Sebastian Kurz, Liebling der deutschen Medien

  04 Oktober 2016    Gelesen: 716
Sebastian Kurz, Liebling der deutschen Medien
Österreichs Außenminister profiliert sich auf Angela Merkels Kosten, hat mit Christian Kern aber einen Konkurrenten bekommen.
Vor einem Monat, beim Treffen der OSZE-Außenminister in Potsdam: Während eine Limousine nach der anderen vor dem Tagungshotel hält, warten die Medien hinter einer Absperrung auf erste O-Töne. Nicht alle 40 Außenminister sind gleichermaßen begehrt, manche werden gar nicht erkannt. Aber als ein vergleichsweise junger Mann aus einem der Fahrzeuge steigt, mahnen die deutschen TV-Journalisten ihre Kameraleute zu erhöhter Aufmerksamkeit. „Achtung“, sagt einer. „Jetzt kommt der Österreicher.“

Der Österreicher kommt wirklich, und zwar immer wieder gern, wenn ihn die Deutschen einladen. Sebastian Kurz ist längst ein Medienliebling im Nachbarland, vermutlich auch wegen seines Alters und seiner Eloquenz, aber vor allem deshalb, weil er in der Flüchtlingsdebatte Positionen bezieht, die im Berliner Regierungsviertel nicht dem Mainstream entsprechen. Kurz, könnte man sagen, profiliert sich gerade auf Angela Merkels Kosten. Und das ist sein Ticket in die deutsche Medienlandschaft.

Am Sonntagabend war er wieder einmal in der ARD-Diskussionssendung „Anne Will“ zu Gast. Und zur allgemeinen Überraschung gab Kurz dort ausgerechnet Viktor Orbán, Merkels größtem Gegenspieler, Rückendeckung. Man solle das ungarische Votum nicht so deuten, „dass man sagt, die Ungarn wollen mehr Migranten aufnehmen“. Immerhin hätten am Sonntag mehr Ungarn gegen Flüchtlingsquoten gestimmt als 2003 für den EU-Beitritt des Landes. Außerdem, so Kurz, gäbe es auch andere EU-Staaten, die „mit der Politik, die da gemacht wird“, nicht glücklich seien. Sie hätten das Gefühl, „dass einige mitteleuropäische Staaten, vor allem Deutschland, den anderen eine Politik aufzwingen, die sie nicht wollen“.

Auch der österreichische Außenminister will diese Politik nicht, wie er schon vor dem TV-Auftritt einer deutschen Tageszeitung erklärte. Die „Welt am Sonntag“ druckte ein ganzseitiges Interview mit dem 30-Jährigen („Jüngster Außenminister der Welt“), rund um ein Foto, das Kurz in James-Bond-Pose zeigt: Er trägt einen dunklen Anzug, tippt etwas in sein Handy und schaut dabei so, als versuche er die Welt vor einem Bösewicht zu retten.

Im Text erklärt er den Deutschen dann, wie wenig er von Merkels Plan hält, monatlich Hunderte Migranten aus Italien und Griechenland ins Land zu holen. Denn das ermutige nur noch mehr Menschen, nach Europa zu kommen. Das Ziel könne nicht die von Deutschland favorisierte Umverteilung nach Quoten sein. Die EU brauche einen besseren Schutz der Außengrenzen, „um illegale Migration zu unterbinden“.

Ein verbesserter Grenzschutz ist durchaus im Sinne Merkels, aber der Teufel steckt hier im Detail. Kurz forderte die EU vor einigen Monaten (via „Presse“) auf, Flüchtlinge auf Inseln festzuhalten, ähnlich wie Australien. Innerhalb der deutschen Regierung fand dieser Vorschlag aber nur bei der CSU Anklang. Parteichef Horst Seehofer, zu dem der Außenminister einen guten Draht haben soll, war einer der ersten, der Applaus spendete. Merkel hingegen meinte, Australien könne kein Vorbild für Europa sein. Und wieder stand Kurz im Mittelpunkt.

Cool wie Kern im Maßanzug

Im Buhlen um die deutsche Mediengunst bekam er heuer allerdings Konkurrenz. „Der schrecklich fesche Herr Kern“ war Spiegel Online am Samstag ein großes Porträt wert. Österreichs Kanzler, war darin zu lesen, wirke jünger als 50 und steche mit seinen Maßanzügen „aus der Reihe der grauen Männer in eher gewöhnlich sitzenden Anzügen“ hervor. Die „Zeit“ hatte schon im Juni gefragt: „Wie wird man so cool wie dieser Mann?“ Gemeint war ausnahmsweise nicht Kurz, sondern Christian Kern.

Der Kanzler dürfte jetzt auch auf den Geschmack gekommen sein. In der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ publizierte er vor Kurzem einen Essay, in dem er mit Merkels Austeritätspolitik abrechnete („Europa muss wieder gerechter werden“). Auch Kern weiß, was Marktnischenpolitik ist, also was er sagen muss, um in ausländischen Medien vorzukommen. Anders als die meisten europäischen Sozialdemokraten (und SPD-Chef Sigmar Gabriel) schloss er sich etwa der Anti-Ceta-Bewegung an und machte sich als Europas schärfster Türkei-Kritiker einen Namen. „Kern und sein kleines Österreich preschen vor und wollen die Beitrittsgespräche mit der Türkei beenden – eine Haltung, die vermutlich so mancher EU-Staat teilt, aber außer Österreich niemand ausspricht“, analysierte Spiegel Online.

Das Magazin „Cicero“ wiederum beobachtete Ende September beim Balkan-Gipfel in Wien, dass der österreichische Bundeskanzler „das Zepter in der europäischen Flüchtlingspolitik übernommen hat“. Für Angela Merkel bedeute das einen Machtverlust. Diese These war aber selbst Kern zu steil: „Sehr nett“, schrieb er fast unterwürfig auf Twitter. „Aber doch übertrieben.“

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