Die Tonscherben gingen verloren, erst im 19. Jahrhundert haben Archäologen sie im Irak ausgegraben. Die Babylonier haben auf ihnen in Keilschrift den Stand der Sonne notiert. "Erstaunlich, dass es diese Informationen gibt", sagte Agnew dem Magazin "Live Science".
Die Auswertung der Tonscheibennotizen ergab, dass sich die Drehung der Erde weniger stark verlangsamt als angenommen.
Vor allem die Gezeitenkraft des Mondes bremst die Rotation der Erde. Aber auch alle Massen, die auf der Erde in Bewegung sind, verändern die Drehung - etwa Gletscher, Magma, ja selbst fallendes Laub.
Doch der Mond wirkt bei Weitem am stärksten: Seine Schwerkraft zerrt an der Erde, so dass sich das Wasser der Ozeane zu Gezeitenwellen türmt, die Ebbe und Flut auslösen. Das schwappende Wasser erzeugt Reibung, sie bremst den Planeten - die Tage werden länger.
Früher, als sich die Erde schneller gedreht hat, waren die Tage viele Stunden kürzer - ein Tag ist die Dauer einer Drehung der Erde um sich selbst. Vor vier Milliarden Jahren dauerte ein Tag aktuellen Rechnungen zufolge nur 14 Stunden.
Die Aufzeichnungen der Babylonier aber ändern die Kalkulationen: Nicht um 2,3 Tausendstelsekunden (Millisekunden) pro Jahrhundert - wie es Satellitendaten nahelegen - verlangsame sich die Erdrotation, sondern um nur 1,8 Tausendstelsekunden, berichtet eine Gruppe um Leslie Morrison vom Royal Greenwich Observatory in England in den "Proceedings of the Royal Society".
Ihr Ergebnis lesen die Forscher aus den Keilschriften in Tonscherben, die Menschen vor 2700 Jahren und danach in Babylon hinterlassen haben. Zudem werteten sie Hunderte antike Texte aus Griechenland, China, Europa und Arabien aus - Aufzeichnungen über Sonnen- und Mondfinsternisse.
Bei einer totalen Sonnenfinsternis im Jahr 136 vor Christus etwa lag Babylon mitten im Schatten. Rechnet man die Bahn der Erde um die Sonne in jene Zeit zurück, mit gleichbleibender Rotation der Erde, zeigt sich: Die Sonnenfinsternis hätte nicht Babylon verfinstert, also den heutigen Irak, sondern Spanien.
Weil sich aber die Erddrehung verlangsamt hat, traf der Sonnenschatten damals Babylon.
Ein Tag war zu Zeiten der Babylonier etwa vier hundertstel Sekunden kürzer. Seither sind etwa eine Million Tage vergangen - jeden dieser Tage bremste die Erde um den Sekundenbruchteil. Seit Babylon ergibt sich ein Unterschied von mehreren Stunden.
Weil Babylonier und andere Menschen der Antike den Zeitpunkt der astronomischen Ereignisse exakt vermerkt hatten, lässt sich die Diskrepanz der Stellung der Erde zu heute präzise berechnen - daraus ergibt sich, wie stark sich die Drehung des Planeten verlangsamt hat.
Dass die antiken Quellen die Daten von Satelliten präzisieren, fasziniert Forscher. "Die Beschreibungen der Babylonier sind so plastisch", sagt Agnew zu "Live Science". Er zitiert eine 2700 Jahre alte Keilschrift zur Sonnenfinsternis: "Wenn der Tag plötzlich zur Nacht wird, und die Sterne erscheinen."
In ferner Zukunft wird ein Tag 25 Stunden dauern. Theoretisch würde die Drehung der Erde irgendwann sogar stehenbleiben. Doch zuvor - das zeigen Berechnungen von Astronomen - wird sich die alternde Sonne aufblähen und Erde und Mond verdampfen.
Quelle : spiegel.de
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