Der Slogan „Der Islam gehört nicht zu Europa“ ist zum Wahlspruch der europäischen Islamphobie geworden und in Deutschland besonders beliebt. Welcher angetrunkene Neonazi weiss schon, dass Alkohol ein Lehnwort aus dem Arabischen ist, ebenso wie seine (Bomber-) Jacke, die er trägt. Der Zucker im Kaffee von Frauke Petry ist ebenso arabischen Ursprungs wie die Matratze in ihrem Bett. Die AfD-Chefin ist promovierte Chemikerin – auch der Begriff Chemie kam über das Griechische, Spanische und Arabische nach Deutschland. Selbstverständlich hat auch Beatrix von Storch im Gymnasium Algebra gelernt und kann mit Algorithmen umgehen.
Ein unterhaltsames Buch des ägyptischen Germanisten Nabil Osman erschien 2010 als Neuauflage in der Beck’schen Reihe. Der Autor hat rund 500 deutsche Wörter arabischer Herkunft versammelt. Er weist ihre ursprüngliche arabische Bezeichnung nach, erläutert sie und erzählt ihre – oft abenteuerliche – Geschichte, eine Geschichte, die vieles von der Ausbreitung der arabischen Kultur – von Byzanz bis Spanien – zu berichten hat. Manche Wörter sind inzwischen aus unserem Sprachschatz verschwunden, andere blieben in literarischen Werken lebendig, etwa in Goethes “West-östlichem Diwan”, bei Rückert, Schlegel und Platon – und haben nicht selten über diese Dichtungen wieder Eingang in unsere Sprache gefunden.
Es ist keineswegs so, dass Deutsche vor 1000 oder 500 Jahren regelmässig interkulturellen Verkehr mit Arabern pflegten und bei diesen bilingualen Gesprächen rasch eben mal ein Wort die Sprachgrenze überschritt. Fast alle arabischen Wörter sind auf indirekten Wegen im Deutschen angekommen. Fehlende geographische wie historische Gegebenheiten verhinderten einen nennenswerten unmittelbaren arabisch-deutschen Lehnwortaustausch.
Auf verschlungenen und heute nicht mehr nachvollziehbarem Pfad reiste auch ein Wort zu uns, dass sogar die Lehnwörter Kabel, Jacke und Watte an äußerlicher Deutschheit noch übertrifft: Mütze erscheint jedem heute geradezu als kerndeutsch, weil es einen Umlaut hat. Und doch ist dieses Wort ein arabischer Einwanderer. Das Wort leitet sich her vom mittellateinischen almutia oder almucia, dem man die Herkunft aus Arabien noch deutlich anmerkt.
Direkten Kontakt zum Arabischen gibt es in Deutschland heute durch die Migranten. Das Wort Jalla ist ein Beispiel für den Einfluss des Arabischen in jüngster Zeit. Es kam über das sogenannte Kiezdeutsch, das von Jugendlichen mit Migrationshintergrund gesprochen wird, in die hiesige Jugendsprache.
Die wichtigste Errungenschaft, die Europa von den Arabern erhielt, waren zweifellos die arabischen Zahlen. Die heutige Numerik, Mathematik und Algebra verwendet nach wie vor das arabische Ziffernsystem – inklusive der Null (die Einführung der Null war der Geniestreich schlechthin). Die Ehre der „Erfindung“ der ersten Zahlenschrift mit der Basis Zehn gehört Indien – und das schon vor ca. 1500 Jahren. Arabische Gelehrte haben durch wissenschaftliche Kontakte nach Indien die Zahlen in die arabischen Länder importiert. Arabische Gelehrte haben auch griechisches Wissen konserviert, das von fanatischen Christen zerstört worden ist.
Doch Vorsicht: die arabischen Zahlen, die wir heute schreiben, entsprechen nicht jenen, die traditionell in Ägypten und in Arabien zu lesen sind. Das arabische Reich teilte sich im 13. Jahrhundert in zwei Teile – der ostarabische Teil mit seinem Zentrum Bagdad und Damaskus und der westarabische Teil mit seinem kulturellen Zentrum in Cordoba. So nahmen auch die Zahlen zwei unterschiedliche Entwicklungen. Haben Reisende Pech, dann hat sind die älteren Waggons der ägyptischen Staatsbahn mit ostarabischen Ziffern angeschrieben. Auch die Autokennzeichen in den meisten arabischen Ländern sind (noch) ostarabisch geschrieben.
„Die Deutschen sind schwer von Begriff bei der Einführung der arabischen Zahlen“, beklagte einst der Augsburger Kaufmann Fugger, der diese aus Cordoba mitbrachte. „Sie sagen zu allen Ziffern obwohl doch nur die Null Siffr heisst und die anderen Zahlen „Figura“. So ist es bis heute geblieben. Im modernen Arabisch wird die 0 einer Telefonnummer in der Regel mit „Zero“ durchgegeben, aber auch ein Siffr wird verstanden. Fast schon zum Kalauer geworden ist der Hinweis an die islamphoben Europäer: Versucht doch einmal mit römischen Zahlen zu multiplizieren!
Die Quelle des Wissens war einst das Kalifat von Córdoba, ein islamischer Staat auf dem Gebiet der Iberischen Halbinsel von 929 bis 1031. In dieser Zeit lebten ungefähr eine halbe Million Menschen in Córdoba, das damals eine der größten Städte der bekannten Welt war. 1236 wurde es im Rahmen der Reconquista von den christlichen Truppen für Kastilien erobert.
Ebenso erging es dem Königreich Granada. Am 2. Januar 1492 kapitulierte der letzte muslimische Herrscher Muhammad XII. und übergab die Stadt an Königin Isabella I. von Kastilien und König Ferdinand II. von Aragón, die so genannten „Katholischen Könige“. Damit war die Reconquista, die „Rückeroberung“ der iberischen Halbinsel für das Christentum, abgeschlossen. Gemäß einem Passus des dabei abgeschlossenen Vertrages durfte die maurische Bevölkerung in Granada einige Jahre ihre Religion frei ausüben, die Elite musste die Gegend verlassen und übersiedelte in das Gebiet des heutigen Marokko. Der Vertrag wurde schnell gebrochen, die spanischen Christen hielten nicht Wort.
Die in Spanien verbliebenen Muslime, die so genannten Morisken, wehrten sich gegen den erlogenen Friedensschluss und die Unterdrückung (Verbot der Religionsausübung, Enteignung). Durch ihre neuen Herrscher wurden sie in den Jahren 1569–1571 erst in andere Teile der iberischen Halbinsel zwangsumgesiedelt und 1609–1611 nach Afrika vertrieben. Viele siedelten sich im heutigen Tunesien und Algerien an und prägten dort die Kultur. Granada verfiel zugleich in wirtschaftliche Bedeutungslosigkeit wie zuvor schon Cordoba. Europa aber hat sein arabisches Erbe vergessen. Um den Titel eines Buches von Sigrun Hunke zu zitieren: Einige Jahrhunderte lang leuchtete Allah´s Sonne über dem Abendland.
Quelle:nachrichtenxpress
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