Wey 03 AWD - Fahrt mit chinesischem Multifunktions-Powertool

  19 Februar 2025    Gelesen: 187
  Wey 03 AWD - Fahrt mit chinesischem Multifunktions-Powertool

China greift nicht nur mit batterieelektrischen Fahrzeugen an, sondern kann auch Verbrenner. Aber wie gut eigentlich? ntv.de war mit dem Plug-in-Hybrid 03 AWD der Marke Wey unterwegs, um ihm auf den Zahn zu fühlen. Kennen Sie nicht? Dann wird es Zeit.

Chinesische Automarken machen in Europa vor allem im Kontext mit elektrischen Antrieben von sich reden. Und da diese aufstrebenden Elektroautolabels gern medial hochgepusht werden, entsteht in der Bevölkerung, aber auch bei so manchen Wirtschaftsjournalisten der Eindruck, die europäische Autoindustrie, insbesondere die deutsche, habe den Elektroautotrend verschlafen. Dabei sind die Chinesen mit ihren Produkten keineswegs nur elektrisch unterwegs - ein häufig nicht aufgeklärter Irrglaube. Und von einem Verbrennerverbot ist China außerdem noch weit entfernt.

Was viele Elektrobegeisterte gar nicht wissen: Chinesische Marken entwickeln fleißig Verbrenner. Und manche davon kommen sogar nach Europa. Da wäre zum Beispiel der Konzern Great Wall Motor (GWM) - gleich mit mehreren Marken in Europa und auch Deutschland vertreten. Der Konzern ist nicht ganz unbedeutend, baut jährlich über eine Million Fahrzeuge und rangiert in der Top Ten der verkaufsstärksten Autokonzerne Chinas.

Wer mit offenen Augen durch die Straßen geht, kennt sicherlich den Ora Funky Cat, allein seine lustig klingende Bezeichnung prägt sich ein. Aber der kleine Stromer ist auch sichtbar, einige Tausend davon fahren auf hiesigen Straßen herum. Und dass dessen Antriebsstrang nicht so schlecht sein kann, zeigt die Tatsache, dass der BMW-Konzern ihn für seinen Mini nutzt.

Mit der Marke Wey hingegen gibt es vor allem mehrmotorig hybridisierte SUV. Auch hier gab es die Phase der lustigen Namen - früher hießen die Wey-Modelle mal Coffee oder Latte.

Doch vorbei die Zeit, jetzt geben die Marketingexperten schlichten Zahlen den Vortritt gegenüber fancy klingenden Bezeichnungen. ntv.de war im 4,67 Meter langen Mittelklasse-SUV 03 AWD unterwegs. Und was da so unter dessen Blech werkelt, klingt komplex. Da wäre ein zwei Liter großer Turbobenziner mit vier Zylindern, 204 PS stark. Und diesem zur Hand gehen zwei E-Maschinen - vorn 163 PS (325 Newtonmeter) und hinten 184 PS (232 Newtonmeter) stark in der Spitze. Da braut sich etwas zusammen an Gewalt, und zwar 442 PS Systemleistung sowie 625 Newtonmeter Gesamtdrehmoment.

Klingt alles ziemlich emotional, zumal ja der Verbrenner auch echten Sound produziert. Gut, beim Antriebskapitel hängt die Messlatte gerade in Deutschland hoch. Antrieb und Fahrwerk sind sozusagen die Signature-Disziplinen unserer Ingenieurfirmen. Nun hat sich Wey aber auch eine schwierige Aufgabe herausgepickt, denn PHEV sind anspruchsvoll in der Betriebsstrategie. Andererseits braucht es sie, sonst wird es eng mit der CO2-Grenzwertgesetzgebung. Hier laufen viele Komponenten zusammen, die es zu vereinen gilt. Das gelingt nicht immer nahtlos und ruckfrei.

Wer sich auf der Website des Konzerns tummelt, staunt beim Lesen allerdings nicht schlecht. Motor- und Getriebeentwicklung erfolgen teils in-house, wenngleich Partnerschaften mit Bosch und ZF existieren. Alles nur vom Feinsten also. Und beim 03 AWD übernimmt ein Neungang-Doppelkuppler die Übersetzungswechsel.

Viel Power, aber wenig Sportlichkeit

Mit all diesem Wissen bin ich schon gespannt auf die ersten Runden. Die Vielzahl an Fahrmodi im nicht ganz so klar strukturierten Bedienmenü auf dem allerdings feinfühlig reagierenden Touchscreen ist immer so eine zweischneidige Sache, aber beim Plug-in-Hybrid nicht unüblich. Der sportive Modus schärft den Triebsstrang an, lässt den leider profan klingenden Vierzylinder anspringen. Einen Vorwurf kann man der Marke kaum machen, Sechszylinder sind rar und highendig geworden, das gilt auch für außereuropäische Hersteller (wobei Great Wall auch emotional kann, entwickelt einen Achtzylinder-Boxer im Motorradbereich).

Mit einem für Hybridverhältnisse wahrlich riesigen Akku von 29 kWh Netto-Kapazität ist klar, wohin die Reise geht: Du sollst den 03 eben möglichst lange elektrisch fahren. Das fällt auch nicht schwer, denn im Alltag reicht der beachtliche Elektro-Punch mit den beiden Aggregaten völlig aus und das Fahren mutet harmonischer an. Gelingt übrigens laut WLTP 139 Kilometer lang im gemittelten Betrieb (wobei 24,3 kWh je 100 Kilometer gemittelt nicht sparsam sind).

Und Wey zieht alle Register, um die Batterie immer wieder nachladen zu können - auch mit Gleichstrom an der Schnellladestation (50 kW) - auf diese Weise dauert eine Ladung von 0 bis 80 Prozent keine 40 Minuten. Allerdings gab es während des Testbetriebs das eine oder andere Mal Kommunikationsfehler mit verschiedenen Ladesäulen. Vielleicht müsste bei der Software noch mal optimiert werden.

Aber ich möchte natürlich wissen, wie dynamisch sich der 2,3-Tonner unter vollem Leistungseinsatz anstellt. Zieht man die (allerdings ausgeprägte) Gedenksekunde nach der Volllastanfrage ab, geht es wuchtig zur Sache. Es ruckt kurz und dann wirst du ganz schön kräftig in den Sitz gedrückt, was angesichts eines Spurtwertes von 5,3 Sekunden von 0 auf 100 km/h kaum verwundert. Erfreulich ist die Topspeed (230 Sachen) - unüblich für chinesische Fabrikate.

Also, der Wey kann schon stramm losgaloppieren. Aber er animiert irgendwie nicht richtig dazu, zumal sein Vierzylinder kaum willig dreht, sondern sogar ein bisschen lustlos anmutet. Freude am Fahren, um mal einen Werbeslogan aus Bayern zu zitieren, ist nicht die Sache des Wey. Dazu passt die leicht präzisionsarme Servolenkung. Und richtig schnelle Runden auf der Piste werden nicht vom stoischsten Geradeauslauf begleitet. Hier wäre noch Luft nach oben. Dafür bietet der Allradler mit der elektrisch angetriebenen Hinterachse ausreichend Traktion. Ein beherzter Tritt auf das rechte Pedal führt selbst bei Nässe mitnichten zu scharrenden Pneus. Aber bitte nicht wundern, wenn unter forcierter Fahrt deutlich zweistellige Verbrauchswerte produziert werden.

Guter Cruiser mit Langstreckentauglichkeit

Nichtsdestotrotz ist der Wey ein feiner Cruiser mit Langstreckenqualitäten. Hervorragend anschmiegsame Ledersessel mit edel aussehendem Rautenmuster werden sogar höheren Ansprüchen gerecht. Mit dem 03 Strecke zu machen, ist kein Problem. Ein typisches Merkmal chinesischer Fabrikate begleitet allerdings auch ihn: Bei der Klimaanlagensteuerung hat man im Reich der Mitte offenbar andere Maßstäbe. Du musst die Temperatur schon auf 29 Grad stellen, um es mollig warm zu bekommen. Das wäre eigentlich Sauna-Einstellung. Sei es drum, wenn man diese kleine Marotte kennt, kann man mit ihr umgehen. Heizleistung bringt der Wey jedenfalls, daran scheitert es nicht.

Unter dem Strich besticht er durch einen aufgeräumten Innenraum. In puncto Design ginge es aber ausgefeilter, und das liegt ausdrücklich nicht an der Länderherkunft. Manche chinesische Marke beweist hier einen Tick mehr Stilsicherheit, gerade für europäische Ansprüche. Zwar mangelt es angesichts dreier Displays kaum an Infotainment, aber jeder Monitor weist einen eigenen Charakter auf. Kann man machen, wirkt aber etwas zerklüftet.

Bei den Materialien herrscht immerhin der gute Wille. Doppelte Ziernähte, eine belederte Armaturentafel, auf der sich ebenfalls das Rautenmuster wiederfindet sowie Türbeläge mit einer Mischung aus Nubuk und rautenförmigem Leder sollen eigentlich Noblesse verströmen, die aber nicht so recht aufkommen mag. Ganz cool sind die beleuchteten Dekors mit Wey-Schriftzug. Funktional orientierte Klientel dürfte das kaum stören, die erfreut sich an den reichhaltigen Ablageflächen. Und dass der USB-Anschluss noch nicht auf C geswitcht wurde, Schwamm drüber. Es gibt ja entsprechende Kabel.

Was ein bisschen verwundert: warum das Gepäckabteil laut Datenblatt bloß knapp 1300 Liter Volumen fasst. Subjektiv macht der Mittelklässler jedenfalls einen geräumigen Eindruck. Und 517 Liter bei aufrecht stehenden Lehnen sind ja auch proper. Somit dürfen vier Personen auf der Urlaubsreise reichlich Gepäck mitnehmen.

Zum Schluss die Preisfrage. Mit 55.900 Euro für die starke Allradversion kann man nichts falsch machen - der Kurs ist sensationell günstig für das Gebotene. Schließlich gibt es nicht nur Leistung satt, sondern darüber hinaus eine übervolle Serienausstattung mit wirklich allen Finessen von umfangreicher Assistenz (die überwachenden Features sind übrigens rasch ausgeschaltet) über reichlich Multimedia bis hin zu zahlreichen elektrischen Helferlein. Und auch kumuliert 1300 Euro Aufpreis für Lenkradheizung, belüftete Massagesitze und sogar Sitzheizung hinten sind mehr als fair. Dass der Wey allerdings keine beheizbaren Scheibenwaschdüsen serienmäßig bietet, ist schräg. Aber individualistisch ist er ganz sicher, denn so viele Exemplare kommen nicht nach Deutschland. Hier ist wohl noch etwas Überzeugungsarbeit nötig.

Fazit: Vorweggeschickt sei, dass der Wey 03 kein schlechtes Auto ist. Er hat Power, ist funktional, bequem und üppigst ausgestattet. All das gibt es obendrein zum überschaubaren Kurs, gemessen am Gebotenen. Die wichtigen Regelassistenten wie beispielsweise der aktive Tempomat funktionieren tadellos. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass es dem Mittelklässler noch an Feinschliff fehlt. Antrieb und Design sind noch nicht ganz auf europäischem Premiumlevel. Doch dazu muss man insbesondere zwei Dinge wissen. Erstens weilt der Wey 03 bereits vier Jahre am Markt, das sind Welten zu heute, da die Chinesen schnell lernen. Und zweitens dürfte es User geben, die mit dem etwas konservativen Design gut leben können und sich über eine Offerte freuen, die durch ihr Preis-Leistungs-Verhältnis glänzt und nicht durch Schnickschnack.

Quelle: ntv.de


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