Die angebliche Vergewaltigung des damals 13-jährigen russlanddeutschen Mädchens Lisa durch einen Flüchtling stellte sich schließlich als erfunden heraus. Aber so leicht ist eine Lüge in diesen Zeiten nicht mehr als solche zu entlarven. Wenn sie sich erst mal festgesetzt hat in Foren, Posts und Profilen.
Immerhin führte der Fall Lisa dazu, dass Merkel und ihre Regierung ein neues Phänomen identifiziert haben. Anfang 2017 sollen Experten der Geheimdienste vorstellen, was gegen Formen moderner Propaganda unternommen werden kann. Und vor allem, welche Reaktionsmöglichkeiten es gibt, wenn man dafür Informationen verwendet, die zunächst durch Hackerangriffe erbeutet wurden.
In den USA machen gerade geheimdienstliche Erkenntnisse die Runde, wonach russische Hacker sogar bei den Präsidentschaftswahlen mitgemischt haben sollen, um Donald Trump ins Weiße Haus zu verhelfen. Nun befürchtet mancher auch für die Bundestagswahl im kommenden Herbst entsprechende von Moskau gesteuerte Aktivitäten. Das Problem: Die Beweislage ist äußerst dünn.
1. Welche Rolle sollen russische Hacker im US-Wahlkampf gespielt haben?
Der amerikanische Auslandsgeheimdienst CIA verfügt nach Berichten der "Washington Post" und der "New York Times" über Erkenntnisse, wonach Russland durch Hackerangriffe gezielt in die jüngsten Präsidentschaftswahlen eingegriffen hat, um dem republikanischen Bewerber Trump zum Sieg zu verhelfen. Der amtierende Präsident Barack Obama hat demnach die US-Geheimdienste und weitere Sicherheitsbehörden angewiesen, die Vorwürfe zu untersuchen.
Im Wahlkampf waren E-Mails von Hillary Clintons demokratischer Partei gehackt worden, Informationen daraus wurden der Enthüllungsplattform WikiLeaks zugespielt. Die Demokraten beschuldigten umgehend Russland, und auch die CIA kommt nun offenbar zu dem Schluss, dass ein russisches Hackerteam hinter dem Angriff steckte - und damit Wahlhilfe für Trump leistete.
2. Welche Befürchtungen gibt es mit Blick auf die Bundestagswahl?
Die hiesigen Sicherheitsbehörden warnen ausdrücklich vor russischen Versuchen, die Bundestagswahl im kommenden Jahr zu beeinflussen. Hinweise darauf würden sich "verdichten", sagt Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen. "Informationen, die bei Cyberattacken abfließen, könnten im Wahlkampf auftauchen, um deutsche Politiker zu diskreditieren." BND-Chef Bruno Kahl warnt vor Cyberattacken, "die keinen anderen Sinn haben, als politische Verunsicherung hervorzurufen".
Auch deutsche Politiker sind besorgt, Angela Merkel selbst mahnte öffentlich, dass Cyberangriffe und "hybride Auseinandersetzungen", geführt von Russland, längst zum Alltag gehörten und auch im Wahlkampf eine Rolle spielen könnten. Im Bundestag machte die Kanzlerin die Folgen von Nachrichtenmanipulation im Internet, speziell in sozialen Netzwerken, zum Thema - ohne dabei explizit Russland anzuklagen.
Bemerkenswert: Russlands Außenminister Sergej Lawrow wies in der vergangenen Woche alle Vorwürfe zurück - und lieferte dabei einen Beleg, wie russische Desinformation funktioniert. Lawrow behauptete, Merkel habe die Anschuldigungen öffentlich als "Unsinn und Quatsch" bezeichnet. Wann und wo Merkel das gesagt haben soll, verriet Lawrow nicht. Eine Sprecherin Merkels sagte am Montag lediglich, die Kanzlerin habe "nicht die Absicht, eine solche Äußerung zu kommentieren".
3. Welche mutmaßlichen russischen Angriffe gab es bereits in Deutschland?
Der Fall Lisa war ein Beispiel für eine regelrechte Desinformationskampagne. Die hartnäckige Verbreitung über soziale Medien und die Instrumentalisierung durch staatliche russische Medien gingen Hand in Hand.
Der Bundestag wurde im Frühjahr 2015 zum Ziel einer großen Cyberattacke. Die Spuren sollen zu russischen Hackergruppen mit Kontakten zu Geheimdiensten führen. Bei dem Angriff wurden große Datenmengen abgesaugt. Die kürzlich von WikiLeaks veröffentlichten Dokumente aus dem NSA-Untersuchungsausschuss könnten laut "Frankfurter Allgemeiner Sonntagszeitung" aus diesem Hack stammen.
Auch beim jüngsten Angriff auf Router der Telekom wurde über eine russische Urheberschaft spekuliert, konkrete Vorwürfe wurden jedoch nicht erhoben.
4. Wie gesichert sind die Erkenntnisse?
Das ist ein heikler Punkt in der Debatte um angebliche Cyberangriffe und Propaganda-Attacken aus Moskau: Geheimdienste haben ein hohes Interesse daran, Gegner zu definieren. Es ist eine Art von Selbstlegitimation. Dazu kommt in Deutschland, dass die Dienste bisher personell nicht entsprechend aufgestellt sind, um sich gegen Cyberangriffe zu wehren und zurückzuschlagen. Um dafür mehr Personal zu bekommen, hilft es, das Problem möglichst groß zu machen.
Und dann ist da die Frage der Belege und Beweise: Auch da tun sich Geheimdienste in der Regel schwer, oft dürfen sie auch gar nicht öffentlich machen, wenn sie Handfestes vorliegen haben. Dazu kommt, dass es in der Cyberwelt noch schwieriger ist, Aktivitäten zurückzuverfolgen oder gar Auftraggeber auszumachen.
Dass sich die Bundesregierung in Sachen Propaganda dennoch relativ deutlich gegenüber Moskau positioniert, dürfte vor allem einen Grund haben: Berlin will wohl zeigen, dass man vorbereitet ist - Abschreckung im Cyberzeitalter.
Quelle : spiegel.de
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