphase als Merkel, weil er ja seinen Abschied 2018 de facto schon angekündigt hat. Oder, wie er im ZDF-Interview wieder seehofersch relativiert: "Es können Umstände eintreten, dass man Pläne so nicht erfüllen kann." Der 67-Jährige, der im vergangenen Jahr zwischenzeitlich schon als lame duck unterwegs war, hat mit der Flüchtlingskrise noch einmal ein neues, großes Thema gefunden. Anhänger und Kritiker in der CSU weisen darauf hin, wie tief sich Seehofer in die Materie eingearbeitet hat.
Die Bedrohungslage sei ernst, sagt Seehofer nun mit Blick auf die Terroristen: "Und ich möchte es der Bevölkerung so sagen, wie es ist." Erst wenn man die Sicherheit verbessert habe, dann könne man den Leuten sagen: "Wir haben das Menschenmögliche getan, aber jetzt ist noch nicht alles getan."
Zudem ist da der Druck von der CSU-Basis, die Anti-Merkel-Stimmung ist ausgeprägt. Entweder reitet Seehofer diese Welle, oder er wird von ihr verschluckt. Die sinkenden Flüchtlingszahlen in diesem Jahr hatten die Situation entspannt, doch die Attentate spitzen alles erneut zu.
Deshalb sind die drei Worte so wichtig. Für Seehofer wie für Merkel.
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