Auch das noch – Feminismus in Hogwarts!

  07 September 2016    Gelesen: 822
Auch das noch – Feminismus in Hogwarts!
Wo Harry Potter zaubern lernte: In drei neuen Büchern mit Charakterskizzen verrät Joanne K. Rowling alles, was Sie noch nie über die Schule wissen wollten, aber jetzt trotzdem lesen werden.
Dass JK Rowling Nerven hat, beweist sie immer wieder. Jüngst hat sich die berühmteste Kinderbuchautorin der Welt in den Bürgerkrieg der britischen Labour-Partei eingemischt. Die Partei zerfleischt sich derzeit selbst – jeden Tag ein bisschen mehr, jeden Tag ein bisschen brutaler. Entsprechend der traurigen Regel, die auch Harry Potter am eigenen Leib erfahren hat, dass kein Kampf zäher geführt wird als der unter Gleichen.

Doch JK Rowling, die Frau mit dem starken Nervenkostüm, schreckt das nicht. Die Labour-Partei und deren soziale Ansinnen sind ihr wichtig. Sie wird nicht müde, für den Erhalt des Sozialstaats zu werben: Schließlich wäre Harry Potter nie entstanden, wenn sie damals als mittellose, alleinstehende Mutter nicht selbst Sozialhilfe bekommen hätte.

Mit der in Großbuchstaben geschriebenen Zeile "THIS IS NOT BLOODY FUNNY" ließ Rowling deshalb ihre acht Millionen Follower auf Twitter wissen, was sie vom Parteivorsitzenden Jeremy Corbyn hält: "Das ist verdammt nochmal nicht witzig." Den folgenden Shitstorm würden zarter besaitete Schriftsteller kaum aushalten. Rowling dagegen tweetete ungerührt zurück: "Ich werde nicht die Klappe halten. Wir dreckige, bürgerliche, neoliberale Zentristen sind nämlich zäher als Ihr denkt."

Schlussmachen mit der Potterei? Ja, von wegen

Das war in der vergangenen Woche. In dieser provoziert die Autorin wieder. Diesmal begeht sie Verrat in eigener Sache. Genauer: Sie bricht zum wiederholten Mal mit dem Versprechen – aus Sicht der "Potterheads" mit der Drohung – Schluss zu machen und ihren Zauberlehrling Harry Potter sich selbst und der Phantasie der Fans zu überlassen.

Erst vor knapp zwei Monaten wurde das Theaterstück "Harry Potter und das verwunschene Kind" in London uraufgeführt. Rowling, die Kaltblütige, wechselte das Genre und wählte ausgerechnet die Bühne, wo der Zauber vor den kritischen Augen des Publikums gelingen muss, um Harry Potter wiederauferstehen zu lassen. Vor der Premiere, die als sagenhafter Triumph gefeiert werden sollte, sagte Rowling in die Mikrophone: "Ich glaube, wir sind durch mit Harry ... das war`s."

Doch nichts da: Es ist, als ob die unbeirrbare Produktivität der Autorin nicht einmal vom eigenen Wort zu stoppen ist. Nachdem das Skript fürs Theaterstück den Rekord der meistverkauften Neuerscheinung des vergangenen Jahrzehnts in Großbritannien gebrochen hat, sind jetzt auf einen Schlag drei neue Werke erschienen: "Kurzgeschichten aus Hogwarts: Macht, Politik und nervtötende Poltergeister", "Kurzgeschichten aus Hogwarts: Heldentum, Härtefälle und hanebüchene Hobbys" und "Hogwarts: Ein unvollständiger und unzuverlässiger Leitfaden".

Rowling Zusage gilt insofern, als es nur am Rand um Harry Potter geht und die Handlung der sieben Potter-Bände nicht weiter getrieben wird. Stattdessen leuchtet sie in den Texten die Welt der Hexen und Zauberer näher aus und beschreibt Harry Potters Zauberschule und seine Lehrer.

Neuland ohne Neuigkeiten

Abermals betritt Rowling mit diesen drei kurzen, preiswerten Bänden, die nur als E-Books erscheinen, Neuland – und zwar in eine Art von Neuland, in das sich kein anderer Schriftsteller wagen dürfte. Was sie in den drei Hogwarts-Bänden zu bieten hat, ist nämlich weder neu noch spannend.

Anders als die Titel versprechen, handelt es sich bei den Texten nicht um in sich geschlossene Kurzgeschichten, sondern vielmehr um zu Papier gebrachte Charakterskizzen, Hintergrundinformationen und Überlegungen. Es ist übrig gebliebenes Material, das beim Schreiben der Potter-Bände entstanden ist und das aus Gründen der erzählerischen Ökonomie im Manuskript nicht gebraucht wurde. Vieles davon ist bereits auf Rowlings Harry-Potter-Fan-Seite "Pottermore.com" erschienen.

Zum Beispiel lernt der Leser, dass Rowling sich einmal einen Geist namens Edmund Grubb ausgedacht hatte, "bei dem es mir heute noch leid tut, dass ich ihn nie verwendet habe". Unbefangen gibt Rowling den Blick über ihre Schulter frei: "Die Notiz neben seinem Namen lautet: Am Eingang zum Speisesaal verschieden. Hält Leute aus Boshaftigkeit manchmal davon ab hineinzugeben. Fetter viktorianischer Geist. Aß giftige Beeren." Und dann beginnt das nächste Kapitel.

So sind die Bände am ehesten als eine Art "Directors Cut" zu verstehen. Ein nicht uninteressanter Blick hinter die Kulissen des Schaffensprozesses. In "Heldentum, Härtefälle und hanebüchene Hobbies" schreibt Rowling, man lerne eine Figur am besten über ihre Eltern, ihre Kindheit, ihre erste Liebe und über einen hartnäckig gehegten Groll kennen. Nach diesem Leitfaden führt sie dann kapitelweise Charakterstudien über die Figuren von Minerva McGonagall, Remus Lupin, Sybill Trelawney und Silvanus Kesselbrand aus.

Wer war das Vorbild für Dolores Umbridge?

So sind die Texte nichts für Novizen, sondern ein Geschenk der Autorin an hartgesottene "Potterheads", die sich an jedem neuen Detail ergötzen, die sieben Bände in- und auswendig kennen und sich nicht sattlesen können. Sie werden noch tiefer in die beeindruckend vieldimensionale Welt des Zauberlehrlings gezogen.

Rowling führt etwa den feministisch-ehrgeizigen Zug der liebenswerten Hexe Minerva McGonagall näher aus. Und sie beschreibt nicht nur den kitschigen Geschmack von Dolores Umbridge mit großartiger Genauigkeit, sondern fügt eine persönliche Anekdote über die einst verhasste Lehrerin an, die ihr als Vorbild für die böse Hexe diente.

JK Rowling ist nicht zu stoppen

Doch wie gesagt: Diese Art der Potter-Forensik ist etwas für Liebhaber. Wer zur Unterhaltung einen Spannungsbogen braucht, sollte sich bis November gedulden. Dann erscheint das nächste Produkt aus der produktiven Werkstatt von JK Rowling.

Eddie Redmayne spielt die Hauptrolle der Hollywood-Verfilmung von Rowlings Buch "Fantastische Tierwesen und wo sie zu finden sind". Sie hat das Drehbuch selbst verfasst und plant zwei weitere. JK Rowling ist nämlich nicht stoppen. Auch wenn sie ab und zu das Gegenteil behauptet.

Quelle : welt.de

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