US-Präsidentschaftswahl: Angst vor Trump und den Atomwaffen

  17 Auqust 2016    Gelesen: 357
US-Präsidentschaftswahl: Angst vor Trump und den Atomwaffen
Würde Donald Trump als US-Oberbefehlshaber einen Atomkrieg anzetteln? Die schrillen Aussagen des Milliardärs befeuern die Debatte über die nukleare Allmacht des US-Präsidenten.
Das Ende der Welt kommt in wenigen Minuten. Daran hatten die Soldaten des US-Luftverteidigungskommandos Norad keinen Zweifel mehr, als sie in den frühen Morgenstunden des 9. November 1979 auf ihre Bildschirme starrten. Diese zeigten, dass die Sowjets soeben 250 Atomraketen auf die USA abgefeuert hatten. Das Norad rief den Nationalen Sicherheitsberater Zbigniew Brzezinski an. Der wusste: Präsident Jimmy Carter hat drei bis sieben Minuten Zeit, über einen Gegenschlag zu entscheiden. Dann würden die russischen Geschosse einschlagen und die amerikanischen Raketen in ihren Silos vernichten.

Brzezinski verlangte eine Bestätigung. Beim zweiten Anruf waren es nicht mehr 250, sondern 2200 anfliegende Raketen. Brzezinski wollte gerade den Präsidenten informieren und ihm den Vergeltungsschlag empfehlen, als ein dritter Anruf kam: Es war ein Fehlalarm. Jemand hatte Daten einer militärischen Übung in einen Warnsystem-Computer geladen.

Wie hätte Carter reagiert, wenn die Entwarnung nur ein wenig später gekommen wäre? Und wie würde ein US-Präsident Donald Trump in einer solchen Situation reagieren? Ein Mann, dessen Ehefrau über ihn sagt, er schlage bei jedem Angriff zehnmal härter zurück?

Durch eine ganze Reihe umstrittener Äußerungen (siehe Zitatesammlung) hat Trump in den USA für eine neue Debatte über Atomwaffen gesorgt: Ranghohe Politiker, Abrüstungs- und Militärexperten diskutieren mit Verve darüber, ob die US-Nuklearstrategie noch zeitgemäß ist. Denn der amerikanische Präsident hat nach wie vor die Macht, mit einer einsamen Entscheidung die Welt in ein atomares Schlachtfeld zu verwandeln. Kein Richter, kein Parlament und kein Minister hätten das Recht, eine solche Entscheidung zu stoppen. Der US-Militärfachmann Bruce Blair spricht von einer "nuklearen Monarchie".

"Wir führen jetzt eine längst überfällige Diskussion", sagt der US-Atomwaffenexperte Hans Kristensen. "Es ist verrückt, dass eine einzelne Person binnen Minuten über einen Vergeltungsschlag entscheiden soll. Und erst recht will man keinen verrückten Präsidenten mit einer derartigen Macht haben."

Die Debatte zielt vor allem auf zwei Bestandteile des amerikanischen "Command and Control"-Systems:

Die "Launch on Warning"-Strategie, die vorsieht, dass ein nuklearer Gegenschlag geführt wird noch während die feindlichen Raketen in der Luft sind.
Die Möglichkeit eines nuklearen Erstschlags, den sich die USA weiterhin ausdrücklich vorbehalten.

Wie knapp die Zeit im "Launch on Warning"-Szenario ist, haben Fachleute der Washingtoner Nuclear Threat Initiative kürzlich in einer interaktiven Zeitleiste verdeutlicht. Demnach würde ein großer Teil der höchstens 30 Minuten, die zwischen Start und Einschlag der russischen Raketen vergehen, von technischen Vorgängen verbraucht. Der Präsident müsste am Ende binnen rund fünf Minuten entscheiden, ob er einen Vergeltungsschlag befiehlt - ohne zu wissen, ob alles vielleicht nur ein Fehlalarm ist oder er selbst nur noch wenige Minuten zu leben hat. Man stelle sich Trump in einer solchen Situation vor, sagte seine Konkurrentin Hillary Clinton - "einen Mann, den man mit einem Tweet herausfordern kann".

Senatoren warnen vor verheerenden Fehlern

Abrüstungsexperten und Politiker fordern jetzt deshalb die Abschaffung der "Launch on Warning"-Strategie. Ende Juli schrieben zehn Senatoren der Demokratischen Partei - darunter Ex-Präsidentschaftskandidat Bernie Sanders - einen offenen Brief an Präsident Barack Obama. Dass die USA Pläne vorliegen haben, aufgrund einer bloßen Warnung nuklear loszuschlagen, "untergräbt die Fähigkeit des Präsidenten, in einer Krise überlegt zu handeln". Die Senatoren warnten außerdem vor "verheerenden Fehlern bei falschen Alarmen".

Man müsse dem Oberbefehlshaber mehr Zeit geben, seine Optionen zu überdenken. Sollte es wirklich zu einem atomaren Angriff auf die USA kommen, würde das nichts anderes bedeuten, als dass Amerika den ersten Atomschlag hinnimmt und erst danach zurückschlägt. Anders als zu früheren Zeiten ist das heute durchaus möglich. 920 der rund 1500 einsatzbereiten US-Atomsprengköpfe sind mittlerweile auf U-Booten stationiert. Mit ihnen könnten die USA Russland selbst dann noch zerstören, wenn sie zuvor alle ihre landbasierten Raketen verloren hätten. "Es gibt nichts, was die Fähigkeit der USA zu einem vernichtenden Gegenschlag schmälern könnte", sagt Kristensen.

James Cartwright, von 2004 bis 2007 Befehlshaber der US-Atomstreitkräfte, fordert gar die Abschaffung aller landgestützten amerikanischen Interkontinentalraketen. Ohne diese "verwundbare Streitmacht" würde "jede Notwendigkeit für einen Start nach einer Warnung verschwinden", schrieb der ehemalige Vier-Sterne-General am Sonntag in der "New York Times" gemeinsam mit Bruce Blair. Atomwaffen seien heutzutage nur noch dazu da, andere Staaten vor deren Einsatz abzuschrecken. Diese Aufgabe aber, schreiben Cartwright und Blair, würden auch die Bomber und U-Boote der USA erfüllen.

USA sollen auf Option zum Erstschlag verzichten

Cartwright und Blair verlangen außerdem - ebenso wie die US-Senatoren in ihrem offenen Brief - von der Regierung Obama, den Ersteinsatz von Atomwaffen auszuschließen. Dass die USA sich dies noch immer vorbehalten, "steigert auf allen Seiten Ängste vor einem Überraschungsangriff", kritisieren die Senatoren. "Das erhöht das Risiko eines unbeabsichtigten Atomkriegs."

Die "größte Sorge über Trump" sei nicht, dass er im unwahrscheinlichen Fall eines Fehlalarms überreagiere, sagt der US-Diplomat Richard Burt. "Die größere Sorge ist, dass er Atomwaffen in Situationen benutzen würde, in denen andere Anführer nicht auf diese Idee kämen - etwa gegen den `Islamischen Staat`."

Burt, der als US-Chefunterhändler 1991 den historischen "Start"-Vertrag mit der Sowjetunion eingefädelt hat, glaubt dennoch nicht an schnelle Veränderungen in der US-Nuklearstrategie. Zwar will Obamas Regierung noch vor dem Ende ihrer Amtszeit Kurskorrekturen vornehmen. "Aber ich wäre überrascht, wenn sie die Möglichkeit zu einem Erstschlag abschaffen würde", sagt Burt. "Das wäre merkwürdig angesichts des neuen russischen Selbstbewusstseins."

Über die Abschaffung der Erstschlagoption oder gar aller landbasierten Raketen "entscheidet der Präsident nicht allein", sagt Steve Andreasen, von 1993 bis 2001 Strategie- und Atomwaffen-Chefberater des damaligen Präsidenten Bill Clinton. "Dafür muss er mit dem Kongress und anderen Regierungen verhandeln. Das braucht mehr Zeit, als die Regierung Obama noch hat."

"Die Zerstörung ist mir wichtig"

Doch die Atomwaffen-Frage werde schon für die nächste US-Regierung oberste Priorität haben - allein aus Kostengründen. Die von Obama eingeleitete umfassende Modernisierung des nuklearen Arsenals wird Schätzungen zufolge in den nächsten 30 Jahren rund eine Billion Dollar verschlingen, 350 Milliarden davon in den nächsten zehn Jahren. "Niemand glaubt, dass wir das leisten können", sagt Andreasen.

Schon deshalb werde es zu einer Diskussion über die Zukunft der landgestützten Raketen kommen - "und weil es im nationalen Interesse der USA ist, das Risiko eines Atomkriegs zu verringern". Denn dieses Risiko basiere vor allem auf den landbasierten Raketen. Es gebe "überzeugende Gründe", von der sogenannten nuklearen Triade aus langestützten Raketen, Bombern und U-Booten zu einer "nuklearen Dyade" zu wechseln.

Ob aber auch ein Präsident Trump damit einverstanden wäre? In einer TV-Debatte im Dezember 2015 wurde er zweimal gefragt, welcher Teil der nuklearen Triade für ihn Priorität habe. Trump wusste anscheinend nicht, wovon die Rede ist. Seine Antwort: "Bei Nuklearem geht es einfach um die Macht. Die Zerstörung ist mir sehr wichtig."

Quelle : spiegel.de

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