In Hassaka kommen sich alle gefährlich nah

  22 Auqust 2016    Gelesen: 1162
In Hassaka kommen sich alle gefährlich nah
Die Kurden in Syrien greifen in einer Großoffensive Regierungstruppen an. Damit entsteht eine neue Konfliktlinie in dem blutigen Bürgerkrieg. Auch Russland, die USA und die Türkei geraten dabei wider Willen aneinander.
Der stille Pakt ist endgültig gebrochen. Bereits in den vergangenen Monaten gab es zwischen den Kurden in Syrien und Kräften, die dem Regime von Baschar al Assad nahestehen, militärische Scharmützel. Jetzt eskaliert die Lage.

Die kurdische Miliz YPG hat sich gegen eine Waffenruhe entschieden und einen Großangriff auf die Regierungstruppen in Hassaka angekündigt. Die Kurden betreiben in den meisten Vierteln der 200.000-Einwohner-Stadt und weiten Teilen Nordsyriens eine autonome Regierung. Bisher arrangierten sie sich mit den offiziellen Streitkräften. Sowohl in der Kurdenhochburg Quamischli als auch in Hassaka halten diese noch vereinzelt Stadtteile. Das soll sich YPG-Vertretern zufolge mit der Großoffensive zumindest in Hassaka ändern. Die Kurden forderten die Regierungstruppen im Stadtteil Naschawa zur Aufgabe auf und begannen Augenzeugen zufolge bereits in der Nacht mit ihrem Sturm.

Bei der sich abzeichnenden Eskalation besteht die Gefahr, dass auch Russland und die USA aneinandergeraten. Und die Türkei gerät diplomatisch zwischen die Fronten.

Ein Angriff auf Washingtons wichtigsten Verbündeten

Bereits vor knapp einer Woche griffen sich Kurden und Regierungstruppen in der Region rund um Hassaka an, sie setzten dabei Artillerie ein. Die Regimekräfte mussten mehrere Posten räumen. Die Reaktion aus Damaskus: Luftangriffe auf kurdische Stellungen, erstmals seit dem Ausbruch des Bürgerkriegs in Syrien 2011.

Zum Einsatz kamen zwei russische SU-24 Bomber. Die USA intervenierten prompt. "Es bereitet uns Sorgen, wenn wir Luftangriffe des Regimes in Hassaka sehen, einer Gegend von der jeder weiß, das Regime inklusive, dass die Koalition dort Operationen ausführt", sagte ein Sprecher des Verteidigungsministeriums.

Für die USA sind die kurdischen Milizen die wichtigsten Verbündeten auf syrischem Boden. Um sie und die eigene Luftwaffe bei Angriffen auf den Islamischen Staat (IS) zu unterstützten, sind rund um Hassaka auch etliche amerikanische Spezialeinheiten und Militärberater stationiert.

Gibt Assad Hassaka einfach auf?

Die SU-24 Bomber reagierten US-Angaben zufolge nicht auf warnende Funksprüche. Das Pentagon ließ deshalb eigene Kampfjets aufsteigen, um den Luftraum zu sichern. Zu diesem Zeitpunkt war nicht klar, ob es sich bei den SU-24-Bombern um Flugzeuge des Regimes oder der Russen handelt. Moskau unterstützt Assad militärisch.

Der Sprecher des Verteidigungsministeriums sagte: "Wir haben die Russen sofort kontaktiert. Und sie haben uns versichert, dass es keine russischen Flugzeuge waren."

Deeskalierende Töne kamen auch aus Damaskus. Das syrische Regime will der direkten Konfrontation mit den USA offensichtlich ausweichen. Es zog nicht nur sofort die Bomber ab, als sich die amerikanischen Jets näherten. Ein syrischer Armeesprecher sagte laut der Nachrichtenagentur am Sonntagabend zudem, dass es mit Hilfe Russlands gelungen sei, einen Waffenstillstand zu vereinbaren. Diese umfasse die "Einstellung aller Feindseligkeiten" sowie den Rückzug der kurdischen Kämpfer von allen Positionen, die sie den Regierungstruppen seit Beginn der Kämpfe am Mittwoch abgenommen hatten.

Nur wie reagiert das Regime jetzt, nachdem die kurdische YPG diesen Waffenstillstand nur wenige Stunden später durch ihre Großoffensive für obsolet erklärt hat? Gibt sie ihre Stellungen in Hassaka einfach auf? Und falls nicht: Wie verhält sich Russland, sollten Washington und Damaskus wegen des Kampfes um Hassaka widererwarten nun doch direkt aneinandergeraten?

Ankara zwischen den Fronten

Die Zivilisten in Hassaka rechnen mit weiteren Gefechten. Nach Angaben der syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte, einem Netzwerk von Aktivisten, flohen bereits am Wochenende etliche Menschen aus der Gegend.

Während in Syrien nun alle Kriegsparteien alarmiert wirken, ist aus der Türkei angesichts des Einsatzes der syrischen Luftwaffe über Hassaka fast schon so etwas wie Genugtuung ist aus Ankara zu vernehmen. Auch die syrische Regierung habe nun verstanden, dass die Kurden eine Bedrohung seien, sagte Ministerpräsident Binali Yildirim. Er kündigte "aktivere" Diplomatische Bemühungen an, um die Spaltung des Landes entlang ethnischer Gruppen zu verhindern. Ankara fürchtet seit langem, dass die Kurden in Syrien aus ihren Provinzen im Norden einen eigenen Staat bilden und damit auch Autonomiebestrebungen der türkischen Kurden befeuern könnten.

Yildirim sprach angesichts der Luftangriffe von "einer neuen Situation". Und obwohl sich die Türkei bisher um einen Sturz Assads bemühte und dafür auch islamistische Gruppen in Syrien mit Geld und Waffen versorgte, sagte er nun, dass auch mit dem Machthaber in Damaskus gesprochen werden müsse, weil dieser eine aktive Rolle in dem Konflikt spiele – "ob wir dies wollen oder nicht". Die Türkei würde ihn für eine Übergangsphase, die ein Ende des "Blutbads" einleitet, akzeptieren.

Aller Genugtuung zum Trotz, versinkt Ankara durch die Konfrontation von Regime und Kurden allerdings immer tiefer in einem Loyalitätskonflikt. Dabei steht vor allem eine Frage im Mittelpunkt: Wer ist das größere Übel, Assad oder die YPG?

Befürwortet die Türkei Angriffe des syrischen Regimes auf die Kurden, wonach es gerade aussieht, stellt sie sich gegen den Nato-Partner USA. Lässt Ankara es dagegen ohne Widerworte zu, dass die YPG das Regime aus dem Nordosten verdrängt, schadet die Regierung Yildirim eigenen Interessen in der Kurdenfrage. Auf die Großoffensive der YPG reagierte der Ministerpräsident noch nicht.


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