Marxistisch, katholisch und extravagant

  04 November 2016    Gelesen: 443
Marxistisch, katholisch und extravagant
Die Wahlen in Nicaragua wird der Sandinist Daniel Ortega wohl gewinnen - und mit ihm seine Familie, die er fest im politischen System etabliert hat.
Bei diesem Vorsprung in den Umfragen kann kaum mehr etwas schiefgehen. Den Meinungsforschern des Instituts M&R gegenüber gaben Ende Oktober 69,8 Prozent der Befragten an, bei der Präsidentenwahl in Nicaragua an diesem Sonntag für Amtsinhaber Daniel Ortega stimmen zu wollen. Als mutmaßlich stärkster Herausforderer des inzwischen 70 Jahre alten ehemaligen Kommandeurs der marxistischen Sandino-Guerrilla gilt der einstige Kämpfer der rechten Contra-Rebellen und frühere Abgeordnete Maximino Rodríguez. Er kam in der Umfrage auf 8,1 Prozent; die übrigen vier Bewerber der zersplitterten Opposition lagen zwischen 2,3 und 0,8 Prozent.

Im August hatte Ortega seine fünf Jahre jüngere Ehefrau Rosario Murillo auf dem Parteitag der regierenden Sandinisten-Befreiungsfront (FSLN) zur Kandidatin für das Amt des Vizepräsidenten küren lassen. Damit wurde bloß formal vollzogen, was schon seit Jahren Regierungswirklichkeit in Managua ist: Murillo bekleidet zwar nur das informelle Amt der „Primera Dama“, ist aber in Wahrheit Ko-Präsidentin.

Ortega zeigt sich oft wochenlang nicht in der Öffentlichkeit. Er soll ein schwaches Herz haben und zudem unter der Autoimmunkrankheit Lupus leiden, was er aber bestreitet. Dagegen ist Murillo als Regierungssprecherin mit Ministerrang allgegenwärtig. Sie leitet außerdem Kabinettssitzungen, trifft wichtige Personalentscheidungen, kommt regelmäßig mit FSLN-Funktionären und politischen Führern auf regionaler und lokaler Ebene zusammen.

Sie ist dazu Landesmutter, die sich Opfern von Erdbeben und Großfeuern annimmt. Und schließlich bestimmt die frühere Dichterin, die bunte Kleidung, großen Silberschmuck und Schirmmützen liebt, die besondere Ästhetik der Regierungspropaganda. Nicaragua unter FSLN-Führung sei ein Land, in dem es „christlich, sozialistisch, solidarisch“ zugehe, kann man auf riesigen Plakaten lesen. Darauf sind Fotos von Murillo und Ortega auf hellblauem und rosarotem Hintergrund zu sehen. Nicaragua mag nach Haiti weiterhin das ärmste Land Lateinamerikas und der Karibik sein, doch in der offiziellen Darstellung ist alles bonbonfarben und einer Zukunft mit lauter Siegen zugewandt.

Ortega und Murillo kennen sich seit den Zeiten des Guerrillakampfes gegen den von Washington unterstützten rechten Diktator Anastasio Somoza, der 1979 schließlich gestürzt wurde. Danach regierte Ortega bis 1990, zunächst als Chef der linken Junta und später als sozialistischer Präsident.

Nach drei verlorenen Wahlen gelang Ortega 2006 die Rückkehr an die Macht, 2011 wurde er wiedergewählt. Vor zwei Jahren ließ Ortega die Verfassung ändern, um sich für eine dritte Amtszeit in Folge bewerben zu können. Allerdings können sich das Präsidentenpaar und die FSLN, aus der alle Kritiker und Konkurrenten hinausgedrängt wurden, auf robuste Unterstützung zumal auf dem Land verlassen, wo 40 Prozent der gut sechs Millionen Nicaraguaner leben.

Dort zeigen die Zuwendungen der Regierung - von Kleinkrediten über landwirtschaftliche Geräte und Baumaterial bis zu Vieh und Nutztieren - greifbare Wirkung. Die Wirtschaft wächst seit einem halben Jahrzehnt um durchschnittlich etwa 4,5 Prozent pro Jahr. Im Vergleich zu den mittelamerikanischen Nachbarstaaten El Salvador, Honduras und Guatemala, die fest im Griff von Verbrecherbanden und Drogenkartellen sind, ist die Sicherheitslage in Nicaragua gut. Beim Kampf gegen den Drogenschmuggel arbeitet Managua eng mit Washington zusammen. Ungeachtet der sozialistischen und antiamerikanischen Regierungsrhetorik können sich ausländische Investoren auf eine anlegerfreundliche Wirtschaftspolitik verlassen - anders als etwa in Venezuela.

Auch mit der katholischen Amtskirche unter dem erzkonservativen Kardinal Miguel Obando y Bravo haben sich Ortega und Murillo ausgesöhnt: In Nicaragua setzte das von der FSLN dominierte Parlament auf Drängen der Kirche ein absolutes Abtreibungsverbot durch, das sogar bei Vergewaltigung gilt.

Ortega und Murillo haben sieben gemeinsame Kinder, und alle von ihnen bekleiden in Regierung und Wirtschaft wichtige Posten: von der staatlichen Ölgesellschaft über die Investitionsbehörde, die etwa die Lizenz für den Bau des geplanten Nicaragua-Kanals an einen chinesischen Telekommunikationsunternehmer vergeben hat, bis zu staatlichen Fernseh- und privaten Rundfunksendern und zum Präsidentenamt, wo zwei Töchter als Beraterinnen tätig sind.

Ortegas Adoptivtochter Zoilamérica aber, die Murillo aus einer früheren Ehe in die Beziehung gebracht hatte, lebt im Exil in Costa Rica. Sie hatte ihren Stiefvater 1998 beschuldigt, sie über Jahre hinweg sexuell missbraucht zu haben. Damals war Ortega Abgeordneter und gegen Strafverfolgung immun, später legten die von den Sandinisten kontrollierten Gerichte die Anklage zu den Akten. Murillo hielt in dem aufsehenerregenden Fall zu ihrem Ehemann, dem sie früher oder später wohl im Präsidentenamt nachfolgen möchte. „Meiner Mutter etwas abzuschlagen kommt einer Kriegserklärung gleich“, sagt Zoilamérica Murillo.


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