Die Gegenwart heißt Tyson Fury - noch. Ob der 28-Jährige nach seinem Sieg gegen Klitschko im vergangenen November überhaupt noch einmal boxen wird, ist ungewiss. Gerade platzte zum zweiten Mal der WM-Rückkampf gegen Klitschko. Fury ist nach Verletzungen, Kokain-Gerüchten und drohender Dopingsperre wohl bald schon Box-Vergangenheit, auch wenn er seine Rücktrittsverkündung umgehend wieder kassierte.
Wie geht es weiter im Schwergewicht?
Klitschko wird alles dafür tun, sich noch mal den Titel zu sichern. Ihm läuft die Zeit davon. Sein Manager Bernd Bönte hatte vergangene Woche betont, dass es für den 40-jährigen Ukrainer höchste Priorität habe, "dass er noch in diesem Jahr um eine WM boxt". An Optionen dafür mangelt es nicht, schließlich gibt es im Profiboxen vier große Weltverbände (WBA, WBC, WBO und IBF), die um die Gunst der Sportler und Promoter buhlen.
Das bedeutet für einen Champion wie Klitschko, der ein professionelles Management und einen finanzstarken TV-Partner hinter sich weiß, dass er sich im Grunde selber aussuchen kann, wann und gegen wen er wieder Weltmeister werden will. Die Entscheidung fällt wahrscheinlich zwischen vier ungeschlagenen Gegnern und drei Boxern mit Klitschko-Vergangenheit.
Anthony Joshua, Großbritannien - 17 Kämpfe, 17 Siege, 17 durch K.o.
Nach der Absage des Fury-Kampfs brachte der britische Promoter Eddy Hearn sofort seinen IBF-Weltmeister Anthony Joshua als möglichen Klitschko-Gegner ins Spiel. Joshuas nächste Titelverteidigung ist für den 26. November geplant, ein Herausforderer steht bislang zwar noch nicht fest, aber die Manchester Arena ist bereits gebucht. Der Vorteil dieser Variante: Ein Duell zwischen den beiden Olympiasiegern (Klitschko 1996 in Atlanta, Joshua 2012 in London) würde weltweit für Interesse sorgen und beiden Boxern zweistellige Millioneneinnahmen garantieren.
Folgerichtig verkündete Bönte vergangene Woche schon, er sei sich mit Hearn eigentlich einig, auch finanziell. Allerdings gibt es auch Gründe, die gegen das Duell zwischen dem Ukrainer und dem britischen IBF-Champion sprechen. Zum einen ist der Kampf für Klitschko ein nicht zu unterschätzendes Risiko. Joshua ist groß, schnell, technisch hervorragend ausgebildet und schlagstark - mit einer K.-o.-Quote von 100 Prozent. Er ist tatsächlich so etwas wie eine 14 Jahre jüngere Version von Klitschko und hat das Zeug, dem Ex-Weltmeister die zweite Niederlage in Folge beizubringen, was mit großer Wahrscheinlichkeit das Karriereende bedeuten würde.
Zum anderen - und dieser Grund wiegt vermutlich noch schwerer - müsste Klitschko auswärts antreten und hätte damit nicht die Kontrolle über Ablauf und Vermarktung der Veranstaltung. Wer Bönte kennt und zudem weiß, dass der Manager die Hamburger Arena für den 10. Dezember geblockt hat, der weiß genau, was das "eigentlich" in "eigentlich einig" bedeutet. Klitschko gegen Joshua wird es wohl nur dann geben, wenn Hearn seinen Weltmeister nach Hamburg schickt. Und das ist äußerst unwahrscheinlich, denn der britische Boxmarkt ist im Moment so stark, dass Joshua den Heimvorteil nicht aufgeben muss - schließlich verdient er auch bei einer freiwilligen Titelverteidigung gegen einen schwächeren Gegner sehr viel Geld.
Joseph Parker, Neuseeland - 21 Kämpfe, 21 Siege, 18 durch K.o.
Möglich wäre für Klitschko wohl auch ein Kampf um die WBO-WM gegen den Neuseeländer Joseph Parker. Aktuell führt die World Boxing Organisation noch Fury als Weltmeister. Doch spätestens nach dem Kokain-Skandal sollte es nur eine Frage der Zeit sein, bis dem Briten der Titel aberkannt wird. Klitschko wird in der WBO-Weltrangliste aktuell auf Position zwei hinter Parker geführt, die beiden könnten also um den dann vakanten Gürtel boxen.
Der 24-Jährige gilt als großes Talent und ist genau wie Joshua noch ungeschlagen. Dass er weiß, wie man große Ukrainer ausknockt, hat Parker am vergangenen Samstag bewiesen, als er den ehemaligen Europameister Alexander Dimitrenko in drei Runden insgesamt viermal zu Boden schickte. Nun ist Klitschko natürlich stärker einzuschätzen als Dimitrenko. Trotzdem scheint es fraglich, ob sich der Ukrainer ausgerechnet den jungen Neuseeländer als Gegner aussucht, der international noch relativ unbekannt, aber trotzdem nicht ungefährlich ist.
Luis Ortiz, Kuba - 25 Kämpfe, 25 Siege, 22 durch K.o.
Die wahrscheinlichste Variante scheint aktuell ein Kampf um die WBA-Weltmeisterschaft zu sein. Die World Boxing Association ist sowohl der älteste als auch der "flexibelste" Verband, wenn es um die Auslegung der eigenen Regeln geht. Die in Panama ansässige WBA führt in nahezu jeder Gewichtsklasse neben dem "regulären Weltmeister" noch einen "Super Champion" und einen "Interimsweltmeister", im Schwergewicht ist dies der schlagstarke Kubaner Luis Ortiz.
Der 37-jährige "King Kong" wäre ein möglicher Klitschko-Gegner, wird von Manager Bönte aber vermutlich abgelehnt, da der Interimstitel eben doch keine "echte WM" ist. Zudem hat Ortiz eine Doping-Vergangenheit. Im September 2014 wurde er positiv auf Nandrolon getestet. Auch die WBA würde diese Option vermutlich nur zähneknirschend unterstützen. Der Kubaner hat Probleme mit dem Verband, weil er eine Pflichtverteidigung gegen den Russen Alexander Ustinov platzen ließ.
Lucas Browne, Australien - 24 Kämpfe, 24 Siege, 21 durch K.o.
Der "reguläre" WM-Titel der WBA ist vakant, seit Ruslan Chagaev in diesem Jahr seine Karriere beendete. Eigentlich sollen der Puerto Ricaner Fres Oquendo und Lucas Browne um die Weltmeisterschaft boxen. Der Kampf wird aber wohl nicht zustande kommen, da sich Oquendo nach langer Verletzungspause noch in der Reha befindet. Klitschko gegen Browne wäre eine Option. Der 37-jährige Australier ist noch ungeschlagen und physisch stark, technisch ist er Klitschko aber deutlich unterlegen.
"Big Daddy" Browne hatte keine lange und erfolgreiche Amateurkarriere wie Olympiasieger Klitschko, sondern verdiente sein Geld als Türsteher, bevor er Profi wurde. Dementsprechend fehlt ihm die boxerische Grundausbildung. Gut möglich, dass Browne der nächste Klitschko-Gegner wird, weil der Ukrainer auf diesem Weg ohne großes Risiko wieder Weltmeister werden könnte. Gegen den Australier spricht allerdings, dass er bei seinem letzten Kampf am 5. März in Grosny gegen Chagaev positiv auf das anabole Steroid Clenbuterol getestet wurde. Browne beteuert zwar seine Unschuld, konnte seine Sperre vor Gericht auf sechs Monate verkürzen und sich das Anrecht auf einen weiteren WM-Kampf erstreiten. Trotzdem lastet der Schatten der Dopingvorwürfe auf ihm und könnte die Vermarktung erschweren.
Oder doch David Haye?
Falls Browne wegen seiner Doping-Historie keine Option ist, könnte sich Klitschko vermutlich einen Gegner aussuchen und um den Titel des WBA "Super Champions" boxen. Den hält im Moment zwar noch Fury, aber nach den Enthüllungen der vergangenen Woche wäre es für den in Panama ansässigen Verband ein Leichtes, dem Briten den Gürtel zu entziehen. Der Ukrainer hätte dann freie Wahl innerhalb der Top 15 der WBA-Weltrangliste. Die besten Chancen hätte dann David Haye.
Der Brite forderte Klitschko im Juli 2011 schon einmal heraus. Nach großen Ankündigungen folgte ein relativ langweiliger Kampf, den Klitschko klar dominierte und nach Punkten gewann. Der inzwischen 35-jährige Brite beendete daraufhin 2012 seine Karriere, feierte in diesem Jahr aber sein Comeback mit zwei kurzründigen K.-o.-Siegen und könnte aufgrund seiner Vermarktungsqualitäten eine echte Alternative sein.
Quelle : spiegel.de
Tags: