Was die Behörden richtig ärgert: Das Streamingportal Kinox.to ist noch immer online. Aktuelle Hollywood-Streifen tauchen dort weiterhin nur wenige Tage nach dem Kinostart auf. Die Generalstaatsanwaltschaft Dresden wirft den Selimis viele Straftaten vor. Die Liste reicht von Urheberrechtsverletzung über Steuerhinterziehung bis zu Nötigung, räuberischer Erpressung und Brandstiftung. "Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass sie im Besitz von Schusswaffen sind", warnt das Fahndungsplakat.
Das Leben im Untergrund gilt gemeinhin als schwierig, weil der Flüchtige Geld auftreiben muss – und eine geregelte Arbeit als Einnahmequelle ausfällt. Recherchen der "Welt am Sonntag" legen aber nahe, dass die Brüder sich weiter mit Geld eindecken können. Denn einige Firmen machen weiter Geschäfte mit den Betreibern der illegalen Portale.
Kinox.to und Movie4k.to zählen beide zu den 100 beliebtesten Webseiten in Deutschland. Entsprechend viel Geld lässt sich dort mit Werbung verdienen. Zwar wollen die meisten seriösen Unternehmen ihre Werbung nicht auf illegalen Seiten sehen. Aber viele Anbieter von Glücksspiel, Dating- oder Porno-Seiten sind weniger wählerisch. "Wir schätzen, dass allein Kinox.to Werbeeinnahmen von bis zu 2,5 Millionen Euro im Jahr erzielt", sagt der Hamburger Urheberrechtsschützer Volker Rieck vom IT-Forensikdienstleister FDS.
Vermarkter spielen entscheidende Rolle
Die Werbetreibenden gehen nicht direkt auf Kinox.to zu, sondern wenden sich an digitale Werbevermarkter. So können sie später behaupten, gar nicht gewusst zu haben, auf welchen Seiten der Partner die Werbung ausgespielt hat. Die Vermarkter wiederum sind zum Teil extrem undurchsichtig. Da wäre zum Beispiel die Firmengruppe Propeller Ads. Angeblich vermittelt der Vermarkter jeden Tag 650 Millionen Klicks auf digitale Werbeanzeigen, die sich auf mehr als 5000 Webseiten verteilen.
FDS hat die Werbung auf Webseiten der Streaming- und Download-Szene untersucht. "Wir können belegen, dass Propeller Ads bei Kinox.to und Movie4k.to nach wie vor Werbung ausspielt", sagt Volker Rieck. Auch auf etlichen anderen beliebten Portalen der Raubkopierer-Szene entdeckte Rieck Werbung, die von Propeller Ads stammt. Ganz neu sind die Vorwürfe nicht. 2013 kam eine Untersuchung an der University of Southern California zum Ergebnis, dass Propeller Ads die "Nummer eins" bei Werbung auf illegalen File-Sharing-Seiten ist.
Wer aber steckt hinter dem Werbevermarkter? Auf der Webseite werden vier Firmen aufgelistet, drei haben exotische Adressen auf den Britischen Jungferninseln, Zypern und der Isle of Man. Eine ist in einem schottischen Kaff namens Douglas registriert, eine Autostunde südlich von Glasgow. Google Street View zeigt einen winzigen Hauseingang. Nach großer Werbe-Agentur sieht das Gebäude nicht aus. Was zu den offiziellen Angaben nicht passt: Wer beim Karrierenetzwerk LinkedIn nach Mitarbeitern von Propeller Ads sucht, stößt auf Dutzende Namen und Berufsbezeichnungen wie "Developer", "Media Buyer" oder "IT Project Manager". Die Mitarbeiter geben weder die exotischen Inseln noch Schottland als Arbeitsplatz an – sondern London und St. Petersburg.
Geschäftsführer ist nicht ermittelbar
Der "Welt am Sonntag" war es zudem nicht möglich, den Geschäftsführer von Propeller Ads zu kontaktieren. Die Webseite weist ihn gar nicht erst aus. Bei den vier Firmen lässt sich nicht einmal erkennen, welche davon Mutter- und welche nur Tochtergesellschaft ist. Bei LinkedIn nennt sich ein gewisser Aleksandr F. Vorstandschef und Mitgründer von Propeller Ads. Sein Foto zeigt ihn in einem Sportwagen, die Sonnenbrille verdeckt den größten Teil seines Gesichts. Eine Kontaktanfrage ließ er unbeantwortet.
Ein Möglichkeit, mit den Machern von Propeller Ads ins Gespräch zu kommen, bietet sich dann doch. Mitte Juli kommt in Berlin die internationale Webvermarkter-Szene bei der Branchenkonferenz "Affiliate World Europe" zusammen. Im Congress Center am Alexanderplatz treffen sich Geschäftsleute, die große Mengen Internet-Traffic in Geld verwandeln. Einen auffälligen Stand hat etwa die Firma Traffic Junky, die Werbeflächen eines großen Pornoseiten-Netzwerks unter anderem auf der Website von Youporn vermarktet. Der Eintritt für den zweitägigen Klick-Basar kostet satte 800 Euro. Hostessen in kurzen Kleidchen und High Heels begrüßen das Tagungspublikum.
Auch Propeller Ads hat einen Stand aufgebaut. Um auf sich aufmerksam zu machen, verlosen vier Firmenvertreter eine ferngesteuerte Drohne. Das Wort führt der vollbärtige Anton Merkulov aus St. Petersburg. Er könnte dem Auftreten nach auch Rausschmeißer in einer Disco sein. Kritischen Fragen begegnet er mit stoischer Ruhe. "150 Menschen arbeiten für Propeller Ads", sagt er, die "Basis" sei St. Petersburg, das "Hauptquartier" aber in London. Auf die Frage, warum sich die Firma auf Geschäfte mit den Kriminellen von Kinox.to einlasse, sagt er lakonisch: "That is big news", das sei ihm neu. Er werde das "jemandem mit Verantwortung" vortragen. Dann bedankt er sich für den Hinweis. Wenige Tage später schickt die "Welt am Sonntag" Merkulov einen Fragenkatalog mit der Bitte, ihn an die Geschäftsführung weiterzugeben – eine Antwort bleibt aus.
Digitale Mafia beherrscht die Klaviatur des Verschleierns
Vielleicht hat die Zurückhaltung mit einer heiklen Personalie zu tun. Der Ex-Direktor von Propeller Ads – ein Zypriot namens Madrios Haladjian – soll im Umfeld der Selimi-Brüder aktiv gewesen sein, heißt es aus Ermittlerkreisen. Er könnte auf Weisung von Kastriot Geldflüsse verschleiert haben. Hat er die Beziehung von Propeller Ads zu Kinox.to aufgebaut? Haladjian war bis 2014 Direktor der Propeller Ads Media Ltd., einer Vorgängerfirma der Gruppe. Dann verliert sich seine Spur.
Die digitale Mafia beherrscht die Klaviatur des Verschleierns längst so gut wie Steuerhinterzieher. Firmen werden gegründet und verschwinden wieder, Strohmänner tauchen auf und gleich wieder ab. Wer versucht, Verantwortliche ausfindig zu machen, landet vor Briefkästen in Steueroasen. Deutsche Behörden haben geringe Chancen, mehr über die Hinterleute herauszufinden.
Ihnen bleibt nur die Hoffnung, dass sich auch die Briten für den Werbevermarkter interessieren. Auf der Website wird behauptet, die Gesellschafter von Propeller Ads müssten keine Steuern zahlen. Der Hinweis spielt auf den Steuervorteil schottischer Limited Partnerships (LP) an. Der setzt jedoch voraus, dass die LP keinen Bezug zu Großbritannien hat, keine Kunden und keine Betriebsstätte. Angesichts der vielen Londoner LinkedIn-Profile darf das bezweifelt werden. Selbst der mysteriöse CEO Aleksandr F. hat Großbritannien als Standort angegeben.
Quelle : welt.de
Tags: