Für 129 Euro von Berlin nach New York

  14 September 2016    Gelesen: 526
Für 129 Euro von Berlin nach New York
Nachdem Low-Cost-Airlines die Mittelstrecken aufgemischt haben, greifen sie nun den Langstreckenmarkt in Europa an.
Sie kommen mit einer kleinen Reisetasche an den Pariser Flughafen. Dann lassen sie Mini-Versionen von Shampoo, Duschgel und Zahnpasta in durchsichtigen Plastikbeuteln verschwinden. Um keinen Preis wollen sie Gepäck aufgeben. Doch es geht nicht nur für ein paar Tage mit Ryanair oder Easyjet nach Madrid, London oder Lissabon. Sie wollen weiter, nach New York, Miami oder in die Dominikanische Republik.

Nachdem Low-Cost-Airlines den Markt für Mittelstrecken aufgemischt haben, greifen sie nun auch auf dem Langstreckenmarkt in Europa an. So baut Norwegian beispielsweise seine Transatlantik-Verbindungen kontinuierlich aus, während die erste französische Langstrecken-Billigfluggesellschaft French Blue gerade ihren Flugdienst in die Karibik aufgenommen hat. Dabei dürfte es nicht bleiben: Mindestens zwei asiatische Billigfluggesellschaften wollen demnächst Langstreckenflüge nach Europa anbieten.

Der Trend zu Low-Cost-Angeboten im Fernflug-Segment erscheint derzeit unaufhaltsam. Inzwischen interessieren sich sogar klassische europäische Airlines wie Lufthansa für das Modell. Ihre Billigtochter Eurowings bietet seit dem vergangenen Jahr ebenfalls günstige Langstreckenflüge an. Air France-KLM könnte nachziehen, wenn der neue Konzernchef Jean-Marc Janaillac Anfang November die künftige Strategie der französisch-niederländischen Fluggesellschaft vorstellt. Er wolle dann auch erklären, wie Air France-KLM auf die Low-Cost-Anbieter im Langstreckensegment reagiert, kündigte er kürzlich an.

„Das Ticket ist der Lockvogelpreis“

Für Kunden ist diese Tendenz eine gute Nachricht. So bietet Norwegian Direktflüge vom Pariser Flughafen Charles de Gaulle nach New York ab 159 Euro und nach Miami für 179 Euro an – je Strecke. Die norwegische Billigfluglinie kündigte zudem gerade an, ab nächstem Sommer von London, Oslo, Kopenhagen, Stockholm und Barcelona aus Non-Stop-Verbindungen in die USA anbieten zu wollen. Bei French Blue wiederum ist ein Flug von Paris-Orly nach Punta Cana ab 149 Euro zu haben, während Eurowings Verbindungen von Deutschland nach Miami ab 159,99 Euro anbietet.

Bei Wow Air aus Island sind One-Way-Tickets nach New York von Berlin aus ab 129 Euro zu haben – allerdings mit Zwischenstopp in Reykjavik. So billig muss der Preis allerdings nicht bleiben. Und: „Das Ticket ist der Lockvogelpreis, danach ist alles à la carte: das aufgegebene Gepäck, die Mahlzeiten, der Service und die Versicherungen“, sagt Luftfahrtexperte Yan Derocles von Oddo Securities. Für all diese Dienstleistungen müssen Fluggäste noch mal mindestens 50 Euro berappen.

„Acht Stunden Flug sind lang, da werden die Leute konsumieren“, meint Emmanuel Combe von der Wirtschaftshochschule ESCP Europe. French Blue, die neue Billigtochter von Air Caraibes, zumindest baut darauf. Sie will mindestens 15 Prozent ihres Umsatzes mit dem Verkauf von zusätzlichen Dienstleistungen an Bord machen. Angesichts der niedrigen Ölpreise könnte die neue Airline bereits im nächsten Jahr die Gewinnschwelle erreichen.

Die Rechnung könnte aufgehen

Der starke Rückgang der Treibstoffpreise ist für die neuen Langstrecken-Billigairlines ohnehin eine gute Nachricht – und nach Ansicht von Branchenkennern einer der Gründe, dass sie jetzt in Europa den Markt erobern wollen. Einziges Problem: Im Gegensatz zu Low-Cost-Carriern aus dem Mittelstreckensegment wie Easyjet und Ryanair können die neuen Langstrecken-Billigheimer ihre Flugzeuge nicht so oft rotieren lassen. Denn ein Weiterflug der Maschinen nach nur 20 oder 30 Minuten Pause ist bei Langstreckenflügen allein wegen der Vorschriften nicht möglich. So müssen etwa Piloten und Besatzung bestimmte Ruhepausen einhalten.

Ebenfalls nicht übertragbar auf das Langstrecken-Segment scheint ein weiteres Merkmal von Ryanair und Co. So starten die Iren oft von günstigen kleinen Flughäfen. Langstrecken-Jets lassen sich an diesen Airports aber kaum ausreichend füllen. Das geht meist nur an großen Flughäfen, die eben auch höhere Flughafengebühren erheben.

Dennoch könnte ihre Rechnung aufgehen. Das liegt nicht nur an den niedrigen Ölpreisen, sondern auch an den neuen spritsparenden Langstreckenjets A350 und 787 von Airbus und Boeing. Sie punkten mit ihrem Treibstoffverbrauch und einer günstigen Wartung, sagt Branchenexperte Yan Derocles. Durch sie könnten Airlines ihre operativen Kosten um bis zu 40 Prozent senken.

Beim Sparen helfen im Vergleich zu klassischen Airlines zudem – auf das Jahr gerechnet – längere Arbeitszeiten und eine jüngere und damit billigere Besatzung. Bei French Blue beispielsweise sind Flugbegleiter und Piloten im Schnitt zehn Jahre jünger als bei Air France. Zudem muss das Flugpersonal bei der neuen Billiglangstreckengesellschaft 800 Flugstunden pro Jahr statt 700 bis 750 Stunden wie bei klassischen Airlines absolvieren.

Kunden haben keine Angst mehr

Trotz der günstigen Ausgangsvoraussetzungen muss sich jedoch erst zeigen, ob sich das Low-Cost-Modell im europäischen Langstreckensegment durchsetzen wird. Denn es gab bereits in der Vergangenheit immer wieder entsprechende Vorstöße, die gescheitert sind. So bot die Anfang der 80er-Jahre pleitegegangene britische Laker Airways ab 1977 Billigflüge von London nach New York an. Auch Urlaubsflieger wie Condor, Hapag Lloyd und LTU waren vor 30 Jahren im Langstreckensegment aktiv.

Air Asia X wiederum, die Langstreckentochter der gleichnamigen Low-Cost-Airline aus Malaysia, bot ab 2009 Flüge von London nach Kuala Lumpur an, zwei Jahre später dann auch ab Paris. Beide Verbindungen wurden jedoch 2012 wieder eingestellt. Offizielle Begründung war damals die schlechte wirtschaftliche Lage in Europa.

Die Kunden seien in der Vergangenheit noch nicht bereit gewesen, Low-Cost-Airlines für Langstreckenflüge zu nehmen, meint dagegen Wirtschaftsprofessor Emmanuel Combe. „Jetzt sind sie es“, sagt er. „Sie haben keine Angst mehr. Sie wissen, dass die Low-Cost-Airlines sehr zuverlässig sind.“ So habe es innerhalb von 50 Jahren in dem Segment nur ein tödliches Unglück gegeben, den Crash von Germanwings im vergangenen Jahr.

Langstrecken-Billigairlines sollen neue Kunden anlocken

Gleichzeitig hat sich die Klientel für Flugreisen verändert. „Die Kundschaft für Geschäftsreisen legt nur noch zwei Prozent pro Jahr zu, die für Freizeitreisen dagegen sieben bis acht Prozent“, erklärt Branchenexperte Derocles. Er ist sicher, dass die neuen Langstrecken-Billigairlines auch neue Kunden anlocken werden, die noch nie zuvor in ihrem Leben ein Flugzeug genommen haben. Die neuen Billigheimer wie French Blue haben so vor allem europäische Freizeitkunden im Visier, die früher mit Chartergesellschaften unterwegs waren.

Scoot, die Billigtochter von Singapore Airlines, setzt ebenfalls auf Urlauber, wenn sie im nächsten Juni eine Verbindung von Singapur nach Athen aufnimmt. Dagegen hat die Muttergesellschaft Singapore Airlines 2012 Direktflüge zwischen dem asiatischen Stadtstaat und Athen gestoppt, weil die sich offenbar wegen der Wirtschaftskrise in Griechenland nicht mehr rentierten. Air Asia X dürfte dem Beispiel Scoots folgen und Anfang 2018 wieder Flüge zwischen London und Kuala Lumpur anbieten, sobald es das erste Exemplar der neu motorisierten, spritsparenden Version des Langstreckenjets A330 von Airbus erhalten hat.

Bisher ist der Asien-Pazifik-Raum die einzige Region weltweit, in der sich Billigfluggesellschaften im Langstreckensegment durchgesetzt haben. Denn mit den großen Entfernungen und starken Wachstumsmärkten, in denen Verbraucher erst nach und nach Urlaubsreisen für sich entdecken, sind die Voraussetzungen für Scoot und Co. ideal. Ihren Angriff auf den europäischen Markt werden die klassischen Airlines und die Golf-Carrier allerdings nicht einfach so hinnehmen, meinen Branchenkenner. Verbraucher können also auf viele günstige Langstreckenflüge hoffen.

Quelle : welt.de

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