Damals hatte die rot-grüne Bundesregierung einvernehmlich mit den vier großen Energieversorgern – EnBW inbegriffen - den ersten Atomausstieg beschlossen und jeweils befristete Laufzeiten für die Atomkraftwerke vereinbart. Im Dezember 2010 hob die spätere schwarz-gelbe Bundesregierung diesen Konsens auf und verlängerte mit dem sogenannten Ausstieg vom Ausstieg die Laufzeiten der Meiler um durchschnittlich zwölf Jahre. Eine politische Kehrtwende zugunsten der Betreiber, die wieder nur kurz Bestand hatte.
Nur sieben Monate später, nach der Kernschmelze im japanischen Atomkraftwerk Fukushima, beschloss dieselbe Bundesregierung das sogenannte zweite Atomausstiegsgesetz, womit sie die von ihr zugesagte Laufzeitverlängerung für Atomreaktoren wieder rückgängig machte. Berlin verfügte die sofortige Abschaltung von neun Kraftwerken. Den übrigen setzte der Gesetzgeber Deadlines, bis zu denen die Betriebsgenehmigungen auslaufen würden. Spätestens im Jahr 2022 - so der Plan - soll das letzte AKW abgeschaltet sein.
Eine folgenschwere Entscheidung. Denn die Energiekonzerne Eon, RWE und Vattenfall sahen darin eine Enteignung. Der vierte große Konzern, EnBW, erhob keine Verfassungsbeschwerde. Die anderen drei jedoch forderten einen grundsätzlichen Anspruch auf Entschädigungen, der sich laut Medienberichten auf bis zu 20 Milliarden Euro belaufen könnte. Fünf Jahre später soll nun das Bundesverfassungsgericht klären, wer Recht hat.
Kalkar-Beschluss als Blaupause
Bei der mündlichen Verhandlung im März wurde ein früheres Urteil thematisiert, das die Hoffnung auf Entschädigungen der meisten Kläger dämpfte: Die Regierung argumentierte, es handele sich um eine "Nutzungsregelung", für die es schon früher einmal keine Entschädigung gab. Berlin berief sich auf den sogenannten Kalkar-Beschluss: 1978 hatte Karlsruhe dem Gesetzgeber mit Blick auf "noch nicht abzusehende Entwicklungen" und "veränderte Umstände" einen weiten Spielraum für die Nutzung der Atomenergie eingeräumt.
Bundesumweltministerin Barbara Hendricks verteidigte mit Bezug hierauf den Ausstiegsbeschluss. Die SPD-Politikerin sagte in der Verhandlung, die Reaktorkatastrophe von Fukushima habe "auch in Deutschland eine Neubewertung der mit der Kernenergienutzung verbundenen Risiken erforderlich gemacht".
"Es geht nicht um Atomenergie. Es geht am Ende um eine faire Entschädigung", betonte Eon-Chef Johannes Teyssen bei derselben Anhörung. Den Aktionären sei ein erheblicher Vermögensschaden entstanden, der nicht ausgeglichen worden sei. "Die Risiken der Kernenergie hatten sich mit Fukushima nicht verändert, sondern die Risikowahrnehmung", sagte RWE-Kraftwerkschef Matthias Hartung.
Allein Eon beziffert seinen Schaden durch den Atomausstieg auf mehr als acht Milliarden Euro. RWE hat keine Summe genannt, Analysten gehen aber von sechs Milliarden Euro aus. Vattenfall will 4,7 Milliarden Euro und klagt zudem vor einem internationalen Schiedsgericht in den USA.
Ein Sonderpunkt in dem komplexen Verfahren ist die Schadenersatzforderung des schwedischen Energiekonzerns Vattenfall wegen der sofortigen Abschaltung des Atommeilers Krümmel. Theoretisch könnte hier eine unzulässige Ungleichbehandlung vorliegen: Denn damals hatte die Bundesregierung das Alter der Atommeiler zum Kriterium gemacht. Das Kraftwerk in Krümmel war aber jünger als die anderen stillgelegten - vermutlich wurde es wegen seiner vielen Pannen aus dem Verkehr gezogen.
Doch wieder auf die lange Bank?
Es ist deshalb nicht auszuschließen, dass Vattenfall am Ende als einziger Kläger Anspruch auf Entschädigung hat. Das Gericht muss dafür allerdings vorher noch entscheiden, ob ein ausländischer Staatskonzern wie Vattenfall überhaupt Grundrechtsschutz in Karlsruhe einklagen kann. Falls nicht, gäbe es wiederum keine Entschädigung. Der Ausgang des Verfahrens ist damit völlig offen.
Die angeschlagenen Unternehmen könnten ein positives Urteil gebrauchen. Die Chancen der Energiekonzerne Recht zu bekommen, sind laut Experten nicht schlecht, da bei dem eilig beschlossenen Ausstieg ihrer Ansicht nach handwerkliche Fehler gemacht wurden. Die Landesregierung von Rheinland-Pfalz, die auf der Seite des Bundes steht, hält es allerdings auch für möglich, dass Karlsruhe das zweite Ausstiegsgesetz nicht sofort aufhebt, sondern dem Bund eine Frist zur Nachbesserung gibt, um so eine Entschädigungsregelung darin aufzunehmen. Das würde die Geldsumme für die Konzerne wiederum schmälern.
Selbst wenn die Konzerne am Dienstag teilweise Recht bekommen, rechnen Experten nicht damit, dass schnell Geld fließen wird. Der Streit wird wohl vor die Fachgerichte gehen und es wird lange dauern, ehe die Höhe der Entschädigung feststeht.
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