Aber das ist nicht der Grund, warum dies eine gute, ja, schlaue Entscheidung der Schwedischen Akademie war. Ngugi wa Thiong`o aus Kenia, Ko Un aus Südkorea und etliche andere wären sicher auch würdige Empfänger der höchsten Ehrung der literarischen Welt gewesen. Doch zur Wahl von Bob Dylan könnte man - mit dem Preisträger - sagen: "Don`t think twice, it`s alright".
Es lässt sich kaum bezweifeln: Dylan webt auf virtuose Weise weit überdurchschnittlich viele Querbezüge und Anspielungen in seine Songtexte ein - und findet doch immer wieder zu den prägnanten Slogans, die zu seiner Kunstform dazu gehören.
Und auch, wenn man zweimal darüber nachdenkt, ist die Entscheidung in Ordnung. Damit, dass es diese Texte würdigt, beweist das Nobelpreis-Komitee einen erweiterten und zeitgemäßen Literaturbegriff - den es mit dem Verweis auf die antiken Griechen, die ihre Dichtung ebenfalls zu Musik vortrugen, auch literaturhistorisch verwurzelte.
Die Entscheidung für Dylan als bloßes "Spässken" der Akademie anzusehen, wie das Denis Scheck in einem schnellen Statement tat, zeugt jedenfalls von einer ziemlich eingeschränkten Sichtweise auf Literatur.
Zudem hat sich die Schwedische Akademie mit der Entscheidung für den US-Musiker aus einer Falle befreit, in die sie ihr einstiger Ständiger Sekretär (eine Art Jurysprecher) Horace Engdahl gebracht hatte.
Engdahl hatte 2008 geätzt, amerikanische Schriftsteller seien zu isoliert und unwissend, um große Literatur zu schreiben. "Sie übersetzen nicht genug, und sie nehmen nicht wirklich am großen Dialog der Literatur teil", sagte der schwedische Kritiker damals. US-Schriftsteller seien zu empfänglich für Trends in ihrer eigenen Massenkultur und das ziehe "die Qualität ihrer Arbeit nach unten".
Diese Standpauke mochte kurz nach dem Ende von acht Jahren unter George W. Bush gepasst haben - aber sie löste auch in der folgenden Zeit, als unter Barack Obamas Präsidentschaft progressivere und weniger isolationistische Kräfte wieder diskursives Oberwasser bekamen, in den USA das Gefühl aus: Bei der Nobelpreiswahl sind wir außen vor.
In einem bemerkenswerten Artikel für das Magazin "The New Republic" kurz vor der Bekanntgabe des Literaturnobelpreisträgers 2016 hatte der Kritiker Alex Shepherd gemutmaßt, dass dieser Ausschluss nun ein Ende haben könne. Schließlich neige die Akademie durchaus zu Entscheidungen, die auch politische Symbolkraft haben sollen. Und wäre es da nicht der richtige Zeitpunkt, um das weltoffene, liberale Amerika zu unterstützen? Zu einer Zeit, da die Spaltung des Landes so offenkundig wie selten zuvor ist? Zu einer Zeit, da mit Donald Trump ein besonders krasses Beispiel für die Folgen jener kulturellen Ignoranz, die Engdahl angeprangert hatte, nach der Macht greift?
Shepherds Schlussfolgerung allerdings war, dass 2016 Don DeLillos Jahr sein müsse - noch ein Autor, der einen würdigen Nobelpreisträger abgegeben hätte (und dessen Chancen darauf durch Dylans Kür nicht gestiegen sein dürften). Aber Bob Dylan zu prämieren, ist in diesem Zusammenhang sogar noch stimmiger.
Denn Dylans Aufstieg zum Ruhm vollzog sich just in jener Zeit, als sich der Nachkriegskonsens der US-Gesellschaft auflöste und die Republikaner mit Barry Goldwater einen polarisierenden, auf eine Angstkampagne setzenden Kandidaten ins Präsidentschaftsrennen schickten. Bob Dylan war eine Ikone jenes jungen, aufmüpfigen Amerikas, gegen das die Konservativen ihr Land zu verteidigen suchten.
Aber Bob Dylan weigerte sich standhaft, in der Rolle des Protestsängers aufzugehen. Und gerade in den letzten Jahren suchte er konsequent Anknüpfungspunkte in der Musik vergangener Generationen. Zurecht weist die Schwedische Akademie in ihrer Begründung darauf hin, dass Dylan "innerhalb der großen amerikanischen Song-Tradition" neue Ausdrucksformen gefunden habe. Er ist ein Beispiel dafür, dass die Beschäftigung mit eigenen Traditionen nicht zu Isolation und Unwissenheit führen muss.
Quelle : spiegel.de
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